2. September 2005

Was bringt den Balten ein Regierungswechsel in Berlin?

Wie auch im Estland-Forum bereits diskutiert, denken die Balten inzwischen laut dar�ber nach, was ihnen ein Regierungswechsel in Deutschland wohl bringen wird. Dabei muss man allerdings wissen, dass es sich seit den 90er Jahren in weiten Kreisen in Estland, Lettland und Litauen eingeb�rgert hat, von Deutschland eher wenig zu erwarten. Allzu deutlich war auch Kanzler Kohls "M�nnerfreundschaft" mit Jelzin, also die Konzentration der Aussenpolitik Deutschlands in erster Linie auf Russland. Der damalige Aussenminister Kinkel, sozusagen der Inbegriff des Images seiner "Anwaltspartei" FDP, verk�rperte den Spruch "Deutschland ist der Anwalt der Balten" perfekt: 10 relativ wage formulierte Thesen lie�en sich dazu in verschiedenen Papieren der damaligen CDU/CSU/FDP-Regierung finden, aber umgesetzt wurde in Richtung einer Modernisierung des deutsch-baltischen Verh�ltnisses wenig. Es war die Zeit der "Heimatt�melei" - so wie die Reisebranche damals noch davon leben konnte, dass sich lediglich ein paar �lter gewordene Abk�mmlinge von Deutschbalten auf Heimatreise begaben. Dem gro�en Rest Deutschlands war die baltische Region als aktuelle politische Frage unbekannt.

Was hat 7 Jahre Rot-Gr�n an dieser Situation ge�ndert?
Vielleicht ist es eher der allgemeine Globalisierungstrend, der etwas ge�ndert hat, als dass es bewu�te deutsche Aussenpolitik gewesen w�re. Selbst f�r den sonst oft intellektuell hoch gelobten Joschka Fischer war die Ostsee nie ein wirkliches Thema - auf entsprechenden Konferenzen wie dem Ostseerat ward er selten gesehen. Ein bischen Meeresschutz, traditionell eher f�r gr�n gestimmte W�hler daheim geeignet, �berlie� er dem Kollegen Trittin. Nicht einmal die kurzzeitige "Regentschaft" eines gr�nen Ministerpr�sidenten in Lettland (Indulis Emsis im Jahr 2004) holte die Gr�nen aus der Untersch�tzung der baltischen Region heraus: alsbald glaubte man ausgemacht zu haben, dass "diese Gr�ne nicht wirklich gr�n" seien, und zog sich mit noch lauterem Grollen wieder zur�ck. Im Europaparlament arbeiten die Gr�nen mit der national-russisch orientierten Tatjana Zdanoka zusammen, die offen gegen Konzepte der Integrationspolitik in Lettland agitiert, unter der Fahne der Menschenrechtspolitik. Da stimmen wieder die gr�nen Parolen - aber �ber die Umsetzbarkeit, oder auch nur �ber eine realistische Einsch�tzung der Lage in Lettland, wird sich zumindest auf gr�ner Funktion�rsebene nirgentwo bem�ht.

Was hat die SPD erreicht?
Ausser dem gemeinsamen Beitritt der baltischen Staaten zur EU - was sicher gegen�ber einigen der alten EU-Mitglieder einige �berzeugungsarbeit bedurfte (und da hat sich die deutsche Regierung durchaus f�r die Balten eingesetzt), hat es ja noch einen weiteren Beitritt gegeben. Die Einf�gung der baltischen Staaten in die europ�isch-atlantischen Verteidigungsstrukturen ist reibungsloser vollzogen worden, als man es h�tte voraussehen k�nnen. Dieser Aspekt wird sicher auch aus baltischer Sicht oft untersch�tzt, und es k�nnte - angesichts des notwendigen Einflusses von Kanzler und Verteidigungsminister in dieser Frage, es auch f�r einen Erfolg der SPD halten - wenn er denn popul�r w�re zu verk�nden im eigenen Land. Im Gegensatz zur gr�nen Heinrich-B�ll-Stiftung hat auch die Ebert-Stiftung in den vergangenen 3-5 Jahren sich endlich begonnen auseinanderzusetzen mit den wirklich aktuellen Fragen in den baltischen Staaten - obwohl die besten und ausf�hrlichsten Analysen der politischen Lage Estland, Lettland und Litauen immer noch vom Leiter der Baltikum-Vertretung der Konrad-Adenauer-Stiftung geschrieben werden. Die Ebert-Stiftung hat es aber immerhin geschafft, das Baltikum zum Thema sozialdemokratischer Bildungsarbeit zu machen, und zwar nicht in der Form, wie es sich gestandene Sozis gerne w�nschen w�rden, sondern tats�chlich ausgehend von der Perspektive der Balten.
In der Wirtschaftspolitik ist das Baltikum tats�chlich inzwischen zu einem erst zu nehmenden eigenen Thema geworden - nicht nur unter dem Aspekt, die "lieben baltischen Freunde" m�gen doch bitte ihre Rolle als "Br�cke zu den Russen" m�glichst ger�uschlos und pflegeleicht wahrnehmen. Vielleicht ist man sogar bei der SPD inzwischen davon abgekommen, die Balten - die Esten an erster Stelle - blo� als Hort des Neoliberalismus oder des nationalen Konservatismus zu identifizieren. Kann man mit Estland oder Lettland moderne Innovation schaffen? Auch in der SPD scheint es daf�r immer mehr Bef�rworter zu geben. Und selbst Schr�der's pers�nliche Intervention, der f�r die Balten auch nach dem EU-Beitritt sich eine siebenj�hrige Frist f�r den freien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ausbat, scheint keine weiteren negativen Wirkungen hintgerlassen zu haben - eine CDU-Regierung h�tte es wahrscheinlich genauso gemacht.

