Von Europa-Enthusiasten wie von EU-Kritikern werden die Ergebnisse vergleichender Umfragen in den EU-Staaten immer wieder mit Interesse gelesen. Auch beim Eurobarometer, einer von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen regelmäßigen Befragung, werden die angeblich so nüchternen Zahlen von den Medien der unterschiedlichen Länder aus unterschiedlich interpretiert.
Aus deutscher Sicht: Unkenntnis weit verbreitet
"Erweiterung wird vorwiegend positiv gesehen", so war es zum Beispiel am 30.5. in der deutschen FAZ zu lesen. Wiedergegen wird dort immerhin auch, dass 52% der Deutschen, aber nur 40% der Österreicher die Erweiterung positiv sehen. Aus Sicht der Deutschen sind die möglichen Folgen der Globaliserung das am meisten Besorgnis erregende: 59% stimmen dem zu.
In der "Berliner Zeitung" vom 12.7. führten Eurobarometer-Statistiken noch zu krasseren Aussagen: "Für die Menschen in Ostdeutschland ist die EU wie ein Raumschiff, das irgendwo über Europa schwebt, ohne Verbindung zu ihnen. Es ist für sie sogar so weit weg, dass die meisten der Ostdeutschen nicht einmal mitkriegen, wenn Nachbar Polen der EU beitritt." Bezug genommen wurde dabei auf Umfrageergebnisse, nach denen die Ostdeutschen immer noch zu 48% glauben, die EU hätte weiterhin nur 15 Mitgliedsstaaten - und mit diesem Mangel an Wissen noch hinter Rumänien und Bulgarien zurücklagen. Auch die Leipziger Volkszeitung merkt dazu an: "Statt die EU von innen her zu reformieren, sie bürgernaher zu gestalten und auf die Sorgen der Menschen einzugehen, wird munter über Erweiterungen debattiert." Und aus Österreich meldet "die Presse": "69% der Österreicher fürchten, wegen der europäischen Integration und der Erweiterung ihren Job zu verlieren."
Lettische Sorgen: Europa könnte den Aufschwung bremsen
Wie sieht die Stimmung aus lettischer Sicht aus? "Letten trauen Europa mehr als den Institutionen im eigenen Lande" meldete am 11.Juli die Nachrichtenagentur LETA. Ja, aber das auf sehr niedrigem Niveau, möchte man hinzufügen. Folgende Zahlen stecken dahinter (NRA 12.7.06):
- 37% der befragten Letten halten die EU für eine gute Sache
- 55% sehen die größten durch die EU verursachten Proleme in Steuererhöhung und Inflation
Dies alles trotz der Tatsache, dass Lettland im Jahr 2005 mit 10,2% Steigerung des Bruttoinlandproduktes Platz eins der EU-Länder einnahm.
Die EU-Nachbarn sollten aber über diese Umfrageergebnisse nicht lange traurig sein. Denn interessant ist der Vergleich, was die Letten von ihren eigenen landeseigenen Institutionen halten:
- nur 25% vertrauen der eigenen Regierung,
- 21% vertrauen dem lettischen Parlament
- und nur 6% (!) sagen dasselbe von den lettischen Parteien (im übrigen Europa sind es durchschnittlich 22%). Lettland steht im Herbst 2006 vor Parlamentswahlen - kein glanzvolles Zeugnis für alle, die gewählt worden sind oder dies jetzt anstreben. Das sei auch keine kurzfristige, sondern eine jetzt sich schon länger herausbildende Überzeugung, kommentiert die Neatkariga Rita Avize (NRA). Es fehle bei den Menschen auch der Glaube, dass die Parteien irgendwie versuchen würden, ihr schlechtes Image irgendwie zu verbessern. In der lettischen Presse wird Aija Cālīte-Dulevska, die Herausgeberin der auf Lettland bezogenen Daten des Eurobarometer, mit Aussagen zitiert, dass bei den Wahlen im Herbst einige Überraschungen zu erwarten seien: "in einigen Landesteilen wie etwa Kurland liegt das Vertrauen in die Parteien bei nur noch 2%."
Euro wenig gefragt
In einem weiteren Zeitungsbeitrag (NRA) wird die Einstellung der Letten zur Einführung des Euro beleuchtet. Dem Nachbarland Litauen hatten die EU-Institutionen gerade erst, wegen nur 0,1% Abweichung bei der Inflationsrate, den Beitritt zur Eurozone verweigert. In Lettland sehen es momentan, den Umfragen des Eurobarometer zufolge, 59% als unangenehme Begleiterscheinung im Zuge des EU-Beitritts an, dass sie ihre eigene nationale Währung, den Lat, verlieren werden (NRA 12.7.).
Im wirtschaftlich eher benachteiligten östlichen Landesteil Latgale hoffen dagegen noch 53% auf positive Effekte durch die Einführung des Euro.
Das Wirtschaftswachstum ist im übrigen Europa niedriger als in Lettland. Und so fürchten denn die Letten, dass eine Einführung des Euros dies auch im eigenen Lande bremsen könnte, und - so unglaublich das für westeuroopäische Ohren klingen mag - wirtschaftliche Probleme mit sich bringen könnte. Gegenwärtig weist Lettland ja bereits eine der höchsten Inflationsraten in Europa auf - und so nennen denn auch 55% der Befragten dies als wichtiges Problem.
Die von den Letten meist genannten Vorteile der EU sind momentan die Reise- und Bildungsmöglichkeiten im übrigen Europa.
Dass viele Letten sich gegenwärtig durch Jobs in Ländern wie Irland über Wasser halten müssen, also Lettland für eine Weile ganz verlassen müssen - es wird dem Vertrauen darin, dass die eigenen Politiker auch dem Wohle ihrer Wählerinnen und Wähler dienen können, vermutlich nicht gerade zu Gute kommen.
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