19. März 2025

Mein Elend, dein Elend

Die lettische Hauptstadt Riga ist bekannt für ihren Bestand an Häusern aus sehr unterschiedlichen Bauperioden: sowohl das 19. Jahrhundert, der Jugendstil, die 1920iger und -30iger Jahre der lettischen Unabhängigkeit, wie auch sowjetische Nachkriegsbauten sind im Rigaer Stadtbild vertreten. Manches reicht noch bis zum Klassizismus zurück, es gibt einen großen Anteil an Holzbauten, und nach 1990 ist einiges, wie Lettinnen und Letten vielleicht gerne sagen würden, "wie Pilze aus dem Boden gewachsen". Parallel zu den vielen Veränderungen im Stadtbild hat sich der Charakter vieler Stadtteile stark verändert, manch Möchtegern-Prunkvolles wirkt wie gewaltsam eingefügt, und Einkaufstempel wie Konzernzenralen heischen um Aufmerksamkeit und Dominanz. 

Schönheit kommt von außen

Die Stadtverwaltung hat nun eine neue Parole herausgegeben, die, deutsch übersetzt, in etwa so lautet: "Lasst uns die heruntergekommenen und umweltschädigenden Gebäude sanieren, um Riga schöner zu machen!" Gleichzeitig taucht ein neuer Begriff der Klassifizierung auf: "grausti". (grausti.riga) Wer das zu übersetzen versucht, landet im englischsprachigen Bereich bei "Slum" - aber sind hier wirklich "verwahrloste Elendsviertel" gemeint? 

Benutzt wird die neue Klassifizierung von einer "Komission zur Qualitätssicherung und -entwicklung der städtischen Umwelt" in Riga, wo Mitglieder des Stadtrats und der Verwaltung vertreten sind. 2018 erstmals einberufen, stellt man sich hier zur Aufgabe, Gebäude zu klassifizieren, die "nicht regelgemäß erhalten" werden. Inzwischen sind 1285 Gebäude in Riga auf einer Liste der "Grausti" gelandet, was für die Eigentümer auch einen erhöhten Satz von Immobiliensteuer bedeutet - gezahlt werden muss 3% (statt 1,5%) entsprechend dem Katasterwert der Immobilie.  

Faceliftung - am Haus

Notwendige Arbeiten: lettische Baufirmen freuen
sich über Aufträge (hier: "Bergafasades")
"Fassadenfieber" nennt es Journalistin Ieva Jakone in einem Beitrag für die Zeitschrift "IR". Hunderte Hauseigentümer seien kürzlich aufgefordert worden, zumindest die Hausfassade zu verschönern bzw. in Ordnung zu bringen. Die Steuersumme für sein Haus habe sich von einem Monat auf den anderen verfünffacht, erzählt Hauseigentümer Kristaps Epners. Aber amtliche Verwarnungen habe es sogar schon vor der Pandemie gegeben, gibt er zu - wenn auch, seiner Beschreibung nach, in "typischer Bürokratensprache". Zwar habe er schon einige andere Arbeiten am Haus in Auftrag geben müssen, so etwa die Erneuerung der Wasserrohre oder die Ausbesserung des Schornsteins. Nun zeige es sich, dass eine vernachlässigte Fassade "am meisten kostet". ("IR")

Für 977 Häuser sei bis Dezember 2024 ein erhöhter Steuersatz eingefordert worden, berichtet Ieva Jakone. Zu 255 Objekten habe die Komission Fragen an den Eigentümer gestellt - und dabei sei es eben nicht darum gegangen, ob ein Haus etwa einsturzgefährdet sei, sondern es gehe um das "Outfit" des Gebäudes. Verblasste Farbe oder Risse im Putz können da schon für eine Herabstuftung ausreichen. 

Weniger Menschen, mehr Steuer

Während die Einwohnerzahl Rigas weiterhin von Jahr zu Jahr sinkt, steigen die Einnahmen aus der Immobiliensteuer: 2021 waren das insgesamt 111 Millionen Euro, 2025 werden es wohl noch 5 Millionen mehr werden. Die wegen Fassadenmängeln erhobene erhöhte Steuersumme machte 2015 noch 825.000 Euro aus, inzwischen stieg die Summe auf 3,3 Millionen Euro. "Das dürfte aber kaum für einen der Hauseigentüber überraschend gekommen sein," meint Vladimirs Ozoliņš, Chef der städtischen Immobilienbehörde. Erste Warnungen würden immer schon ein Jahr im voraus verschickt, und die Stadt sei immer offen für jegliche sachliche Vorschläge die Verbesserungen bringen könnten, auch in solchen Fällen, wo am Haus erst noch andere Arbeiten nötig seien. Außerdem gäbe es aber schon seit 2017 ein Angebot der Co-Finanzierung von Fassadenarbeiten durch die Stadt Riga. 2024 habe man so insgesamt 97 Projekte von insgesamt 2 Millionen Euro unterstützen können. 

Die Liste der "Grausti" in Riga - vielleicht besser mit "heruntergekommene" oder "schlecht erhaltene" Gebäude zu übersetzen - wird aber nicht kürzer, meint Ozoliņš. 2023 wurden 151 Objekte restauriert, 2022 wurde an 161 Objekten etwas getan. Aber die Erhaltungsmaßnahmen dauern eben meist immer etwas länger. ("IR") Beim Blick zurück zeigt sich, dass im Jahr 2011 nur 16 Gebäude in ganz Riga wieder in guten Zustand gebracht werden konnten, 2018 waren es schon 207 (lps)

Langzeitpatienten

Eines der bekanntesten Beispiele für ein sehr vernachlässigtes Gebäude ist das Haus Marijas iela 6, das schon seit Wiedererlangung der lettischen Unabhängigkeit auf ein "Facelifting", oder besser noch eine Komplettsanierung wartet. Geschaffen wurde das 1904 erbaute Haus in Bahnhofsnähe von einem der bekanntesten lettischen Architekten: Konstantīns Pēkšēns. Die Eigentümer wurden 1941 mit der gesamten Familie nach Sibirien verbannt, das Gebäude verstaatlicht; als eine Tochter schließlich 1993 nach Riga zurückkehrte, konnte sie das Eigentum zwar zurückerhalten, musste aber feststellen dass eine Renovierung riesige Geldsummen verschlingen würde. Inzwischen gibt es zwei verschiedene Eigentümer, aber erst 2015 wurde das nun seit 30 Jahren nicht mehr bewohnte Haus von der Stadt Riga in die Kathegorie der "vernachlässigten" (Grausti-)Häuser aufgenommen. Bis dahin wurde nur 488 Euro Immobiliensteuer pro Jahr verlangt. Seit Riga nun die abgestufte Verschärfung eingeführt hat, fallen immerhin mehr als 17.000 Euro pro Jahr an (TVnet / Dienas bizness). 

Im März 2024 brach in der Pētersalas ielā in Riga ein Haus zusammen, dass nach einem Brand drei Jahre lang unverändert gelassen wurde. (NRA) Um verlassene Häuser in Riga kümmert sich auch die Initiative "grauzti", wie zum Beispiel im Fall des Gebäudes Kalnciema iela 2b (Kas Jauns / TVnet)

6. März 2025

Dänisch einkaufen

Vor einiger Zeit schien sich der Wettbewerb der Lebensmittel-Ketten in Lettland vor allem bei der Wahl zwischen "Rimi" oder "Maxima" zu entscheiden. “Maxima Latvija” gibt es schon seit dem Jahr 2000, und ist im Besitz der litauischen Unternehmergruppe “Vilniaus prekyba” - die Werbung lautet hier: eine Million m² Verkaufsfläche, 2500 Läden in sechs Ländern (gegenwärtig 173 in Lettland), 7,8 Milliarden Euro Gesamtumsatz. Und auch das litauische "Aibė", 1999 gegrünet, hat inzwischen über 500 Läden in Lettland eröffnet. 