Was bringt eine Kanzlerin Merkel wirklich?
Wenn sich also so vieles relativiert beim Blick auf die m�glichen deutschen Interessen im Baltikum - was k�nnte denn anders werden unter einer Kanzlerin Merkel? Wird es wirklich nur die baltische Hoffnung sein, einen Gottesbezug konkret in die EU-Verfassung schreiben zu lassen, einen zu starken Zustrom an Ausl�ndern hinein in die EU zu verhindern, und ansonsten die deutschen Unternehmer in Estland, Lettland und Litauen m�glichst mit noch mehr Steuererleichtungen auf allen Seiten zu erfreuen?
Werden die Balten neue Atomkraftwerke bauen, wenn Merkel sie dazu ermuntert? Wohl eher nicht - zu gro� sind noch die Sorgen wegen bauf�lligen Alt-Anlagen in osteurop�ischen Nachbarl�ndern und in Russland. Beim Atomstrom wird es wohl �hnlich wie bei Gas und �l strukturiert werden: nicht jeder soll bitte etwas produzieren, sondern die gro�en Konzerne wollen ihren Strom einem m�glichst breiten Empf�ngerkreis verkaufen.

Nein, es ist wohl eher das rein psychologische Moment, was die Balten beeindruckt, gepaart mit ihrer durch die j�ngere eigene Geschichte gepr�gten Zur�ckhaltung gegen�ber jeder Spielart von "sozialistischen" Experimenten. Das ruft "Verbr�derung" mit offensichtlich Gleichgesinnten hervor.

Aufschlu�reich ist auch ein Interview, das Atis Lejins, Direktor und Gr�nder des lettischen Instituts f�r Internationale Beziehungen, am 25.August der lettischen Tageszeitung "Latvijas Avize" gab.
Gefragt danach, was sich denn �ndern w�rde mit einer neuen Kanzlerin in Deutschland, antwortete er: "Erst mal sehen, ob das �berhaupt etwas �ndert. Was die Politik Deutschlands mit Russland angeht, k�nnte es sich vielleicht um 10% verbessern. Vielleicht wird es weniger 'herzlich' sein, wie jetzt Putin und Schr�der. Aber Deutschland hat sich immer schon auf enge Beziehungen zu Russland konzentriert, da wird sich so leicht nichts daran �ndern."
Frage: Liegt das an den Erdgasleitungen, dass sich russische und deutsche Interessen vereinigen, und die Balten eher umgehen?
Lejins: "Das ist ein Aspekt. Fr�her haben wir uns mal vor einem zu starken Deutschland gef�rchtet, heute sollten wir das eher bei einem zu schwachen Deutschland tun. Bei den deutschen und russischen Beziehungen war das immer schon charakteristisch - ausgenommen die Zeiten Bismarks - ob nun die Deutschen etwas mehr die Russen lieben, und verlieren dabei, oder ob die Deutschen die Russen bek�mpfen, und ebenso verlieren."
Frage: Also vielleicht wird ja eine zuk�nftige Kanzlerin Merkel eine 'Bismarkistin" sein?
Lejins: "Darauf hoffe ich, aber sicher bin ich mir da nicht."

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