27. August 2006

Letttland: Politische Rochaden vor der Wahl

Schon wieder wählen? So werden vielleicht die lettischen Wahlberechtigten denken, obwohl ja die vergangene Parlamentswahl einige Jahre zurückliegt. Gewöhnt ist man daran, dass gewählte Volksvertreter - oder sogar Minister - auch mal während einer laufenden Wahlperiode die Partei wechseln, wenn es nur der eigenen Karriere dient. Und erst im Frühjahr diesen Jahres machte ein "Jurmala-Gate" der lettischen Innenpolitik von sich reden, ein Vorgang, der selbst überzeugte Unterstützer des gegenwärtigen demokratischen Systems stark ins Grübeln brachte.

Was will man von einem Land erwarten, in dem Stadtratsmitglieder sich auf Toiletten verabreden, um sich dann gegenseitig Geld zuzustecken, als Gegenleistung für politische Gefälligkeiten? So geschehen im Paradies der wohlhabenden Grundstücksbesitzer, dem Badeort Jurmala. Einzig positiv daran, dass der Öffentlichkeit der ganze Vorgang keineswegs verschwiegen wurde: einmal aufgedeckt, stellte Lettlands größte Tageszeitung DIENA die Texte der abgehörten Telefongespräche der beteiligten Politiker gleich ins Internet - downloadbar. So wurden politischen Idealisten wohl auch die letzten Illusionen genommen.

Der Ruf der eigenen Politiker war unter dem lettischen Wahlvolk allerdings nie besonders ehrenhaft (wie auch neuere Untersuchungen wieder zeigen). Ein neuer Trend könnte bei den am 7.Oktober 2006 stattfindenden Parlamentswahlen sein, dass diesmal keine großen Parteigründungen bevorstehen. Der Wahlspruch heißt eher: Kräfte im eigenen Lager sammeln.

Angeschlagene Führungsfiguren
Was macht eigentlich Einars Repše? Der als "Saubermann" einer "neuen Ära" (so soll der Name der von ihm gegründeten Partei "Jaunaus Laiks" es nahelegen) angetretene ehemalige Chef der lettischen Nationalbank galt schon immer als Exzentriker und weniger als Teamplayer. Inzwischen ist auch er mit dubiosen Geschichten um Grundstückserwerb und finanziellen Unklarheiten belastet. Hat seine Partei inzwischen genug politischers "Standing", um dennoch genug Wählerstimmen für eine weiterhin einflußreiche Position in der lettischen Politik zu halten? "Jaunais Laiks" versucht, neue Führungsfiguren aufzubauen, wie zum Beispiel durch die Benennung der ehemaligen Aussenministerin Sandra Kalniete als Präsidentschaftskandidatin (auch diese Wahl steht dann für das neu gewählte Parlament bald an!)

Eine andere umstrittene Führungsfigur ist Aigars Lembergs, seit Jahren Bürgermeister in der Hafen- und Ölumschlagsstadt Ventspils. Schon zu Sowjetzeiten ein aufstrebender Funktionär, hat er alle Wendezeiten mitgemacht und sich nicht nur politisch seine "Netzwerke" geschaffen. Über seine dubiosen Geschäfte rund um den Verkauf ehemals staatlicher Betriebe sind schon ganze Bücher geschrieben worden. Einer der Autoren, der Journalist Lato Lapsa schreibt im Vorwort seines neuesten Buches dazu: "Urteilen Sie selbst, welche Folgen sie aus den hier veröffentlichten Tatsachen ziehen möchten."
Lembergs Gegner machen sich momentan mit einem Spielchen im Internet nach dem Motto "Helfen Sie mit, Lembergs ins Gefängnis bringen" über den Kontrahenden lustig. Der Webblog "All about Latvia" charakterisiert ihn als "Jekyll und Hyde der lettischen Politik" - was sogar noch als eher harmlose Beschreibung durchgehen kann. Recherchiert wurde sein Jahreseinkommen 2005 von 8,6 Millionen Lat (ca. 13 Millionen Euro) - aber sein Geld versucht er inzwischen b
ereits durch "Überschreibungen" auf Familienmitglieder und Verwandte vor dem Zugriff lettischer Strafverfolgungsbehörden zu sichern.
Es gibt auch Unterstützer: Die Listenvereinigung der lettischen Grünen mit der Bauernpartei, schon länger im Verdacht mehr oder weniger vom Geld des lettischen Öloligarchen aus Ventspils abhängig zu sein, machte kürzlich Lembergs zu ihrem Spitzenkandidat für das Amt des Regierungschefs. Ob damit diese besonders in den ländlichen Regionen starke Interessengruppierung wieder wie beim letzten Mal auf einer populistischen Welle ins Parlament gewählt werden kann? In Ventspils selbst stützen über 80% der Einwohner Lembergs als "starken Mann", der auch neue Straßen und Sporthallen baut und die Häuser der Stadt verschönern lässt.

Die Tautas Partija (Volkspartei) des gegenwärtigen Regierungschefs Aigars Kalvitis hat die Aufbauzeit mit einer alles überragenden finanzkräftigen Führungsfigur bereits hinter sich. Auch der ehemalige Regierungschef Andris Šķēle kam in der Wendezeit zu Vermögen und Ämtern, hat sich aber inzwischen - nach Heirat mit einer "Kollegin" aus dem lettischen Parlament - aus allen Regierungs- und Parteiämtern zurückgezogen. Nur Šķēle's aktive Rolle im "Jurmala-gate" dieses Jahres könnte nun doch die Wahlkampfstrategie der Tautas Partija wieder etwas stören, und auch eine andere Schwierigkeit: lettische Wähler haben noch sehr selten regierende Parteien einfach mal so wiedergewählt.

Eine weitere Figur, mit oft nachgesagten Gelüsten, selbst Regierungschef werden zu wollen, ist Ainārs Šlesers. Mal als forscher Unternehmer mit Geldgebern aus Norwegen, mal als eloquenter Poltik-Taktiker mit Tendenzen zum "Königsmörder", scheint er eine Art "Stehaufmännchen" darstellen zu wollen. Seine auch durch die Einbeziehung einer Reihe von kirchlichen Würdenträgern als "Pastorenpartei" bezeichnete "Pirma Partija" sinkt öfter mal in den Umfragen auch weit unter die 5%-Hürde, bisher hat man es aber immer noch zu für eine politische Einflußnahme ausreichende Anzahl von Sitzen gebracht. Neu ist nun die Listenvereinigung mit der eigentlich durch liberales Profil früher bekannten "Latvijas Celš" (Weg Lettlands). Ob es die Wähler beider Lager honorieren werden?

Die Wählerinnen und Wähler werden in Lettland am 7.Oktober 2006 zwischen 19 verschiedenen Listenvereinigungen entscheiden müssen. Besonderheit ist dabei auch diesmal, dass einzelne Kandidat/innen auch gesondert angekreuzt (bevorzugt) oder weggestrichen (nachrangig eingestuft) werden können.
Das ist fast schon "Schwerstarbeit" - und bei 19 verschiedenen Parteien werden wir wohl die eine oder andere an dieser Stelle auch noch mal vorstellen.

Links zum Thema:
Lettische Wahlkommission
Eine Internetseite zu lettischer Politik (Englisch)
Listen der Kandidat/innen zur lettischen Parlamentswahl am 7.Oktober 2006
Infoseite zu den gegenwärtigen Abgeordneten des lettischen Parlaments (lettisch)
Verfassung der Republik Lettland in deutscher Sprache
Linkliste zu Webseiten lettischer Parteien

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