Ketten und Netzwerke

"LaTS", die Bezeichnung angelehnt  an die ehemalige lettische Währung, ist lettisch organisiert - von der lettischen Händlervereinigung ("Latvijas tirgotāju savienība"), die seit 2007 besteht. Wer hier die Marken-Nutzungsrechte von "Lats" erwirbt, wird gleichzeitig Mitglied der Händervereinigung. Hier sind gegenwärtig 270 Firmen mit insgesamt 700 Handelsplätzen zusammengeschlossen - das kann auch ein Café, eine Tankstelle oder ein Stand auf dem Wochenmarkt sein.
Und es gibt auch noch "Citro", erst 2019 gegründet, eine kleine Kette geführt von der lettischen "SIA Latvian Retail Management", mit 70 Läden.

"Lidl Latvija” gibt es seit 2016, nachdem einige Versuche auf dem lettischen Einzelhandelsmarkt Fuß zu fassen zuvor gescheitert waren. Schnelles Wachstum wurde u.a. auch durch die Pandemiefolgen gebremst, gegenwärtig unterhält "Lidl" in Lettland 34 Läden (18 davon in Riga).

Und auch die niederländische "Spar" hat die Fühler längst nach Lettland ausgestreckt: “SPAR Latvija”, oft nach dem Franchise-Prinzip  arbeitend, ist seit 2021 im Besitz einer lettischen Lizenz. Als im August 2022 der erste lettische "Spar-Markt" in Saldus eröffnet wurde, verkündete die Firmenleitung, innerhalb von fünf Jahren 500 Läden in Lettland betreiben zu wollen - inzwischen gibt es 25 (sieben davon in Riga). 2023 waren 23 Läden zu "Spar" gewechselt, die zuvor “ELVI Latvija” angeschlossen waren. Aber auch "Elvi", im Jahr 2000 als Franchise-Unternehmen gegründet, unterhält derzeit noch 80 Läden in Lettland (nur 7 davon in Riga) und wirbt mit besonderer "lettischer Atmosphäre".  (Liste aller Supermarktketten)

Flaggenwechsel 

Wie gesagt: es gab mal Zeiten, da waren vor allem "Rimi" und "Maxima" überall in Lettland präsent. Aber wer dann glaubte, wenn ich "nicht bei Maxima" kaufe, dann kaufe ich "lettisch", lag schon immer falsch. 1997 eröffnete der erste "Rimi" in Lettland, aber schon seit 2007 war die schwedische "ICA-Gruppe" alleiniger Besitzer von "Rimi Latvija". - Seit Anfang März 2025 nun aber nicht mehr: ICA verkauft sein gesamtes "baltisches" Segment für 1,3 Milliarden Euro an die dänische "Salling Group" - und fällt durch exklusive Wortwahl auf: nun wird nicht mehr "investiert", sondern "divestiert". Da schlagen wir besser nicht im Wörterbuch nach (denn dort steht "divest" auch für etwas rauben oder stehlen), sondern im Handbuch für Betriebswirtschaftslehre (= Kapitalfreisetzung durch Veräußerung von Vermögensgegenständen). Laut Wikipedia auch „Beendigung oder Aufhebung einer Investition“. (lsm)

Man wolle sich nun mehr auf den schwedischen Markt konzentrieren, so eine ICA-Pressemitteilung. "Rimi Baltic" hatte zuletzt 11.000 Angestellte und 314 Läden in allen drei baltischen Staaten (135 in Lettland). Im Gegensatz zum bisherigen schwedischen Besitzer betonen die neuen dänischen Eigentümer, ihr Unternehmen konzentriere sich schon lange auch auf das Geschäft außerhalb des eigenen Landes Dänemark. Zu "Salling" (bis 2018 noch "Dansk Supermarked A/S") gehören unter anderem auch "Starbucks" und der Discounter "Netto" (seit 1990 auch in Deutschland). 2019 hatte die Salling-Gruppe ihrerseits verkündet, sich aus Schweden zurückzuziehen (Lebensmittelzeitung). 

Wird es günstiger? 

Bei Lebensmitteln sei längst "europäisches Niveau" erreicht, stellte Ende 2024 eine Analyse des lettischen Radio fest, und fragte nach Gründen für teilweise "astronomisch hohe" Lebenmittelpreise (lsm). Die Redaktion hatte einen Einkaufskorb für Vergleichskäufe zusammengestellt, bestehend aus Mehl, Toastbrot, Milch, Zucker, Hühnerfilet, Eier, Äpfel, Kartoffeln und Orangensaft.

"Rimi" selbst schreibt: "71% der Käuferinnen und Käufer nutzen beim Einkauf Sonderangebote" - ein bekannter Markenname oder das Design der Verpackung dagegen seinen weniger wichtig. Sogar ob ein Produkt aus Lettland stamme oder nicht, sei von geringer Bedeutung. In einer anderen Umfrage sagen 40%, wenn es um Einsparungen gehe, würden sie es zuerst beim Lebensmitteleinkauf versuchen. 

"Latvijas Radio" verglich die Preise bei "Rimi", "Maxima" und "Lidl", und befragte zudem auch Lettinnen und Letten in verschiedenen anderen EU-Ländern. Es wird auch darauf hingeweisen, dass Menschen in drei EU-Ländern 20-25% ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben: Bulgarien, Rumänien und auch Lettland (in anderen EU-Ländern unter 15%). 

Beim Blick auf die Kassenzettel der drei getesteten Anbieter muss vielleicht hinzugefeügt werden, dass für das Jahr 2024 "Maxima" wie auch "Rimi" Gewinne bilanzierten, während "Lidl Latvia" 14,8 Millionen Euro Verluste verbuchte. Die langfristige Strategie von "Lidl" sei es, den niedrigsten Preis mit der besten Qualität für einen täglichen Warenkorb an Lebensmitteln zu bieten, heißt es. Eine Sprecherin von "Rimi" wies darauf hin, dass dort 700 Produkte unter dem Label "wahrscheinlich den niedrigsten Preis auf dem Markt" angeboten würden, eine Preislage, die jede Woche neu überprüft werde. (lsm)

Für Deutschland wurde zwar festgestellt, dass für den festgesetzten Warenkorb etwas mehr Geld bezahlt werden muss - aber der durchschnittliche Einkommensunterschied beider Länder sei auch enorm: wer mit Mindestlohn arbeiten muss, verdiene in Deutschland etwa 2000 Euro monatlich, in Lettland aber nur 700 Euro, so heißt es. 

Regionale Verhältnisse

Eine Kommission des lettischen Parlament macht sich derweil Sorgen um den Anteil einheimischer, also lettischer Produkte im Lebensmittelsortiment.  Eine Studie des lettischen Wirtschaftsministeriums weist für Brot einen (lettischen) Eigenanteil von 80% und bei Fleisch von 60% aus. Bei "Rimi" liege der Anteil lokaler Produkte bei insgesamt 30-40%, bei "Maxima" allerdings nur bei 20-30%. Jānis Šolks vom Verband der lettischen Milcherzeuger weist darauf hin, dass bei einem so einfachen Produkt wie pasteurisierter Milch der Eigenanteil von Milch aus Lettland nur bei 50% liege - die andere Hälfte stamme aus Estland und Litauen. (lsm)

Iveta Liniņa, Professorin an der Hochule Turiba in Riga, weist darauf hin, dass die geopolitische Lage wohl die "ICA-Gruppe" dazu bewegt habe, "Rimi" zu verkaufen. Schließlich habe auch die schwedische "Södra" erst kürzlich beschlossen, ihren gesamten Besitz an lettischen Waldflächen zu veräußern. ("IR") "So wie es aussieht, wollen sich die Schweden vielleicht auch auf Distanz zur östlichen Grenze der EU bringen", vermutet die Ökonomin. Es sei aber auch ein Kaufkraftrückgang in Lettland zu beobachten. (lsm)

