31. März 2011

Von lettischen Riesen

Die digitalen Archive wachsen - und mit ihnen die Möglichkeit, online Dokumente zu finden, zu lesen und zu vergleichen. Auch die Staats- und Universitätsbibliotek Bremen eröffnete jetzt ein neues digitales Angebot. 
Die Archive norddeutscher Sammlungen bergen offenbar Überraschungen. Oder wer hätte erwartet, dass norddeutsche Großmütter ihre Enkel beim Geschichten-Erzählen mit einem "guten Riesen aus Lettland" trösten? 

Dieser sagenhafte "lettische Riese" soll seine guten Werke unter anderem im niedersächsischen Stolzenau (Kreis Nienburg) getan haben. So erzählt es die jetzt digital zugänglich gemachte Zeitschrift "der Aufbau" (Bürger und Stadt, Ausgabe Dezember 1967). Wo doch in Lettland selbst die Katholiken eher in der Minderheit sind, soll laut dieser Sage der Retter für den eingerosteten Wetterhahn ausgerechnet aus Lettland gekommen sein. Zitat: "In seiner Not wandte sich der Bürgermeister an einen Riesen namens Milsis, der einige Jahre zuvor aus Lettland gekommen war und sich im Wesergebirge niedergelassen hatte."

Also ein früher Wanderarbeiter aus dem Baltischen? Neben seiner Gutmütigkeit ("er klopfte erst bei den Bauern an, bevor er ihnen ein Stück Vieh wegnahm um es aufzufressen") habe er "mehr Kraft als Verstand" gehabt. Die Aufgabe, den verrosteten Wetterhahn auf dem Kirchturm zu lösen habe er in der Form bewältigt, dass er den gesamten Kirchturm gedreht zurückgelassen habe. 

Als einer von nur 16 gedrehten Kirchtürmen in Deutschland gilt derjenige von Stolzenau - soweit die heutige Realität. Realität ist weiterhin, dass "milzis" (gesprochen "milsis") oder "milzenis" Lettisch das Wort für "Riese" ist. Eine Sage also, die in jedem Fall ihre Spuren in Norddeutschland hinterlassen hat - selbst wenn es auch die Gemeinde Stolzenau ab dem 1.November 2011 nicht mehr geben wird - sie soll mit einigen anderen zur "Samtgemeinde Mittelweser" zusammengelegt werden. 

die Darstellung des Riesen Mils in
einem Gemälde von Hugo Reinhart
Ob allerdings dieser "Milzis" irgend etwas zu tun hatte mit anderen Sagen rund um die Milseburg (Rhön) und den dort erwähnten Riesen "Mils" muss vorerst unklar bleiben. Mils benahm sich offenbar in der Rhön wesentlich mehr "typisch lettisch" als sein "Kollege" weiter nördlich. Zitat: "er erschwerte den Glaubensboten, die vom heiligen Gangolf angeführt wurden, ihre Bekehrungsarbeit, und bekämpfte diese" (die Milsenburg soll, der Sage nach, das Grab darstellen dass der Riese dann in Einsicht in die Ausweglosigkeit seines Tuns für sich selbst aufwarf - siehe Rhoenlexikon). Dies nahm der Rhöner Maler Hugo Reinhart zum Anlaß, Mils auch bildlich sich vorzustellen (siehe Gemälde, eine Abbildung entnommen von der Webseite von Herrn Reinhart)

Ob in der heutigen Zeit tatkräftige Letten märchenhafte Taten vollbringen - und ob sie eher für gutmütige oder für lästige Zeitgenossen gehalten werden - ich überlasse es für diesen Moment der Fantasie derjenigen, die von der Faszination alt hergebrachten Erzählens zehren.

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