Aivars Lembergs, der langjährige Bürgermeister von Ventspils, wurde vergangenes Frühjahr verhaftet. Seit Jahren werden publizistisch Korruptionsvorwürfe gegen ihn erhoben, und schließlich eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen ihn und ließ ihn wegen anderer Anschuldigungen schließlich in Untersuchungshaft nehmen. Lembergs wird von vielen Einwohnern Lettlands verehrt, weil seine Stadt die ordentlichste im ganzen Lande ist. Ein einfaches Werk für den Bürgermeister einer Stadt mit hohen Steuereinnahmen.
Aber die Vorwürfe gegen das politische Schlitzohr gehen weiter. Kurz vor Ende ihrer Amtszeit behauptete die frühere Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga, sie habe Kenntnis von sogenannten “Lembergs-Stipendiaten”, also einer Liste mit Empfängern von Schmiergeldern.In jüngster Zeit ist es um Lembergs wieder ruhiger geworden. Die Untersuchungen gehen aber weiter. Ex-Präsidentin Vīķe-Freiberga äußerte nun aber mehrfach die Sorge, ob die Lemberg-Angelegenheit auch gerecht und objektiv zu Ende geführt werde. Aivars Lembergs antwortete darauf am 13. September in der Zeitung Latvijas Avīze (Lettlands Zeitung) unter der Überschrift: Ciktāl esmu vienisprātis ar Vīķi-Freibergu (Wie weit bin ich mit Vaira Vīķe-Freiberga einer Meinung). Lembergs erklärt, daß er in diesem Punkt mit Vaira Vīķe-Freiberga völlig einer Meinung sei und hoffe, daß tatsächlich sein Fall gerecht und objektiv behandelt werde, festgestellt werde, was ein Verbrechen sei, wo wann welches Gesetz übertreten worden sei und er sich nicht vor verurteilt finde, wie durch einen Artikel im Apollo-Internet-Portal, wo es geheißen habe, daß Lembergs ja wohl schon in einem der ihm vorgeworfenen Punkte schuldig sei, denn in einer Marktwirtschaft könne niemand in so kurzer Zeit an so viel Kapital kommen, ohne dabei Gesetze zu verletzen.
Eine übrigens in Lettland sehr verbreitete Meinung im einfachen Volk, daß man auf ehrliche Weise nicht so wohlhabend werden könne. Was viele einzelnen Bonzen übel nehmen, aber nicht allen. Auch Lembergs Popularität leidet nicht. Kritischere Geister kommentieren die Arbeit des Kommunalpolitiker manchmal auch so, daß er wenigstens nicht so wie andere alles in die eigene Tasche gewirtschaftet habe, sondern auch etwas für das Volk tue. Lembergs widerspricht im Artikel grundlegend, er könne ganz im Gegenteil weitere Beispiele benennen, daß man gerade in der Marktwirtschaft in kurzer Zeit reich werden kann. Lembergs stimmt Vaira Vīķe-Freiberga auch darin zu, daß die Gefahr bestünde, daß mafiöse Strukturen die Prozesse beeinflussen. Tatsächlich habe er zahlreiche Gegner, die Klagen fabrizierten und anstrengten, Fakten erfinden, veränderten und verfälschten und außerdem für entsprechende Zeugen sorgen respektive diese beeinflussen könnten. Nur Vertreter solcher Strukturen seien in der Lage, die Staatsanwälte in teure Restaurants und Hotels einzuladen.
So weit also, stimme er Vaira Vīķe-Freiberga zu. Doch sehr er nicht überzeigt, ob sich dahinter auch das gleiche Verständnis vom Rechtsstaat verberge, denn er könne der ehemaligen Präsidentin auf keinen Fall darin zustimmen, daß wie in Kanada ein Gericht sein Urteil innerhalb von 15 Minuten fälle. Das habe es mit Todesurteilen auch unter Stalin gegeben, beruhend auf Beweisen aus Denunziation und FolterBis hierhin mag man Lembergs nur geschickte Rhetorik vorwerfen oder auch salopp formuliert, daß er der Ex-Präsidentin das Wort im Munde herumdreht. Dabei macht es ihm die verbreitete Einstellung der Bevölkerung ebenso einfach wie naive Kommentare in Internetpublikationen. Aber bei genauerer Betrachtung ist es dramatisch, wie Lembergs quasi selbstverständlich impliziert, daß er von der Staatsanwaltschaft als Unschuldiger verhaftet wird, während die schwarzen Kräfte frei gegen ihn agieren können.