Zudem habe sich die Hoffnung auf ein starkes Wirtschaftswachstum in den baltischen Staaten vorerst zerschlagen, meint Henriks Danusēvičs, Präsident der lettischen Händlervereinigung. Zudem habe der Markteinstieg von "Lidl" einen Teil des Marktes weggenommen. Dass aber insgesamt die schwedischen Investitionen in Lettland nicht zurückgegangen sind, bestätigt auch Laura Štrovalde, Chefin der lettischen Investitionsagengtur (Latvijas Investīciju un attīstības aģentūras LIAA): "Von insgesamt 25,8 Milliarden Euro an Investitionen halten schwedische Unternehmen gegenwärtig einen Anteil von 30,5%", berichtet sie. (lsm)

17. Februar 2025

Bienenfrei

Ein Land wo Milch und Honig fließt - eigentlich keine große Utopie. Kühe und Bienen - dort, wo die Landschaft noch nicht komplett gewinnbringend und Ressourcen verbrauchend durchgetaktet ist, eigentlich keine besondere Erwähnung wert.
Gut, heutzutage haben sich einige Menschen ausgedacht, keine Milch mehr konsumieren zu wollen - und ob jeder Haushalt ein Glas Honig im Regal stehen hat, ist vielleicht auch unsicher. Bei der Nützlichkeit der Bienen dagegen scheinen sich die meisten einig zu sein. 

Nun kam in den vergangenen Monaten auch in Lettland die Frage auf, ob das denn überhaupt Honig ist, was in den Supermarktregalen zum Verkauf steht. 20 Honigproben wurden getestet, davon erreichten weniger als ein Drittel (nur 14 von 20) die allgemeinen Qualitätsstandards. "Was dort auf den Verpackungen als Inhalt ausgewiesen wird, ist das überhaupt Honig?" fragt sich auch Baiba Tikuma vom lettischen Imkerverband (Latvijas Biškopības biedrība LBB). 3300 Imkerinnen und Imker haben sich im 1994 neu gegründeten LBB vereinigt, laut Selbstaussage sind das zwei Drittel aller Imkerbetriebe in Lettland. ("IR")

Der Imkerverband beruft sich auf Kontrollen des lettischen Lebensmittel- und Veterinärdienstes ("Pārtikas un veterinārais dienests"), ausgelöst durch neue Untersuchungsmethoden des estnischen Labors "Celvia" (siehe auch: ZM). Die zuständige lettische Behörde versucht sich hier an einer grundlegenden Definition: "Honig ist eine natürliche, süße Substanz, die von Bienen (Apis mellifera) aus dem Nektar von Pflanzen gewonnen wird." Viel Aufsehen erregte eine Untersuchung von Honig in deutschen Supermärkten, wo ebenfalls die meisten Proben als "nicht echt" eingestuft wurden (Bienenjournal, NDR, ZDF, SWR, Verbraucherzentrale)

Honig nicht gleich Honig? 

Schon 2023 waren Studien im Auftrag der Europäischen Kommission veröffentlicht worden, denen zufolge der Verdacht aufkam, vielen Honigsorten werde unzulässigerweise einfach Sirup beigemischt. Grundlage der neuerlichen Tests war offenbar das Interesse des estnischen Honivermarkters "Nordmel", Honig nach Japan zu exportieren. "Celvia" hatte in Zusammenarbeit mit Hunderten von freiwilligen estnischen Imker/innen eine Datenbank für estnischem Honig erstellt.

 „Die DNA-Analyse erkennt alle Arten von Pflanzen, Bakterien, Pilzen und Insekten, mit denen Honigbienen und Honig in Kontakt kommen", erklärt "Celvia"-Repräsentant Kaarel Krjutškov. "Die DNA -Sequenzen von Hunderten und Tausenden von Arten beschreiben die Zusammensetzung von Nektarpflanzen und ermöglichen unter anderem die Überwachung von Bienenpathogenen und Parasiten. Gleichzeitig hilft das DNA-Profil dabei, die Authentizität und den Ursprung des Produkts zu identifizieren, da die Pflanzen den geografischen Bereich der Biene zeigen“.  

Unlauterer Wettbewerb?

Lettische Imkerinnen und Imker fordern nun eine einheitliche Regelung für alle Länder der Europäischen Union: erstens die Anerkennung der DNA-Testmethode, und zweitens soll alles, was dort als nicht natürlich identifiziert ist, nur noch als "künstlicher Honig" verkauft werden dürfen (PVD).  

Allerdings gibt es auch auf dem lettischen Honigmarkt Tendenzen, die ungewöhnlich wirken. In Lettland gibt es fast 5000 Honigerzeuger (siehe LBB), da möchten manche gern durch besondere Angebote auffallen: Honig mit Johannnisbeer- oder Himbeer-Zugabe, oder "Schokoladenhonig" sind da nur Beispiele. Ein Beerenanteil von 30% pro Glasinhalt scheint ziemlich üblich - und sogar Beeren vom Schneeballstrauch oder vom Chinesischen Limonenbaum (lettisch "Citronliāna") können sich im Honigglas wiederfinden (z.B. meduspils). Zwar gilt wohl das Argument "alles auf Grundlage des Naturprodukts", aber dem könnte zum Beispiel entgegen gehalten werden, dass zum Beispiel Schokolade ja nicht mit in Lettland hergestellten Rohstoffen hergestellt wird. 

Stolz auf die eigene Ernte

Der Imkerverband empfiehlt die Kennzeichnung regionaler (lettischer) Produkte mit “Ievākts Latvijā” (sinngemäß: "geerntet in Lettland"). Damit sei garantiert, dass keine Zweitvermarkter am Werk waren, es sich nicht um ein Mischprodukt handle, und der Honig "nicht aus der Ukraine, China, oder anderen Ländern" komme. (Meduspils)

Gemäß Umfragen der Agentur SKDS geben 68% der Verbraucherinnen und Verbraucher in Lettland an, Honig als Zusatz zu Getränken wie Tee, Kaffee, Wasser etc. zu verwenden. 26% nutzen Honig als Bestandteil der Essenszubereitung, so dieselbe Umfrage. 

Um Honig im öffentlichen Bewußtsein präsent zu halten, baut das lettische Honig-Marketing unter anderem auf das "Honigfrühstück" ("Eiropas medus brokastis") - eine Kamapgne, die 2007 in Slowenien zuerst durchgeführt wurde. Seit 2013 besuchen auch in Lettland Imkerinnen und Imker Schulen und verteilen Honig-Kostproben (Sala, Talsi, Vecsaule, Daugavpils, Taurupe, Valmiera, Priekule, Staļģene, und viele andere). In Deutschland berichtete zwar das "Bienenjournal", mitmachende Schulen gab es jedoch bisher nicht. 

Eine andere lettische Inititave versucht, bestimmte Orte zu "Bienenbotschaften"("Bišu vēstniecības") zu erklären. Diesem Konzept hat sich das Hotel "Janne" in Riga angeschlossen. Ein kleines 3-Sterne-Hotel im Ortsteil Āgenskalns, das auf dem Dach eigene Bienenstöcke ("Bienenhäuser") betreibt. "In Āgenskalns sind Linden weit verbreitet, die die Hauptnektarquelle für Jannes-Bienen darstellen", heißt es hier.

Kundenfragen und Zunftsvisionen

Um aber mit billigen Massenprodukten konkurrieren zu können, zählt auch die Ästhetik. "Manchmal bildet sich etwas weißer Schaum auf dem Honig im Glas", gibt Imkerin Baiba Tikuma zu, "und in Internetforen wird dann gefragt: Ist das gefährlich?" Verbraucherinnen und Verbraucher mögen es eben gern transparent und sauber. ("IR") In diesem Fall sind es aber nur Luftbläschen - die sich vor allem dann bilden, wenn wenig Wasser im Honig vorhanden ist – also eher ein Qualitätsmerkmal.

