26. Januar 2016

Musikerschicksal

Wer heute noch glaubt, alle jungen Leute zu Zeiten Sowjet-Lettlands hätten sich einfach das musikalisch "vordudeln" lassen, was ideologisch gerade so angesagt war, der sollte sich einmal näher mit ihm befassen - einer der Musikerlegenden Lettlands: Pits Andersons.
Er begann bereits in den 1950iger Jahren, und sein Markenzeichen war der Rock'n Roll. Der russische Musikkritiker Artemy Troitsky bezeichnete Andersons in seinem Buch "The True Story of Rock in Russia", das 1988 in London erschien, als "ersten und damals einzigen echten Rock'n Roller im Bereich der Sowjetunion".

Lettlands Rock'n Roller Nr. 1
1945 geboren, begann Andersons im Alter von sechs Jahren seine Musikkarriere - ganz traditionell - in einer Musikschule. Sein Glück war außerdem, dass seine Mutter ihm Privatstunden in englischer Sprache bezahlte. Etwa im Alter von 11 begann er sich, den Sound des Rock'n Roll vor allem aus dem Radio abzulauschen - obwohl der KGB zu diesen Zeiten westliche Radiosendungen gewöhnlicherweise mit starken Störsignalen belegte. Das erste Lied, das er zusammen mit einer Band - anfangs noch als Pianist - schon 1959 auf einer Bühne aufführte, soll "Long tall Sally" von Little Richard gewesen sein. 1963 gründete er zusammen mit Valērijs Saifudinovs ("Seiskis"), einem Freund aus Kindertagen, die "Revengers" - eine Zusammenarbeit, über die auch der lettische Fernsehfilm „Brīvību ģitārai / Free to Rock” erzählt. Elvis Presley, Chuck Berry, Fats Domino oder Bill Haley waren von nun an die Vorbilder. Das waren Zeiten, in denen die Anhänger dieser Gruppierungen "štatņiki" genannt wurden, weil sie durch ihren besonderen Kleidungsstil hervorstachen. "Und montags nachts wurde versucht, 'Radio Luxemburg' zu hören", erzählt das Portal "Hipiji.lv".

Später kamen andere Gruppen, wie in Lettland die "Melody Makers", Andersons wurde hier zum Leadsänger. In Zeiten, wo laut Vorschrift 70% aller auf Konzerten aufgeführten Songs sozialistisches Liedgut sein musste (die restlichen 30% "durften" aus befreundeten "Bruderstaaten" stammen), war es eine bloße Provokation, dass die Band ausschließlich Englisch sang. Auch wenn sie bei privaten Parties, in Schulen oder bei Hochzeiten auftraten: das Bedürfnis der Jugendlichen, zu dieser Musik laut zu schreien und wild zu tanzen passte einfach nicht ins staatliche Konzept des "Aufbaus des Kommunismus". Schon bald sprach es sich herum, welche Schulleiter eher tolerant waren, oder welche sofort nach die Miliz riefen, wenn die ihrer Meinung nach "anti-sowjetischen Kräfte" erschienen. "Rebellisch" waren die lettischen Rock'n Roller aber auf jeden Fall: das zeigte 1966 auch der Versuch eines Konzertverbots durch die sowjet-lettischen Behörden; das Konzert war ausverkauft, niemand der Fans wollte seine Tickets zurückgeben, und die Bands spielten einfach auf den Stufen des Eingangs zum "Planetarium" (heute wieder orthodoxe Kirche). Dieses Spontankonzert dauerte sechs Stunden, vom KGB gefilmt, und es waren Banner zu sehen mit Slogans wie "Freiheit für die Gitarren".

Heute ist nur noch auf alten Filmchen, hochgeladen im Internet nachzuempfinden, wie Andersons mit seinen “Swamp Shakers” durch Lettlands fuhr und mit seinen Konzerten Aufsehen erregte: von seiner Begeisterung für Rock'n Roll war er nicht mehr abzubringen. Der Umstand, dass sich sein Name leicht in eine englische Fassung transferieren lässt, kam dem Mythos dabei sicher zu gute (Geburtsname: Alfrēds Pēteris Andersons).

Rock'n Roll forever!
Seit Wiedererlangung der lettischen Unabhängigkeit gab es natürlich neue Möglichkeiten für Konzerttourneen, und Pits Andersons trat in den USA, in Schweden, Dänemark, Russland, Norwegen, Deutschland, oder auf dem berühmten "Rhythm Riot" in London auf. Er behielt den Kleidungsstil der 50iger Jahre bei und fuhr eine Zeitlang ein Auto mit der Aufschrift "We don’t care what people say, rock’n’roll is here to stay."
Nachdem er 2002 die Leitung eines Musikclubs in Riga wieder aufgeben musste, weil der Eigentümer das Hauses an Investoren verkaufte, organisierte Andersons auch in Lettland Musikfestivals, und gründete 2009 seine "Pete Anderson and the Swamp Shakers" mit jungen Musikern noch mal völlig neu (und seiner Frau Anna am Kontrabaß!); 2014 kam bei "Rhythm Bomb Records" das Album "Enjoy the ride" heraus (Live-Video). "Die Zuschauer jubelten und klatschten begeistert mit", schrieb die "Syker Kreiszeitung" noch im Mai 2015 über ein Konzert der Band im niedersächsichen Verden - typisch vielleicht auch, dass in der Presse kein Wort davon zu lesen war, dass es sich hier um Musiker aus Lettland handelte (eine andere Art "Qualitätsbeweis"?).

Nachdem Pits Andersons noch 2014 seinen 69.Geburtstag mit einem Konzert feierte (Kas Jauns), wurde ein Jahr später bekannt, dass bei Pits Andersons ein schweres Krebsleiden diagnostiziert wurde. Ihm erging es wie vielen, auch bekannteren Kulturschaffende seiner Generation - für den Fall plötzlich notwendiger, teurer Spezialbehandlungen ist die "postsowjetische Generation" nicht finanziell abgesichert. So müssen auch Musikerlegenden ihre Fans zu Spenden aufrufen - 
Schon im Sommer 2015 musste Andersons sich zu einer Spezialbehandlung in eine Klinik in München begeben, innerhalb weniger Tage spendeten Fans damals 21.000 Euro.
Im Herbst 2015 kehrte der Musiker nach Lettland zurück, um 23 kg Köpergewicht leichter, doch wie immer optimistisch. 
Vor wenigen Tagen ist Pits (Pete) Andersons dem Kampf gegen den Krebs erlegen - er starb im Alter von 70 Jahren. 
Am 2.Februar plante die lettische Vereinigung der Musikproduzenten (Latvijas Mūzikas producentu apvienības LaMPA), Pits Andersons das "Goldene Mikrophon" für sein Lebenswerk zu verleihen - da diese Entscheidung bereits am 2.Oktober fiel ist zu hoffen, dass diese letzte Neuigkeit den Musiker noch erreicht hat.

Gedenksendung bei Lettlands Radio 1 / Fanseite Pits Andersons

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