Staatliche Organe arbeiten also seiner Ansicht nach für die Mafia oder werden wenigstens von ihr beeinflußt? Das klingt nach einer verschleierten Verschwörungstheorie, die ab dem nächsten Absatz expressive verbis benannt wird. Lembergs spricht jetzt von der Politischen Soros Vereinigung, die auch solche Veranstaltungen anrege, wie die “Regenschirmrevolution” vom Herbst 2007, mit der nur die eigenen politischen Interesse verschleiert würden. Damals waren erstmalig seit der Wendezeit die Menschen die Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die geplante Entlassung des Chefs der Anti-Korruptionsbehörde zu protestieren. Nach anfänglichem Zögern war bei der zweiten Kundgebung auch Präsident Zatlers erschienen. Welche Verbindung so Lembergs, bestünde zwischen Rechtsstaatlichkeit unter der politisch motivierten Entlassung oder Nichtentlassung eines ineffizient arbeiteten Behördenchefs. Um welche politischen Interessen es sich handelt, benennt Lembergs nicht. Muß er auch nicht, denn mit der Erwähnung der Soros-Stiftung hat er wieder die schweigende Mehrheit Lettlands wieder auf seiner Seite, die hinter der Werbung für eine Zivilgesellschaft die weltweite Machtergreifung von irgendwelchen nicht näher genannten Illuminierten oder auch der “Schwulen- und Lesbenbewegung” vermutet. Letzteres wird von Lembergs selbstverständlich im erwähnten Artikel nicht behauptet, steht aber in Lettland immer im Raum.
Das Überraschende an diesem Unsinn ist, daß viele Menschen ganz zutiefst und ehrlich daran glauben. Ob Lembergs dies ebenso tut, bleibt dahingestellt, aber vermutlich ist er intelligent genug, auf dieser Klaviatur nur zu spielen. 2006 ließ er sich sogar als Ministerpräsidentschaftskandidat der Parteienunion aus Grünen und Bauern plakatieren, kandidierte aber selbst nicht einmal um ein Parlamentsmandat – in Lettland kann der Präsident auch eine Person als Regierungschef nominieren, die nicht ins Parlament gewählt wurde. In den Augen der einfachen Bevölkerung war dies nicht etwa ein Zeichen der Klugheit Lembergs, zwar Einfluß geltend zu machen, ohne aber Verantwortung und Risiko übernehmen zu müssen, sondern seine Anhänger waren überzeugt, daß die Politikerclique in Riga ihn nicht an die Macht lassen wolle.Lembergs fährt mit seinem Mißfallen der ehemaligen Präsidenten fort, die in den mächtigen Staaten der Welt herumreise und einen gefälligen Diener mache. Im Rahmen der innenpolitischen Erschütterungen Lettlands im Jahre 2007 hatte die Botschafterin der USA zu ihrem Abschied eine flammende Rede gehalten und die fehlende Rechtsstaatlichkeit Lettlands kritisiert.
Daß Vaira Vīķe-Freiberga dieser Meinungsäußerung sofort zugestimmt hat, empfindet Lembergs als Verrat. Auch in diesem Punkt trifft Lembergs den Nerv des einfachen Volkes. Abschließend äußert Lembergs sein absolutes Unverständnis über die Meinung der früheren Präsidentin, die auf das gescheiterte Referendum zur Verfassungsänderung im August reagiert hatte mit der Bemerkung, es könne sich in Lettland nur durch ein Referendum etwas ändern un nun möchte sich niemand beschweren, Veränderungen seinen nicht möglich, wenn das Volk nicht zahlreich genug an die Urnen geht, um das Ergebnis der Abstimmung rechtskräftig werden zu lassen. Lembergs wirft Vaira Vīķe-Freiberga vor, daß sie nun also nach acht Jahren in der Rigaer Burg anerkenne, sie habe in ihrer Amtszeit nichts bewegt.Zweifelsohne ist es fragwürdig zu behaupten, nur eine Volksabstimmung könne etwas bewegen in Lettland. Aber auch Lembergs kennt die Verfassung sicher gut genug, um zu wissen, daß der Präsident in Lettland nicht das ausführende Organ ist. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten hat Vaira Vīķe-Freiberga in ihrer Amtszeit zahlreiche Gesetze beeinflußt.
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