Laut lettischem Amt für Statistik ist die Honigproduktion in Lettland stark angestiegen: waren es 2013 noch 1555 Tonnen, so waren es 2023 schon 2319 Tonnen. Der Verbrauch jedoch geht zurück: gegenwärtig sind es pro Jahr und Einwohner/in noch 710 Gramm - fast 100g weniger als vier Jahre zuvor ("IR"). In Deutschland dagegen deckt heimischer Honig nur 30% des Bedarfs. Imkerin Baiba Tikuma hat einen interessanten Vorschlag für die Zukunft in Lettland: "Bei uns hat doch jeder seinen eigenen Zahnarzt, jeder und jede den eigenen Friseur. Warum nicht auch den eigenen Imker oder Imkerin? Das ist doch genauso eine Frage der Gesundheit!" ("IR")

19. Januar 2025

Alles für die Katz

Wird 2025 ein gutes Jahr für Lettland? Schon am fünften Tag des neuen Jahres waren viele überzeugt: ja, ganz bestimmt! An diesem Tag wurden die "Golden Globes" verliehen, und als Ergebnis könnte man ausrufen: "Alles im Flow!". 300 in Hollywood akkreditierte ausländischen Pressejournalistinnen und -journalisten aus etwa 80 Ländern stimmten ab über die Filme des Jahres 2024. (lsm)

"Flow" ist der Titel eines Animationsfilms, ein Produkt belgisch-französisch-lettischer Produktion: das Studio "Dream Well" in Lettland (extra für diesen Film gegründet), "Sacrebleu Productions" aus Frankreich und "Take Five" aus Belgien. Der lettische Titel "Straume" ("Strom / Strömung") weist auf das Grundthema hin: Tiere fliehen vor einer riesigen Flutwelle. (Trailer). Nun also auch mit dem "Golden Globe" prämiert, als erster Film aus Lettland überhaupt. 

Kein Stubentiger

Regisseure und Produzenten, von links: der Franzose
Ron Dyens, Gints Zilbalodis und Matīss Kaža
Für "Straume" steht vor allem Gints Zilbalodis: Regisseur, Drehbuchschreiber (zusammen mit Matīss Kaža) und Co-Produzent (zusammen mit Matīss Kaža, Ron Dyens, Gregory Zalcman). Und zusammen mit Rihards Zaļupe stammt auch die Musik von ihm. Das belgische Studio „Take Five“ war für einen Teil der Postproduktion von „Flow“ verantwortlich. "Vielen Dank, dass Sie sich für unseren kleinen Katzenfilm entschieden haben", so wird Regisseur Zilbalodis nach der Preisverleihung zitiert (fold).

"Flow" feierte in Cannes seine Weltpremiere und hatte als Deutschlandpremiere die 66. Nordischen Filmtage Lübeck eröffnet. Von lettischer Seite wird gerne auch die vermeintliche "Moral" der Filmgeschichte, die ganz ohne Dialoge und Sprache auskommt, betont: Tiere nutzen ihre Fähigkeiten und kooperieren - eine tierische Schicksals-Gemeinschaft trotzt auf einer Arche der Sintflut. Auch die belgische Seite betont ihren Anteil am Erfolg: "Da der Film keine Dialoge enthält, ist die Intensität des Klangs sehr entscheidend für das Endergebnis und die Wirkung auf den Zuschauer." (vrt)

Lettisches Produkt in schwierigen Zeiten

48 weitere Preise habe der Film zwischen der Premiere in Cannes und dem "Golden Globe" bereits eingesammelt, so die lettische Presse - und inzwischen sei es Tradition beim Filmteam, nach jeder Preisverleihung einen ordentlichen "Burger" zu essen (IR / Facebook). Schon im November 2024 wurde Gints Zilbalodis zum "Rigenser (Einwohner Rigas) des Jahres" ernannt. (tv3) Im Dezember kam auch noch der Titel als "Europäer des Jahres" (verliehen von der Europabewegung Lettlands) hinzu.

Sehr besonders sei auch, dass der Film mit Software erstellt wurde, die im Prinzip überall kostenlos erhältlich sei, so heißt es. Angebote, in Hollywood zu arbeiten, habe Gints Zilbalodis ablehnt - er arbeite bereits an seinem nächsten Film, möchtet aber nicht nur als "Regisseur von Katzenfilmen" in Erinnerung bleiben, kündigt er an (Jauns). 

auch Karikaturist Gatis Šļūka thematisiert
die neuen lettischen Filmhelden

"Wir haben den Film ja in einer sehr unruhigen Zeit hergestellt,"sagt Produzent Matīss Kaža. "Erst die Covid-Pandemie, und dann der Krieg in der Ukraine." Es sei außerdem eine Zeit beängstigender Veränderungen, die nur mit Hilfe von Empathie, Verständnis und Zusammenarbeit überstanden werden könne. (IR) "Eigentlich schien doch schon die Nominierung für den 'Golden Globe' der größte Erfolg für die lettische Filmindustrie zu sein, gerade neben diesen Multimillionen-Dollar-Giganten", so Kinokritikerin Dita Rietuma; ihr kam die Preisverleihung wie ein ganz besonderes Geschenk vor, denn sie fand genau am Tag ihres Geburtstages statt.

Ganz tierisch

"Was bewegte Sie dazu, diesen Film zu machen?" wird Zilbalodis nach der Preisverleihung gefragt. Antwort: "Meine Katze" (Interview) und er verrät auch: "Alle meine bisherigen Filme waren ohne Dialoge. Und wir haben die Tiere sich wie Tiere verhalten lassen, nicht wie Menschen." (siehe making of) Zilbalodis betont auch, dass aufgrund des engen Finanzrahmens sehr exaktes Arbeiten gefragt war: "Wir haben nichts gedreht, was wir später wieder vernichtet hätten," meint er.


"Wir haben uns bei unserer Story keine Gedanken darüber gemacht, wo denn in dieser Geschichte die Menschen geblieben sein könnten", meint Gints Zilbalodis (Interview). Mit den eigenen Ängsten zu leben, dass lerne seine tierische Hauptfigur im Laufe des Films, meint er. Und die Zuschauer sollen lernen, genau hinzusehen. Erst kurz vor der Premiere in Cannes sei der Film fertig geworden, und es sei dann doch sehr befriedigend gewesen wie das Publikum dort reagiert habe, meint er - und freut sich, dass "Flow" nun wohl der am meisten in der ganzen Welt verbreitete Film aus Lettland sein wird, ganz ohne die Mühe einer Überetzung. 

Symbolik im Trend?

Steht der Erfolg dieses Films auch für andere gesellschaftliche Trends? Für den Kampf fürs Klima und gegen drohende häufige Überschwemmungen? Von lettischer Seite ist dazu nichts zu hören oder lesen. Im Film ist das auch kein Thema. Notwendigkeit zur Zusammenarbeit, Gemeinschaft, Mitgefühl, Liebe - das ja. "Eine großartige emotionale Reise, die in der heutigen zynischen Welt äußerst selten ist", meinte eine lettische Kinokritikerin schon im August 2024, als der Film in die lettischen Kinos kam (IR). Die lettische Zeitschrift "Kinoraksti" fragt sogar nach einem möglichen "Zeitalter der Katzenhaftigkeit", mit Bezug auf die Häufung niedlicher Katzenvideos im Internet - und bemerkt aber auch, das in diesem Film die Katze völlig namenlos bleibt. 

Das Filmteam auf dem Rückflug nach Lettland, unterstützt
auch von der heimischen "Air Baltic"

Bereits viel diskutiert wurde offenbar in den lettischsprachigen sozialen Netzwerken über die Farbe der Katze im Film: schwarz, oder doch eher dunkelgrau? "Eher dunkelgrau", stellt der Schöpfer des Tieres klar (Facebook). Die lettische Presse berichtet indessen begierig über weitere lettische Erfolge: so habe "Straume / Flow" allein in Mexiko innerhalb von nur zwei Wochen schon eine Million Zuschauer gehabt. (LA)

Lettische Sintflut auch für deutsche Kinos?

