18. August 2011

Kein Highlight der Woche

Lettland zur besten Sendezeit im ZDF: vielleicht ist es gar nicht weiter aufgefallen, was da am Montag im Zweiten Deutschen Fernsehen Hand in Hand über den Bildschirm flimmerte. Wer es nicht gesehen hat - nichts verpasst.
Zwar sind Geschmäcker verschieden, wie man so schön sagt. Aber zumindest aus der lettisch interessierten Perspektive lässt sich sagen: zwei gemeinsam leidenden Frauen manchen noch kein Bedürfnis aus, dass diese Geschichte unbedingt lettischen Bezug haben muss. 

Ärztin und Geigerin - lettische Landschaften
in ostdeutschen Phantasien
"Hand in Hand", laut ODEON-Film die "Entwicklungsgeschichte zweiter Frauen", bringt eine krebskranke Ärztin mit einer angeblich aus Lettland stammenden Geigerin zusammen (siehe auch NOVAFILM). Die eine im Angesicht des Todes, die andere mit der Angst nach einer Handoperation nie wieder spielen zu können. Das einzige, was hier hundertprozentig passte: die spätherbstliche Novemberstimmung zum deutschen Sommerwetter 2011.

Wie gesagt: diese Kritik ist nur auf "lettische Perspektive" bezogen. Wer Lettland nicht kennt - und durch diesen Film auch nicht kennengelernt hat - wird vielleicht nichts vermissen, und sich mäßig unterhalten gefunden haben. Vielleicht kann man sich auch an schönen Bildern aus Dresden erfreuen. 

Die Einwände. Zum ersten: die Hauptdarstellerin. Erst ein Blick ins Schauspielerhandbuch verrät, dass Margarita Breitkreiz deutsch-russischer Abstammung ist (geb. in Omsk). Aber nur sowjet-nostalgische Romantik könnte hier verursachen, dass sie damit auch gleichzeitig geeignet wäre eine lettische Abstammung vorzugaukeln. Der Haken: wäre sie lettisch (dann wäre die dörfliche Abstammung vielleicht logisch), wäre weder das angelernt-gekünstelte Lettisch nötig, noch das "Edelzicken"-Image (siehe die vielen Vorbilder hervorragender lettischer Geigerinnen in der Realität, zum Beispiel Familie Skride). Wäre sie aber russisch-lettisch, so wäre ihr Ausbildungsgang wohl eher über Riga gelaufen (kommt im ganzen Film nicht vor), und sie könnte natürlich einfach russisch als Muttersprache sprechen. Und in ihrem angeblichen Herkunftsdorf hätten dann wohl auch noch ein paar andere Menschen russisch gesprochen - der mühselige Aufbau eines altertümlichen rein lettischen Märchendorfes wäre nicht nötig gewesen. Da aber auch das Elternhaus völlig weggelassen wird (nur das Haus des Lehrers spielt eine Rolle), bleibt hier vieles im Dunklen und Unklaren.Und übrigens: "Mathildas" gibt es in Lettland eher wenig, erst recht mit "h" im Namen.


Zum zweiten: Landschaft und Dorfleben. Wer erwartet, ein paar schöne Bilder von irgend einer realen Landschaft in Lettland gezeigt zu bekommen, wird enttäuscht. Hektisch werden auf der Autofahrt ein paar Pirāgi verzehrt (die glücklicherweise nicht "Piroggen" genannt werden) - das war's auch schon. Später kommt noch mal eine schöne Brotszene - aber ohne das bekannte, typisch-lettische Brot.
Klarheit bringt der Blick in die Produktionsdetails: gedreht in der Umgebung von Dresden und Berlin. Einziger Trost: rein landschaftlich "könnte" es auch irgendwo in Lettland sein - aber leider fehlt jede konkrete Realität, wie sie in Lettland so einfach zu filmen gewesen wäre! Da muss ich "spiegel online" zustimmen: postkommunistische Märchenlandschaften. Da fast nur kaputte und leerstehende Häuser vorkommen, wird hier auch noch unterschwellig suggeriert: Orte in denen Verlierer wohnen, ausgebeutet und allein gelassen vom Kapitalismus. Selbst wer so ideologisch vorbelastet herangegangen wäre hätte Orte in Lettland filmen können. Aber eigentlich passt auch die Atmosphäre dieses Dorfes nicht - obwohl vielleicht ein paar lettischsprachige Kinderschauspieler engagiert wurden, denn die Kinder sprechen hier besseres Lettisch als alle Hauptdarsteller (Corinna Harfouch: "Lettisch ist ein seltsames Geräusch"). Auch runde-Brillen-tragen hilft da nicht weiter. Wäre es eine "postkommunistische" oder "postsozialistische" Umgebung, stünde hier wenigstens ein "Kulturhaus". Das hier als leer und verlassen gezeigte angebliche "Gutshaus" wirkt da eher wie aus Zeiten vor dem ersten Weltkrieg hervorgeholt. Auch die Beziehungen zwischen dem Lehrer, dessen Bediensteter und den übrigen Dorfbewohnern wirken eher "gutsherrnartig" als postkommu
nistisch: der gealterte Lehrer spricht fließend Deutsch ohne Akzent, die Bedienstete ebenfalls, die übrigen Dorfbewohner ausschließlich Lettisch. Logische Brüche zuhauf. Auch der vielleicht "ideologisch passende" Einbruch des Kapitalismus in die Dorfwelt wäre mühlos zu filmen gewesen in Lettland: Coca-Cola-Automaten, 00-24-Läden mit Importwaren und Leuchtschildern, für Konsumenten gesäuberte Tankstellen gibt es (in Lettland) fast überall. Hier im Film nicht. 
"Baltisches" gibt es übrigens auch: der "neureiche Unternehmer" des angeblich lettischen Dorfes heißt Kasaukas - also eher ein Hinweis auf Litauisches. Und ein Lehrer des Namens "Stokkeby" würde eher auf Dänemark, Schweden oder Estland tippen lassen als auf eine alte lettische Tradition (der bekannteste Träger dieses Namens, Bernd Nielsen-Stokkeby, stammt aus Estland). 

Die Frage bleibt: was will uns dieser Film eigentlich sagen? Den Lettland-Bezug erwähnen manche Filmfans konsequenterweise eher in Nebensätzen (z.B. Schattenblick). "Grenzsituationen" - die noch vor der Grenze enden. "Die erste Hälfte des Films ist besser als die zweite, " urteilt "Quotenmeter" und meint damit, dass alles was in Dresden spielt durchaus glaubhaft inszeniert wird. 
Vielleicht können die Echtheit dieser Frauenbeziehung ja nur Frauen wirklich beurteilen. Für den durchschnittlichen Fernsehzuschauer breitet sich zwar herbstblätterfallende Traurigkeit aus, aber kaum interkulturelle Lebensrealität. Liebe Filmemacher: Dresden ist schön - aber Lettland war das nicht. Ihr hättet auch Takatukaland nehmen können.

1 Kommentar:

Axel Reetz hat gesagt…

Die Frage ist, warum die Geigerin ausgerechnet eine Lettin sein soll? Warum nicht Weißrussin?