Nur die obersten gegenwärtigen Staatenlenker fehlten zur Filmpremiere am 19.11. im Kino Riga ("Splendid Palace"), aber neben mehreren amtierenden Ministern, gegenwärtigen wie ehemaligen Basketballgrößen, gaben sich mit Kārlis Ulmanis, Valdis Zatlers und Vaira Vīķe-Freiberga auch drei Ex-Präsidiale die Ehre.
Produzent Andejs Ēķis kurz vor der Filmpremiere |
Im Gegensatz zum Monumentalfilm "Rigas Sargi", ebenfalls mit Grauba als Regisseur, und ebenfalls eines der nationalen Mythen bearbeitend, wird in "Sapņu komanda" nicht so hollywoodesk übertrieben: es wird nur auf dem Spielfeld gekämpft, und wenn man will (und schon mal zu Besuch im kurländischen Kinostädchen "Cinevilla" war) lassen sich die Begrenztheiten dieser Produktion auch klar erkennen. So muss der Bahnsteig von Cinevilla gleich für die Darstellung mehrerer Städte in Europa herhalten, zur Illustrierung Schweizer Verhältnisse muss ein einzelnes auf Karton aufgeklebtes historisches Tourismusplakat herhalten, und auch ein Telefonapparat aus dem Museum kommt zum Einsatz. Und auch wenn im Film die Spielberichte aus der Zeitung ausgeschnitten werden, sieht es eher aus wie Schnippeleien an Kopierpapier. - Dafür wird umso mehr Mühe darauf verwandt den lettischen Kinobesucherinnen und -besuchern deutlich zu machen, was ein "Team" ist - und vor allem, was es nicht ist. Im Lettischen steht ja der Begriff "Komanda" an dieser Stelle, der eher an kommandieren denn an sich gegenseitig helfen erinnert. Und nur allzu bekannt ist der Spruch von der Lieblingsspeise der Letten (ein anderer Lette!). Auch in der Gegenwart ist nur allzu bekannt, dass eher gewartet wird bis andere Fehler machen, um dann vielleicht dessen Position einnehmen zu können - Teamarbeit aber, die eigene Leistung zurückzustellen im Dienste des gemeinsamen Erfolgs - vielen Letten scheint es sogar mit lettischer Mentalität nicht vereinbar.
Sicherlich sind die Muster in "Sapņu komanda" sehr einfach geschnitten: ein Spiel, ein Match wird nur verloren, wenn entweder der Gegner Foul spielt oder die eigene Mannschaft unkonzentriert ist. So ist es schon im Spiel der beiden besten lettischen Mannschaften gegeneinander, und so ist es bei den Spielen der Europameisterschaft. Im Vorbereitungsspiel gegen Litauen kommt eine kleine Variante hinzu: am Abend zuvor trinken alle Spieler (bis auf einen) Wein, es bleibt nicht genug Energie für kraftvolles Spiel. Dennoch ist der Film nicht von moralischen Lehrsätzen durchzogen: vor allem Schnitt und Musik überzeugen, bringen Schwung in die Handlung, erweitern das Filmerlebnis über die reinen Sportergebnisse hinaus. Erstaunlich auch, wie es Regisseur Grauba gelungen ist, einige Charakterzüge europäischer Nationen erstens witzig herauszukehren und zweitens komplett mit lettischen Schauspielern zu inszenieren. So wirkt etwa der spanische Basketballtrainer wie eine Mischung aus gemütlichem Weinbergbesitzer und unwiderstehlichem Schwerenöter, und Schweizer Funktionäre scheinen der Inbegriff menschlicher Schlechtigkeit zu sein. Ob den Schweizern auch im Gegenzug die Darstellung eines Schweizer Volksmusikabends durch lettische Komparsen gefallen werden, wird ihnen selbst überlassen werden müssen.