Was sagt das deutsche Publikum? Erst Anfang März wird "Flow" in den deutschen Kinos zu sehen sein. Einige Kritiken gibt es schon: Joachim Kurz sieht sich für "Kino-Zeit" auf "Augenhöhe mit einer namenlosen Katze" und diese "als Illustration und Umsetzung von Überlegungen über die Erde ohne den Menschen einerseits und über die Folgen des Klimawandels andererseits". Und "Polyfilm" (Österreich) titelt: "Wie die Katze ihre Angst vor dem Wasser verlor."

Nicht so überzeugt wirkt die Schweizerin Viktoria Engler für "What the film".  Zwar outet sie sich als "eingefleischte Animationsfilm-Liebhaberin", Bei knapp 90 Minuten Film konstatiert sie "biblische Ausmaße" - vielleicht wegen dem Boot, das ähnlich einer Arche Tiere vor der Sintflut rettet? Lob gibt es für "das viele Wasser" im Film, das "schwierig zu animieren" sei. Die Handlung jedoch sei stark von der visuellen Atmospähere getragen, weniger von spannendem Verlauf. "Zu seicht" - so hier das Urteil, mit etwas milderem Fazit: "Es gibt zu wenige Werke, die sich auf nicht-Menschliches konzentrieren; mit solchen Filmen kann man eventuell ein grösseres Verständnis für die Natur und ihre Bewohner schaffen."

Der "Goldene Globus" hat - unter Katzenbewachung -
bereits einen Platz im Nationalen Kunstmuseum gefunden

Prädikat "Besonders wertvoll" heißt es bei der "Deutschen Film- und Medienbewertung" (FBW). Die Jury formuliert es so: "eine fesselnde Fabel, die nicht nur durch ihre eindrucksvolle Animation und ihr starkes Sounddesign überzeugt, sondern auch durch ihre tiefgreifenden Themen von Umweltzerstörung, Vergänglichkeit und zwischenmenschlichen Beziehungen." (freigegeben ab 6 Jahren)

Anfang März 2025 wird "Flow" auch in die deutschen Kinos kommen. Der Film ist auch für den "Oscar" nominiert. Zu den vielen Kooperationspartnern gehörte das Nationalen Lettischen Filmzentrum, die Staatlichen Kulturstiftung Lettlands, Eurimages, das Französische Nationale Filmzentrum, Arte, Canal+ sowie verschiedene regionale Stiftungen und Förderprogrammen in Frankreich und Belgien.

27. Dezember 2024

Wer dreht am Rad?

Ein Riese für alle

Es sollte eine der größten Attraktionen der Stadt Riga werden: bei gutem Wetter sollte es möglich werden, von hier aus das Meer (die Ostsee) zu sehen. 10 Millionen Euro soll es gekostet haben und ist heute für alle, die von Rigas Altstadt aus über die Daugava auf die andere Flußseite blicken, unübersehbar. Am Rande dessen, was früher "Siegespark" ("Uzvaras parks") hieß, steht nun Rigas 65m hohes "Panorama-Rad".
Über den Bauherrn und Eigentümer hieß es anfangs nur, es sei eine Firma "RPR operator”, die in Litauen registriert sei. (lsm / LA) Deren Repräsentant Dimitrijs Uspenskis vertritt die Betreibergesellschaft auch gegenüber der Presse. 

Inzwischen ist "RPR Operators" auch als Unternehmen in Lettland registriert und wurde ursprünglich von Dmitrijs Uspenskis gegründet. Doch nun ist der eigentliche Nutznießer der in Russland geborene Geschäftsmann Rustam Gilfanov, der seit März 2022 die Anteilsmehrheit des Unternehmens übernahm. Über "Racoonstruction Holding Limited", ein in Malta registriertes Unternehmen, besitzt er 55 % der Kapitalanteile von RPR Operator, während die anderen Eigentümer das Unternehmen "Panoramica" (Dimitrijs Uspenskis, Darja Uspenska und Anatolys Predkel) sind.

Nach Geldquellen wird nicht gefragt

Mitte Dezember wurden die letzten Bauarbeiten am neuen Riesenrad beendet, nun soll noch eine Sicherheitsprüfung folgen bevor alles der Öffentlichkeit übergeben werden soll. Aber Fragen nach dem Investor bei RPR, der dieses Projekt jetzt finanziere, werden nicht so gerne beantwortet - so ein Bericht in der lettischen Zeitschrift "IR".
Rustams Gilfanovs, 1983 in der Gegend des russischen Perm geboren, ist auch schon der lettischen Sicherheitspolizei bekannt: seine befristete Aufenthaltserlaubnis wurde nur wegen seinen Investitionen in die lettische Wirtschaft verlängert. ("IR") Bekannt ist über ihn, dass er Studienabschlüsse in Rechtswissenschaften an der Staatlichen Universität Udmurtien vorweisen kann, und zusammen mit anderen Geschäftspartnern früher schon mal mit "Lucky Labs" in der Glückspielbranche (Software) tätig war, auch in der Ukraine. Nach dem von Russland in der Ostukraine  begonnenen Krieg habe Gilfanovs dann bis 2018 auf der Sanktionsliste der Ukraine gestanden, berichtet "IR". Laut lettischem Unternehmensregister ist aber seit 2022 als ständiger Wohnsitz Lettland angegeben; als russischer Staatsbürger taucht er nun nicht mehr auf, denn inzwischen ist er Bürger eines Karibikstaates geworden: der Föderation des Inselstaats St. Kitts und Nevis. Diversen Internetseiten zufolge lässt sich diese Staatsbürgerschaft gegen Zahlung einer gewissen Geldsumme erwerben. (IR / lsm)

so stellen sich die Erbauer den Ausblick vom
neuen Riesenrad auf Riga vor

2019 erhielt die Firma "RPR Operators" die Baugenehmigung für das Riesenrad, als einzige Bewerberin auf eine entsprechende Ausschreibung. Im Oktober 2019 wurde ein Vertrag mit 30 Jahren Laufzeit abgeschlossen, die gesetzlich maximal mögliche Dauer. Zu dieser Zeit war das Bürgermeisteramt gerade von Nils Ušakovs auf Oļegs Burovs (GKR) übergegangen, der das Projekt mit den Worten bewarb: "Wollt ihr Pārdaugava entwickeln, dann müsst ihr dafür stimmen." Und Vladimirs Ozoliņš, Chef des Immobiliendezernats der Stadtverwaltung meint: "Wir hoffen, dass dieses Riesenrad 30 Jahre hält." Einige Medien berichten, nach Ablauf der 30 Jahre Vertragslaufzeit gehe die Anlage in das Eigentum der Stadt Riga über (Jauns / LTV).

Recherchen der Zeitschrift "IR" zufolge hatte RPR bis Anfang 2024 Schulden in Höhe von 300.000 Euro angehäuft. "Die Stadt Riga hat keine Möglichkeiten zu überprüfen, aus welchen Quellen das Geld eines Invetors stammt," meint Vladimirs Ozoliņš. "Wir überprüfen ihre Bankkonten nicht", sagt er und fügt hinzu, 2019, als über das Projekt entschieden worden sei, seien bezüglich des Unternehmens keine Unregelmäßigkeiten festgestellt worden.

Neue Skyline

Der Vertrag sah vor, dass die Bauarbeiten innerhalb von drei Jahren abgeschlossen sein sollten - aber durch die Pandemie traten Verzögerungen ein, das Bauamt prüfte die Unterlagen fast ein Jahr lang. "Wir sind ja kein Land mit vielen solchen Riesenrädern, die Bauverwaltung hatte wenig Erfahrung mit solcher Art Ingenieursarbeiten," sagte Ozoliņš, nicht ohne einen Vergleich zu wagen mit dem Eiffelturm in Paris.

