Lettland nationalkonservative Parteien sind im nun erneut beginnenden Wahlkampf offenbar besorgt, ihr Image könnte unter dem weltweiten Mitgefühl für den Massenmord in einem Jugendlager in Norwegen leiden. Dabei erweist sich eine interessante Diskussionsstruktur: während Rechtskonservative ja meist offen dafür plädieren, "russische Interessen" eher bewusst zu vernachlässigen und zu ignorieren, gilt es in diesen Kreisen nicht als opportun, sich in russischsprachige Diskussionen zu Themen des Landes überhaupt einzumischen. Dem entgegengesetzt ist es aber eine nicht zu leugnende Tatsache, dass immer mehr gerade der jüngeren in Lettland lebenden Russinnen und Russen auch Lettisch verstehen und sprechen - und sich auch in lettischsprachige Diskussionen einmischen.
auch in den lettischen Medien dieser Woche vorherrschend: Trauer und Mitgefühl wegen der Ereignisse in Norwegen (hier:DIENA) |
Da träumt ein junger Nationalist von Anerkennung in den Massenmedien - das wird leicht auch aus den Diskussionen seiner Twitternachrichten sichtbar. Aber was passiert statt dessen? Nun melden auch lettischsprachige Nachrichtenportale wie "kasjauns": "Ein Mitglied der Partei 'Alles für Lettland' tätigt ähnliche Äußerungen wie der norwegische Massenmörder." Nun twittert offenbar ganz Lettland. "Eine völlig kranke Ansicht" - so mischt sich der gerade von langer Krankheit genesene Rigaer Bürgermeister Užakovs in die Diskussion ein. Und Iesalnieks' Parteichef Raivis Dzintars, gefragt nach den seltsamen Ansichten seines Parteigenossen, zeigt sich "überrascht": es sei völlig überflüssig, diese irrationale Tat einer Ideologie in die Schuhe zu schieben, so Dzintars. Und eine andere "national gesinnte" Bloggerin bedauert, dass diese "Tat eines Kranken" den Nationalpatrioten Schaden zufügen könne.
Auch Užakovs‘Partei „Saskaņas Centrs“("Harmoniezentrum") sieht nun erste Chancen für Wahlkampfstoff und überlegt öffentlich, Iesalnieks wegen "Anstachelung zum Rassenhass" zu verklagen. Immerhin sind bei sorgfältiger Lektüre der Reaktionen vermeintlicher "Gleichgesinnter" auf Iesalnieks bei Twitter auch Zitate nachlesbar, die auf einen mehrfachen Mord im ostlettischen Städtchen Gulbene verweisen mit der Bemerkung, auch diese Tat (der Beschulidgte ist ein Russe) sei "von langer Hand geplant gewesen" (wie der Mord in Norwegen?). Iesalnieks' "wirre Gedanken" sind also kein Einzelfall.
Auch Užakovs‘Partei „Saskaņas Centrs“("Harmoniezentrum") sieht nun erste Chancen für Wahlkampfstoff und überlegt öffentlich, Iesalnieks wegen "Anstachelung zum Rassenhass" zu verklagen. Immerhin sind bei sorgfältiger Lektüre der Reaktionen vermeintlicher "Gleichgesinnter" auf Iesalnieks bei Twitter auch Zitate nachlesbar, die auf einen mehrfachen Mord im ostlettischen Städtchen Gulbene verweisen mit der Bemerkung, auch diese Tat (der Beschulidgte ist ein Russe) sei "von langer Hand geplant gewesen" (wie der Mord in Norwegen?). Iesalnieks' "wirre Gedanken" sind also kein Einzelfall.
Interessant aus deutscher Sicht, dass für die radikalnationalen lettischen Kreise - ebenso wie für den norwegischen Attentäter ja offensichtlich auch - gerade Bundeskanzlerin Merkel eine Bezugsgröße bildet. Nur hoffen die nationalen Letten, Merkel habe die "Kehrtwendung" schon vollzogen, und berufen sich dabei auf Pressekonferenzen in Riga anläßlich des Merkel-Besuchs im vergangenen Herbst. "Die Vorstellungen von einer multikulturellen Gesellschaft sind vollkommen gescheitert", so beispielsweise eine Schlagzeite im lettischen Portal TVNET damals, auf Merkels Äußerungen verweisend. Vielleicht sollte jemand mal erzählen, was mit Merkels damaligen Äußerungen zur Laufzeitverlängerung veralteter Atomkraftwerke seither passiert ist? Da kann Merkel fast froh sein, dass niemand ihr die eigenen Riga-Zitate in der deutschen Öffentlichkeit vorliest. Allerdings haben auch die (oft der deutschen Sprache nicht kundigen) lettischen Diskutanten sicher eine falsche Vorstellung davon, auf welchen Stand die Diskussion in Deutschland ist: lettische Nationalradikale gehen offenbar davon aus, dass Merkel die Einzige sei, die Einwanderer in Deutschland zum Erlernen der deutschen Sprache aufrufe.
Sind das nur vereinzelte Äußerungen eines unbedeutenden Nachwuchspolitikers? Andere Portale wie www.civciv.lv greifen die Diskussion auf und üben sich in Gegenargumenten. Dabei muss sich Iesalnieks - im Gegensatz zur gesicherten Diskussion auf selbst administrierten Webseiten - auch irritierte Fragen von anderen nicht parteigebundenen Lettinnen und Letten gefallen lassen. Schnell getwittert, wenig nachgedacht - das ist der überwiegende Tenor. "Ich habe nicht den Massenmord gerechtfertigt!" wehrt sich der Angegriffene, "und erst recht nicht den Mord an Kindern!" Die Überschrift seiner viel diskutierten Twitternachricht aber lautet zumindest: "Den Massenmord in Norwegen hat der Multikulturalismus auf dem Gewissen." - Was ja wohl soviel heißt: Selbst Schuld, Norwegen. Herzlichen Glückwunsch, Lettland, zu solchen "geistigen Führern"!
Tröstlich allein, das solches Gedankengut inzwischen in Lettland nicht ohne Widerspruch bleibt.
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