Dirigenten aus Lettland sind derzeit in vielen Ländern der Welt bekannt: sei es Andris Nelsons, Mariss Jansons, Sigvards Klava oder Andris Poga.
Jansons, der in München das Symphonieorchester und den Chor des Bayerischen Rundfunks dirigiert, bekam kürzlich den "Opus Klassik" für sein Lebenswerk - das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern, den Ernst von Siemens Musikpreis und den Bayerischen Maximiliansorden hat er bereits. Poga, Musikdirektor des lettischen Nationalorchesters Riga, ist eine Art "Deutschlandreisender": als Gastdirigent in Dresden, beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, beim NDR Elbphilharmonieorchester, dem WDR Sinfonieorchester Köln.
Mit Lettland verbunden ist aber auch Karel Mark Chichon. (in lettischer Schreibweise = "Karels Marks Šišons"). Der 1971 in London als Kind gibraltarischer Eltern geborene Chichon war von 2011 bis 2017 Chefdirigent der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern; als er diesen Posten damals wegen
Einsparungen beim Saarländischen Rundfunk unter Protest aufgab,
bezeichnete ihn die Presse als "heißblütigen Briten mit Wohnsitz Malaga"
(Saarbrücker Zeitung). 2017 sagte Chichon allerdings rückblickend, er habe in Saarbrücken bereits lange vorher gewusst dass er nicht verlängern werde (NRA). Gleichzeitig sprach er im Interview mit der "Neatkarīgā Rīta avīze" deutschen Orchestern ein gewisses Maß an "Vituosität" ab - der emotionale Kontakt zum Orchester sei einfach nicht so eng gewesen.
Königin Elisabeth II ernannte Chichon 2012 zum „Officer of the British Empire“. Im Jahr 2016 wurde er in Anerkennung seiner Verdienste zum "Fellow der Royal Academy of Music" ernannt. Nun soll er die Staatsbürgerschaft Lettlands, ein hohes Gut nach dem immer noch viele Tausende Einwohner Lettlands vergeblich streben, verliehen bekommen - ehrenhalber (lsm / LA). Eine Reaktion auf den "Brexit"? Chichon ist britischer Staatsbürger.
Nun ja, Chichon hat 2006 erfolgreich eine Lettin geheiratet: die auch in Deutschland bekannte Opernsängerin Elīna Garanča. Aus dieser Ehe sind bisher zwei Kinder hervorgegangen: gemäß lettischer Schreibweise sind es Katrīna Luīze Šišona (geb. 30.9.2011) und Kristīna Sofija Šišona (10.1.2014). Diese beiden Kinder allerdings sind bereits lettische Staatsbürgerinnen.
Wird das Ehepaar Šišona-Garanča nun also zukünftig in Lettland leben? Darauf deutet eigentlich nichts hin. Zwar war Chichon 2009 - 2012 unter anderem auch Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des Lettischen Nationalen Symphonieorchesters, aber ein ähnlicher Job steht momentan nicht in Aussicht. Im vergangenen Jahr konzertierte Chichon u.a. zusammen mit dem lettischen Pianistengenie Vestards Šimkus (Šišona un Šimkus paralēles). In einem Interview mit LSM bekannte er: "Ich freue mich in Lettland zu sein, hier fühle ich mich zu Hause, und die Energie, die den Orchestern Lettlands zu eigen ist, die ist wirklich besonders, und gleiches würde ich vielen anderen Orchestern wünschen." Also: Heimat in Lettland, aber jedenfalls in der Nähe von Orchestern. Im Lettischen Radio klingt Chichon wesentlich nüchterner: "Ich bin nicht gekommen um mich zu verbrüdern, sondern zu arbeiten."
In einem Interview bei "Diena" kommentiert Chichon einen Teil seiner bisherigen Arbeitsorte: "Auf Gran Canaria habe ich einen Konzertsaal von Weltklasse-Niveau - so etwas hätte ich mir in Saarbrücken gewünscht." DIENA-Journalistin Inese Lūsiņa fragt noch weiter: "Und was ist das Allerwichtigste bei der Arbeit dort?" Chichon unverhohlen: "Der enge Kontakt zur Regierung. Wenn ich Geld brauche, dann gibt die Regierung es mir. Ich kann anrufen und sagen 'hier ist ein Problem, bitte lösen Sie es' - und es wird gemacht."
Nun ja, mit dieser Herangehensweise wird er vermutlich genau der richtige Staatsbürger Lettlands werden. Über die Vereinbarkeit von internationalen Engagements und Familie sagt Chichon: "der Schlüssel dazu ist ein präzise logistische Planung; wenn unsere Kinder in unserem Haus in Malaga sind, dann bin ich zusammen mit Elīna in Las Palmas oder in Wien. Immer wenn ich zwei Wochen weg war, dann versuche ich die nächsten zwei Wochen zu Hause zu sein. Die Mädchen wissen immer, entweder ist Papa oder Mama da. Und wenn wir beide auf Tournee sind, hilft auch mal meine Mutter aus." (Diena) Also: bisher ist das nicht Lettland. Aber vielleicht zählt die lettische Regierung das Künstlerehepaar längst zur "lettischen Diaspora"?
Elīna Garanča selbst sagte einmal auf die Frage, was sie an Lettland am meisten liebt: "Den Sommer. In Spanien ist der Sommer sehr, sehr heiß, die Sonne verbrennt alles, die Landschaft wird gelbbraun. Dann sehnte ich mich sofort nach etwas Grün, der Heimat! In Österreich ist es zwar grün, aber rund herum sind Berge. Das ist auch nicht meins - von Kind auf bin ich gewohnt, dass ich noch allen Seiten den Horizont sehen kann." (delfi)
Demnächst wird eine spezielle Kommission des lettischen Parlaments über Chichons "Ehren-Staatsbürgerschaft" entscheiden. Die Befürworter, unter denen sich Abgeordnete nahezu aller im Parlament vertretenen Parteien befinden, argumentieren damit, Chichon habe über die enge Zusammenarbeit mit dem Lettischen Nationalen Symphonieorchester hinaus sich auch für die Verbreitung der Musik verschiedener lettischer Komponisten wie Ādolfs
Skulte, Emīls Dārziņš, Raimonds Pauls, Andris Dzenītis und Ēriks Ešenvalds eingesetzt. (LA)
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