Lange wurde überlegt, welchen Effekt das neue Bauwerk auf die Stadtsilhouette am linken Daugavaufer haben würde, und wie man es für einen möglichst positiven Eindruck ausrichten müsste. Anfang 2023 begannen dann die Bauarbeiten. Aber eigentlich hat der Boden dort seine Tücken - durch die in der Nähe fließende Mārupīte bleibt der Boden schlickhaltig. Der Bau wurde durch 122 Pfähle stabilisiert, die Hälfte davon bis zu 30m tief im Boden verankert. Auf diese Weise soll das 65m hohe Riesenrad auch starken Windböen trotzen können. 1200 m³ Beton wurden verbaut. 

"Weltweit ist unsere Anlage eher mittelgroß," meint RPR-Vertreter Dimitrijs Uspenskis, "denn London, Las Vegas oder in Skandinavien sind andere Maßstäbe gesetzt worden. Aber unser Riesenrad ist groß im Verhältnis zu unserer Stadt“. Es gibt 30 beheizte Kabinen mit jeweils acht Sitzplätzen. Splittergeschütztes Spezialglas wurde aus Spanien geliefert. "Wir hoffen, dass auch diese Bauweise zu einem Exportprodukt werden kann," erläutert Uspenskis, "anderswo in Europa sind ja Riesenräder in Betrieb, die aus den 1970iger und 1980iger Jahren stammen." (IR)

Die Rigaer Variante ist von der Architektengruppe A.I.D.E. entworfen worden, unter Leitung von Jānis Rinkevičs. Monteure kamen auch aus den Niederlanden und Polen, die Aufsicht hatte der deutsche TÜV Rheinland. 

Vergnügungsaussichten

Eine Fahrt im "Panorama-Rad" soll zukünftig 15 Minuten dauern, und so 10 - 12 Euro kosten - allerdings je nach Saison unterschiedlich. Um die 25 Angestellte wird es benötigen, das Rad jeden Tag, Sommer wie Winter, in Betrieb zu halten. "Wir wollen einen Platz schaffen, wo sich Menschen mit der ganzen Familie mehrere Stunden aufhalten können", sagt Uspenskis. Und er betont auch, dass die Stadt Riga hier keine Steuergelder für ein Projekt ausgeben musste - aber von den Betreibern jährlich 24.500 Euro Miete einnimmt. Mindestens alle sechs Jahre soll die Höhe dieser Miete überprüft werden - von zertifizierten Gutachter/innen.

Haben die Planungsbehörden den richtigen Standort gewählt? Es gibt durchaus Menschen, die ganz in der Nähe wohnen - bisher sind von den Bewohner/innen dort nur Sorgen um mögliche Geräuschbelastung und zunehmenden Straßenverkehr zu vernehmen. Anfangs waren auch andere Standorte, wie zum Beispiel an der Esplanāde nahe der großen orthodoxen Auferstehungskirche geprüft, aber wieder verworfen worden. "Beachtet muss vorallem die Erreichbarkeit, denn dieser Ort wird täglich von Hunderten Menschen besucht werden," meint Stadtplaner Viesturs Celmiņš. Er macht sich Sorgen, dass wegen fehlender Parkmöglichkeiten die Besucher/innen dann überall die Straßen in der Nähe zuparken könnten. 

Es wird aber sicher Leute geben, die ungeduldig auf die Eröffnung warten. Umfragen ergaben, dass 62% der lettischen Bevölkerung das Riesenrad "bestimmt" oder "wahrscheinlich" nutzen würden (TV3 "ganz bestimmt nicht" antworteten 11%). Andere fragen sich, ob die Tatsache, dass der Investor möglichweise auf einer Ukraine-Sanktionsliste zu finden ist, das fast fertiggestellte Projekt doch noch verhindern kann. Der aktuelle Rigaer Bürgermeister Vilnis Ķirsis sagte kürzlich in einem Interview: "Die Stadt Riga hat mit diesem Bauvorhaben nichts zu tun." (LA) Die Stadt sei keine Ermittlungsbehörde (jauns).

22. Dezember 2024

Sitzen bleiben, bitte!

Im lettischen Parlament (der Saeima) gelten strenge Regeln. Natürlich gibt es Regeln für die Parlamentsarbeit, und die sind in der Parlamentsordnung festgelegt - erstmals beschlossen 1994, zuletzt geändert 2019. "Die Saeima besteht aus einhundert Volksvertreter/innen", so finden wir es beispielsweise dort formuliert. Jedes Parlamentsmitglied muss vor Amtsantritt durch einen Schwur (in lettischer Sprache) versichern, Lettland gegenüber loyal zu sein, seine Souveränität und die lettische Sprache als einzige Amtssprache zu stärken, Lettland als unabhängiges Land und den demokratischen Staat zu verteidigen und die Verfassung und die Gesetze Lettlands einzuhalten.

Gewählt um dabei zu sein

Jedes Mitglied der Saeima ist aber auch verpflichtet, sich an der Arbeit der Saeima zu beteiligen - für den Fall unangekündigten Nichterscheinens drohen Geldstrafen oder Gehaltsabzug. Wer es dem Parlamentspräsidium vorher mitteilt, darf auch mal eine Woche fehlen. Dabei werden Transportkosten extra vergütet. Im Gegenzug wird die Anwesenheit von Parlamentsmitgliedern bei den Sitzungen gleich mehrfach kontrolliert: nicht nur bei Beginn, sondern eigentlich bei jeder Abstimmung, wo die Beschlussfähigkeit eines Gremiums festgestellt werden muss. 

Parlament aus der Ferne

Dennoch gibt es offenbar in den seitenlangen Vorschriften noch Lücken. Die pandemischen (Corona-)Zeiten brachten es mit sich, dass viele ihre Arbeit im "Homeoffice" (lett. "attālināti", aus der Entfernung) erledigen mussten oder wollten. Schon 2015 beschloss das lettische Parlament Änderungen im Gemeindeverwaltungsgesetz, die eine Teilnahme an Ausschußsitzungen auch per Videokonferenz möglich machte - damals sicher als "modernes Zugeständnis" an den Trend zur Digitalisierung gedacht (saeima)

Gegenwärtig aber wirken online Zugeschaltete wohl eher als "teilweise Abwesende". Besonders negativ fällt auf, wenn die Qualität der Ton- und Bildübertragungen zu wünschen übrig ließen, und im Ergebnis dann einzelne Meinungsäußerungen und Wortmeldungen nur schlecht oder gar nicht zu verstehen waren. Einige lettische Medien und Internetportale haben Aufzeichnungen solcher Ausschußsitzungen veröffentlicht, wo per Internet zugeschaltete Teilnehmer/innen fast gar nicht zu verstehen waren, und die jeweiligen Ausschußvorsitzenden dann froh waren, wenigstens das Abstimmungsergebnis korrekt wiedergeben zu können (de facto). 

Regionale Termine gegen zentrale Sitzungen?

Nun haben aber einige Abgeordnete schon sehr oft nur "online" an Sitzungen teilgenommen; wer zum Beispiel im Küstenort Liepāja wohnt gibt gern als Argument an, für eine einzelne Sitzung 2x drei Stunden Autofahrt in Kauf nehmen zu müssen. Bei einer Sitzung des Ausschusses für Europafragen im November sollen gleich neun von 14 Personen nur "zugeschaltet" anwesend gewesen sein. Die Beschlußfähigkeit hat das bisher nicht beeinträchtigt, und einige Abgeordnete argumentieren auch, auf diese Weise "mehr Zeit für den Kontakt zur Wählerschaft vor Ort" zu haben.

Wer sich aber bemüht, bei Sitzungen auch persönlich dabeizusitzen,  könnte sich auch benachteiligt fühlen, wenn Kolleginnen und Kollegen sich entscheiden lieber nur online präsent zu sein - und es sich zu Hause "bequem machen", oder sich sogar aus dem Auto zuschalten lassen. Es entstehen auch rechtliche Fragen: laut Gesetz soll immer gleichzeitig abgestimmt werden; wenn aber zwischen einer Abstimmung vor Ort und der Feststellung des übrigen Abstimmungsergebnisses Zeit vergeht besteht auch die Gefahr, dass das eine das andere beeinflussen kann. So haben dann einige Gremien beschlossen: aus der Ferne teilnehmen geht, aber abstimmen kann nur, wer vor Ort anwesend ist. Schließlich könne ja niemand wissen, was abseits des Bildschirmausschnitts vor Ort bei jemand vorgeht (sitzt vielleicht jemand daneben mit einer Pistole?) (defacto)

Regel oder Ausnahme?