Wer sich nicht zu schade ist für eine Bahnfahrt 3.Klasse, der darf mitspielen im lettischen "Dream team" |
Laura Lasmane zurecht anmerkt.
Vieles bleibt rein symbolischer Natur: da muss erst ein edler Trainer kommen, hart gegen sich selbst, der selbst noch das lettische Endspiel verlor durch hinterhältige Fouls der Gegner, diesen aber verzeiht und sie nach Genf zum Sieg führt. Aber aus dem täglichen Leben wird jede Lettin und jeder Lette das Thema kennen: etwas mehr Zusammenarbeit kann wirklich nicht schaden!
Der Film ist aber sicher nicht dafür gedacht, mit offenem Geschichtsbuch die Einhaltung historischer Details mitzuverfolgen - dazu bestand eher Grund bei "Rigas Sargi". Bisher existiert nur eine lettische Fassung, aber nicht einmal allen Letten werden angesichts der vielfältigen heutigen Alltagsprobleme solche Ereignisse präsent sein, die unter dem Motto "was in Lettland einmal alles möglich war" laufen könnten.
Die Kinosäle in ganz Lettland waren in der ersten Aufführungswoche jedenfalls überall voll. Kinobesitzer berichten von vielfachen Applausbekundungen nach Filmende.
Die historischen Vorbilder des Films: Die Meistermannschaft von 1935 |
Das Tandem Ēķis und Grauba gilt in Lettland als führende Vertreter von Filmleuten, die "Filme fürs Volk” machen wollen und dazu große Themen und Epochen der lettischen Geschichte ins Visier nehmen. Das galt auch schon für "Baiga vasara" ("der schreckliche Sommer") aus dem Jahr 2000, der den letzten Friedenssommer vor Ausbruch des 2.Weltkriegs zum Thema hat.
Aber selbst der Traum des damals erfolgreichen Meistertrainers Baumanis war im realen Leben nur kurz: er wurde direkt nach dem triumphalen Sieg entlassen (über die Gründe ist auch im Film nichts zu sehen). Eindrucksvoll auch die Liste der weiteren Schicksale der Mitglieder der Meistermannschaft, die im Abspann zu sehen ist: nie wieder spielte diese Mannschaft zusammen. Viele kamen im Laufe des Krieges um, auf Seiten verschiedener Kriegsparteien, andere landeten in Sibirien, oder gingen nach dem Krieg ins Exil.
Eine teilweise offene Frage bleibt vorerst die Filmmusik: leider sagen die verschiedenen Infos der Produzenten nichts darüber aus. Vom ersten Eindruck her eher eine Musik der 40er und 50er Jahre als zum Jahr 1935 passend. Eingespielt worden ist sie, einzelnen lettischen Presseberichten folgend, vom Orchester der lettischen Armee unter Leitung von Dainis Vuškāns und Guntis Kumačevs. Komponist einiger Stücke ist Uģis Prauliņš, es werden aber auch sogenannte "Traditionsstücke der lettischen Armee" gespielt, Benny Goodman, und anderes. Wie gesagt - Schnitt und Musik machen für mich eines der wichtigesten Elemente des gesamten Films aus und heben die Handlung auch für unsportliche Zuschauer hervor aus aller lettischer Provinzialität, so dass mindestens ein unterhaltsamer Filmabend jedem Zuschauer möglich sein sollte.
Filmkritiker Raivis Žvagiņš meint sogar ironisch, "Sapņu komanda" hätte auch zum besten lettischen Musical aller Zeiten werden können - wenn die Schauspieler eben auf dem Spielfeld gesungen und getanzt hätten. Über eine Million Lat hat der Film gekostet - auch wer ihn nicht zu seinem persönlichen Lieblingsfilm machen sollte, kann "Sapņu komanda" als gutes Anschauungsbeispiel nehmen für die Sehnsüchte, Möglichkeiten, politischen Ansprüche und Grenzen des gegenwärtigen Filmschaffens in Lettland.