Gegenwärtig werden Gesetzesänderungen vorbereitet, die eine Teilnahme online an Sitzungen nur noch in Ausnahmefällen oder Krisensituationen erlaubt. Denn die Begründungen, warum einzelne Abgeordnete teilweise mehr als 10x innerhalb von zwei Monaten nur "aus der Ferne" teilgenommen haben, fallen bisher recht simpel aus: "Es ist einfacher", oder auch: "Ich habe noch andere Termine". Das erinnere doch an Lügen in der Schule, meint Verfassungsrechtler Edgars Pastars. "Herr Lehrer, mein Hund hat mein Aufgabenheft gefressen - so an diese Art Entschuldigungen erinnert es doch," meint er. (TVNet) Immerhin bekämen die einfachen Parlamentsmitglieder in Lettland gegenwärtig 4220 Euro netto - und das sei auch für entstehende anfallende Kosten am Sitzungsort gedacht, heißt es. (lsm)

12. Dezember 2024

Neues für Wahlwillige

Für diejenigen, die vielleicht zweifeln, ob es in Lettland wirklich demokratisch zugeht, ist es vielleicht lehrreich sich mit dem Ablauf so einer Wahl in Lettland mal zu beschäftigen. Meist haben wir ja nur die eigenen Erfahrungen im Kopf: Erststimme, Zweitstimme, das war's (und wird im Februar 2025 wieder sein). Gewählt wird 2025 aber auch in Lettland: am 7. Juni 2025 stehen für ganz Lettland Kommunalwahlen an. Bis zum 8. April spätestens müssen die Wahllisten von Parteien oder Parteigruppierungen eingereicht werden.

Wählerinnen und Wähler können in Lettland nicht nur für eine Parteiliste stimmen, sondern ergänzend dazu bei allen Kandidat/innen auch positive Wertungen (durch ein + neben ihrem Namen) oder negative Wertungen (durch Streichen ihres Namens) Liste abgeben. Diese Vorzugsstimmen beeinflussen dann auch das Gesamtergebnis. 

Zettelwirtschaft, neu sortiert

Also, wer in Lettland wählen möchte sollte wissen, dass es nun im Detail kleine Änderungen bei diesem Verfahren gibt. In Deutschland ist es meist nur ein einziger Wahlzettel (der auch aus mehreren Teilen bestehen kann), den aber alle Wählerinnen eines Wahlbezirks bekommen und, ergänzt durch ihre Wahlkennzeichnung, auch wieder in die Wahlurne stecken. Was aber in Lettland anders ist: nach der Identitätsbestätigung im Wahllokal erhält jede/r Wähler/in einen vollständigen Satz Stimmzettel mit allen für den Wahlkreis zugelassenen Wahllisten, dazu einen Wahlumschlag mit dem Stempel der zuständigen Wahllokalkommission – ein ziemlich dickes Paket. Aus den zur Verfügung stehenden Parteilisten wird dann die Liste der eigenen Wahl herausgesucht - und kann auch ganz ohne Markierungen oder Ankreuzen in die Wahlurne gesteckt werden. Wer möchte, kann dann auf diesem selbst ausgewählten Wahllistenzettel die oben erwähnten Personenstimmen bzw. Kennzeichnungen hinzufügen - und nur dieser Zettel findet den Weg in die Wahlurne. 

Um diesen Vorgang zu erleichtern, hat das zuständige lettische Wahlamt nun eine neue Optik für zukünftige Wahlzettel entworfen. Bisher konnten die Wählenden zum Beispiel Namen von unerwünschten oder negativ beurteilten Kandidatinnen oder Kandidaten auf dem Wahlzettel einfach durchstreichen. Nun werden grüne und rote Farbfelder eingeführt für die Pro- oder Kontra-Stimmen. 

Im Unterschied zu manchen Wahlverfahren bei deutschen Kommunalwahlen (wie zum Beispiel in Bremen) können hier nur Namen auf der bereits ausgewählten Parteiliste, die man auch wählen möchte, gekennzeichnet werden. 

Ziel: alles automatisch

Grund für die Änderung ist die Vorbereitung des lettischen Wahlamts auf zukünftig automatisierte Auszählverfahren - die neue Gestaltung soll für alle zukünftigen Wahlen gelten. (lsm / kuldigasnovads / CVK ) Durch die Einführung neuer Stimmzettel werde sichergestellt, dass die Wahlergebnisse zeitnah erfasst werden und die manuelle Auszählung der Stimmen entfalle, so erklärt Kristīne Saulīte, Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission. So werde die Durchführung der Wahlen erleichtert und der menschliche Faktor - also die Wahrscheinlichkeit von Fehlern - bei der Erfassung der Wahlergebnisse erheblich minimiert.

22. November 2024

Harmonie für's Kongreßhaus

Wer sich die aktuellen Entwürfe ansieht, meint vielleicht, am Kalpaka Boulevard in Riga solle gleich eine neue Stadt aus dem Boden gestampft werden. 

Seit langer Zeit schon wurde über den Bau eines neuen Konzerthauses geredet und gestritten - zunächst meinte man sich auf einen Bau mitten in der Daugava geinigte zu haben (siehe Bericht), dann schien der Bau der Nationalbibliothek wichtiger (die 2014 eröffnet wurde). 

Von der langen Bank - auf die lange Bank

Die Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat änderten sich mehrfach, und es kamen immer neue Vorschläge dazu, welcher Ort am geeignesten für ein Konzerthaus sein könnte. Schließlich wurden alle davor liegenden Beschlüsse verworfen und man begann wieder bei Null. Nun wurden insgesamt 36 verschiedene Orte in Riga wurden geprüft. Inzwischen scheint die Sache klar: schon innerhalb der nächsten zwei Jahre sollen entscheidende Schritte getan sein, das bisherige Kongreßhaus als "Rīgas Filharmonija" (Philharmonie Riga) umzubauen. Abreissen konnte und wollte man dieses 1982 im postmodernen Stil gebaute Haus nicht - das wurde als Rahmen einer internationalen Ausschreibung festgelegt, bei der sich über 120 Architekturbüros bewarben, davon fast 100 aus dem Ausland.

Das Projekt soll nun durch ein internationales Team vorangetrieben werden, das aus etwa 100 Personen besteht, auch ein Aufsichtsrat wurde geschaffen. Zögerlich ist man noch bei der Benennung der genauen Umbaukosten: zunächst müsse man die "Entwurfsarbeiten fertigstellen", heißt es, und über die notwendigen Mittel für den Bau der Rigaer Philharmonie müsse dann die Regierung noch entscheiden.

Neue Pläne und Ziele

Am 20. November wurden die Pläne bei einer öffentlichen Veranstaltung im Rigaer Rathaus präsentiert. Einiges davon wirkt, mit deutschen Augen gesehen, fast ein wenig wie die große Verhüllung des Reichstags in Berlin - nur diesmal nicht als Kunstprojekt, eher als Prestigeprojekt der Musikstadt Riga. 

Das neue Haus soll dann auch als Tourismus-Magnet wirken; die Stadtoberen stellen es gern in eine Reihe mit Konzerthäusern in Kopenhagen, Amsterdam, Oslo und auch - besonders was lange Planungs- und Bauzeiten angeht -  mit der Elbphilharmonie in Hamburg. Das Unternehmen „Mark arhitekti und Mailītis arhitekti“ soll das Bauvorhaben koordinieren und bis 2026 sollen alle administrativen Voraussetzungen erfüllt sein um mit dem Bau zu beginnen. (lsm)

Ein Haus als Heimat für viele

Eine Fläche von 19.561 m² soll das neue Haus umfassen. Im jetzt gebildeten Aufsichtsrat sind auch künftige Nutzer vertreten, wie z.B. das Nationale Symphonieorcheter ("Latvijas Nacionālā Simfoniskā orķestra" LNSO) und "Latvijas Koncerti" als Veranstalter. Auch der lettische Radiochor und die Bigband des lettischen Radios soll dann hier ihr neues Zuhause finden. Die Fertigstellung des Umbaus soll, bisherigen Plänen zufolge, bis 2030 abgeschlossen sein. (lsm)

Das LNSO tritt bisher im Haus der "Großen Gilde" in Riga auf, das 1936 mit luxuriöser Holzausstattung ausgestattet und 1965 nach einem Brand zuletzt restauriert wurde. Aber auch für die 3576.40 m² Fläche dort, hinter der beeindruckenden mittelalterlichen Fassade, gibt es aktuellen Renovierungsbedarf (Kostenschätzung; 14 Millionen Euro). Danach hofft man, auch dort an mindestens 100 Tagen im Jahr Konzerte veranstalten zu können, mit einer Gesamtzahl von 7500 Besuchern. 

Ein weiterer, realtiv neu gestalteter (ebenfalls traditionsreicher) Ort für Konzerte ist gegenwärtig in Riga der sogenannte "Hanzas Perons" ("Hanse-Bahnsteig"), ein ehemaliges Lagerhaus der Eisenbahn. Immerhin ist hier Raum für bis zu 1200 Sitzplätze. 

Wer in Lettland gar nicht mehr den richtigen Konzertsaal findet, aber die Nutzung von digitalen Angeboten liebt, kann übrigens sich in das Projekt "Konzertsaal zu Hause" (Mājas Koncertzāle) einschalten. (Bisher) kostenlos, und sicherlich mit genügend "Appetithäppchen" - nicht nur aus dem Bereich der Klassik.

29. Oktober 2024

Mehr als ein 0:1

Was Sportbegegnungen zwischen Lettland und Deutschland angeht, so sind vor allem Basketball und Eishockey im Gedächtnis deutscher Sportfans: als Deutschland 2023 überraschend Weltmeister im Basketball wurde, gab es im Viertelfinale den "Thriller in Manila", den knappen 81:79 Sieg Deutschlands, mit einem verworfenen Dreier der Letten in letzter Sekunde. Und obwohl im Eishockey meistens Deutschland bei den Länderspielen gegen Lettland die Oberhand behält (eine WM-Begegnung gewann Lettland zuletzt 2012), sind es doch immer Spiele auf Augenhöhe. Als 2023 Deutschland sensationell Eishockey-Viceweltmeister wurde, gewann Lettland - mindestens ebenso sensationell - die Bronzemedaille

Bollwerke und Zwerge

Aber Fußball? Wer alt genug ist, sich zu erinnern, muss vielleicht an "Rumpelfußballer", ein Begriff der um die Jahrtausendwende herum aufkam, denken. Und beim 0:0 im Spiel gegen Lettland bei der EM des Jahres 2004 schien nichts besser geworden zu sein. "Gescheitert am lettischen Bollwerk", so schrieb der "Spiegel" damals. "Blamage" war wohl eine häufig verwendete Vokabel für die Leistung der Deutschen, galt doch Lettland als "Fußball-Zwerg" (sport1). Im Vorfeld des Spiels war Torhüter Oliver Kahn als "Viertel-Lette" bezeichnet worden, was einigermaßen Aufsehen erregte (Kahn: "Meine Großmutter ist Lettin und mein Vater wurde dort geboren“). Teil der lettischen Mannschaft damals: der lettische Rekord-Nationalspieler Astafjevs ebenso wie Stürmer Māris Verpakovskis, von dem es hieß, dass er die deutsche Abwehr "in Angst und Schrecken versetzte". 

Rigas Schule für Europa

Bankett für die Gäste: die lettische Fußball-Delegation in Frankfurt

Nun spielt also eine lettische Mannschaft aus Riga in der UEFA Europa League - und wer die drei Buchstaben RFS aufzulösen und zu deuten vermag, wird es mit "Rigas Fußball-Schule" übersetzen. Also ein Nachwuchs-Team? Eigentlich nicht. Wichtig vielleicht der Unterschied zwischen "RFS" (Rigaer Fußballschule) und FK RFS (Fußball-Klub Rigaer Fußballschule). Und wer ist Generaldirektor beim lettischen Europaleague-Teilnehmer? Der "alt bekannte" Māris Verpakovskis. "Uns fehlt natürlich noch ein wenig die Erfahrung, in solchem Rahmen und vor solchem Publikum zu spielen", gibt er zu (IR). So ging das erste Spiel in Bukarest mit 1:4 verloren, aber beim Heimspiel gegen Galatasaray aus der Türkei wurde immerhin ein 2:2 Unentschieden erreicht (kicker). Und zu Gast bei Eintracht Frankfurt "nur" 0:1 zu verlieren, erscheint ebenfalls als sehr respektable Leistung. 

Seltene Gelegenheiten

Schon 15 Jahre ist es her, dass ein lettischer Klub in der UEFA-Europa-League spielen konnte - damals war es FK Ventspils (der inzwischen, nach einigen Skandalen, nicht mehr existiert). 2009 gab es noch eine Aufteilung in Gruppen, und Ventspils spielte unter anderem einmal Unentschieden gegen Hertha BSC.  Der "Kicker" schrieb als Spielbericht: "Viel Krampf, wenig Spektakel: den biederen Letten genügten die Grundtugenden, um indisponierte Berliner in Schach zu halten." Die "BILD" schrieb von "lettischen Nobodys". 

Nach dem Spiel von RFS gegen Frankfurt fallen die Berichte doch etwas anders aus, und es wurde sorgsam registriert, dass 56.600 Zuschauern im Stadion waren (die größte Zuschauermenge, vor der RFS bisher je gespielt hatte), und dass auch 600 Letten dabei waren (RFS).Und, siehe da: auch von einem "lettischen Bollwerk" war wieder die Rede (sportschau). Fünf Millionen Euro habe RFS allein schon für das Erreichen der Europa-League von der UEFA eingenommen, verrät Manager Verpakovskis, und für ein Unentschieden gibt es immerhin noch einmal 150.000 Euro (IR)

Homeground im Winter

Spezielle Vorbereitungen wird der Rigaer Fußballklub unternehmen müssen, um laut UEFA-Spielplan am 23. Januar 2025 das Europaleague-Spiel gegen Ajax Amsterdam in Riga austragen zu können. Im Stadion Daugava in Riga sei kürzlich aber eine Rasenheizung verlegt worden, die Ende November in Betrieb gehen werde, meint Verpakovskis. Zusätzlich wolle man den Platz rechtzeitig vorher gegen Schnee abdecken (IR). Die UEFA-Regeln schreiben vor, dass gespielt wird, solange die Außentemperatur nicht unter -15 Grad fällt. In der obersten lettischen ersten Fußball-Liga (Virsliga) dauert der Spielbetrieb in der Regel von Mitte März bis Anfang November - aktuell führt Rīgas FS zwei Spieltage vor Schluß die Tabelle mit sechs Punkten Vorsprung an (Kicker).

Was wird passieren, wird Verpakovskis gefragt, wenn trotz aller Mühen ein Fußballspiel in Riga im Januar nicht möglich sein wird? - Wir schauen uns schon nach Möglichkeiten in Tallinn oder Vilnius um, so die Antwort. "Und wenn das nicht geht, spielen wir in einem anderen neutralen Land." Und dann erinnert sich der Ex-Goalgetter doch tatsächlich an die Qualifikationsspiele zur Teilnahme an der Europameisterschaft 2004. "Da haben wir ein Länderspiel in Riga gegen die Türkei Mitte November gehabt. Der Boden war gefroren, das kannten die Türken nicht". Lettland gewann 1:0, das Rückspiel endete 2:2. Torschütze in beiden Spielen: Māris Verpakovskis. (IR)