6. September 2013

Phantome über der Oper

17 Jahre lang, seit 1997, leitete Andrejs Žagars als Generaldirektor eine der bekanntesten Kultureinrichtungen der lettischen Hauptstadt Riga: die Nationaloper (LNO)'. In dieser Zeit etablierte sich die LNO als international bekannte Bühne, lud selbst zu Opernfestivals ein und tourte nach Taiwan, Mexiko, Hongkong und China. Auch als Regisseur feierte Žagars mit Bühneninszenierungen Erfolge: zum Beispiel mit Wagners "Fliegendem Holländer", Rubinsteins "Dämon", oder Verdis "Nabucco".

Eiszeit am Opernhaus?
Schwer zu (er-)tragen sind wohl die
gegenwärtigen Ränkespiele
um
die Nationaloper in Riga
Ende einer Ära?
Bereits Ende 2011 begonnen die Diskussionen um die Rigaer Oper, die bis heute andauern. Die damals frisch ins Amt gekommene Kulturministerin Žaneta Jaunzeme-Grende verweigerte zunächst unter einem neuen Berufungsvertrag mit  Žagars. Angeblich sollen Finanzprobleme bei der Oper entdeckt worden sein. Nur wenige Wochen vorher hatte der Stadtrat Riga eben diesem  Andrejs Žagars den Titel "Rigenser des Jahres" zuerkannt. Im Laudationstext heißt es da: "für Persönlichkeiten, die durch ihr Talent und ihre Arbeit Riga bekannt gemacht haben, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf Riga gelenkt und Interesse für Rigas zukünftige Entwicklung geweckt haben" (weitere Preisträger unter anderem: Filmemacher Hercs Franks, Starkoch Mārtiņš Rītiņš, oder Aigars Nords, Organisator des Riga Marathons).
Žagars bekam damals einen zeitlich begrenzten Vertrag, aber nach Umstrukturierungen in der Verwaltung der Oper musste er sich in den vergangenen Monaten im Rahmen einer Neuausschreibung der Stelle sozusagen "neu bewerben" - angesichts der Summe seiner vielfältigen Erfahrungen für ihn selbst eine sicher eher demütigende Prozedur. Verdächtigungen, die Ausschreibung könnte von politischen statt von professionellen Interessen gelenkt sein, trat er in der Öffentlichkeit selbst immer entgegen (Kulturministerin Jaunzeme-Grende gehört der nationalradikalen Partei "Tevzemei / Visu Latvijai" an).

Sieg - und Rückzug
Pünktlich zum 1.September wurde die "Katze" aus dem Sack gelassen: laut dem Willen der zuständigen Kommission soll künftig Arturs Maskats, Komponist, bisher als Berater in musikalischen Fragen an der Oper tätig, die Leitung übernehmen. Aussagen der Kulturministerin legen nahe, dass dies eher eine Entscheidung gegen Žagars als pro Maskats war: ""Žagars ist eine hervorragende Persönlichkeit, aber mit Schwächen bei der Finanzdisziplin. Genauso sollte auch eine Führungspersönlichkeit die Fähigkeit zur Kommunikation haben und mit allen reden, nicht nur mit der Hälfte der Angestellten - das zeigt auch seine Unfähigkeit im vergangenen Jahr mit der Gewerkschaft zu einer Übereinkunft zu kommen, " so die Ministerin. 

Doch vorerst ist die Taktik der  Žagars-Kritiker nicht aufgegangen: Maskats, ausgerufen als Sieger der Ausschreibung, trat nur Stunden später von der ihm angetragenen Aufgabe mit der Aussage zurück, er habe sich nur auf eines der drei Vorstandsämter bewerben wollen, könne sich die Oper ohne Žagars aber nur sehr schwer vorstellen. Die Ausschreibung sei zugunsten von Žagars ausgegangen, und das Ministerium habe ihn mit dem Wunsch, er selbst solle die Leitung übernehmen, völlig überrascht.
Und nicht nur das: namhafte Opernstars melden öffentlich Protest gegen die Vorgänge an. Sopranistin Kristīne Opolais sagte ihre Teilnahme an zwei Konzerten ab, die zum 150.Jubiläum der Oper am 5. und 6.September stattfanden. "Ich möchte nicht mehr in eine Oper gehen, die mir bisher dank  Andrejs Žagars wie ein zu Hause und wie eine echte Familie war."  Opolais vermutet unrechtmäßige Vorgänge bei der Bildung eines neuen Vorstands - das Ticketcenter erklärte sich bereit alle Eintrittskarten zurückzunehmen, falls Gäste die Vorstellungen ohne Kristīne Opolais nicht mehr besuchen wollten. Auch verschiedene Vertreter von Firmen, bisher Sponsoren der Oper, äusserten sich zugunsten von Žagars.

Die Sache scheint vorerst verfahren. Eine Neuausschreibung der Leitungsstellen lehnte die Kulturministerin vorerst ab. Derweil stützt die Gewerkschaft der Angestellten an der Oper - also die Solisten, die Chorsänger und andere Künstler - die Änderungsabsichten als "lange erwartet und überfällig". Unter Žagars sei eine Atmosphäre des Mobbings entstanden, außerdem sei die lange Abwesenheit des bisherigen Leiters wegen seiner vielen Projekte im Ausland nicht förderlich für die kreative Atmosphäre an der LNO.  Žagars habe oft Entscheidungen nicht nach einheitlichen Kriterien, sondern nach seinen persönlichen Sympathien und Antipathien getroffen. Und trotz finanzieller Schwierigkeiten sei der Verwaltungsapperat des Hauses noch erweitert worden. Der Opernchor war im Vorjahr auch schon mal in den offfenen Streik getreten, aus ähnlichen Gründen - und die öffentlichen Äußerungen von Žagars dazu, der die Arbeit der Chormitglieder  abqualifiziert habe, seien ehrverletzend gewesen. Žagars nutze die Oper zur eigenen Karriereplanung, so der Vorwurf - mit dem Hinweis auf die große Zahl der Aufführungen unter der Regie des bisherigen künstlerischen Leiters. Beachtet werden muss allerdings auch, dass Gewerkschaftssprecher Aldis Grunte ein Parteigenosse der Ministerin ist.

Streit ums Ministeramt?
Wo sich die aktuell an Aufführungen der Oper beteiligten Künstler bei Interviewanfragen noch in Zurückhaltung üben ("wir verstehen genau, das ist Politik, was da momentan vorgeht, das sollte die künstlerische Arbeit nicht beinflussen"), klingt das neueste Zitat von Žagars gar nicht bescheiden, eher nach einer Provokation: gefragt, ob er auch als Kulturminister antreten würde falls er gefragt würde, sagt  Žagars: "ich würde nicht nein sagen." Und er fügt hinzu: "wenn du Minister wirst musst du akzeptieren das du dann Politiker bist; dennoch sage ich nicht kathegorisch nein. Es ist auch kein Geheimnis, dass es schon zweimal solche Angebote gab: einmal als Helēna Demakova zurücktrat, und das zweite mal im Zusammenhang mit Riga als Europäische Kulturhauptstadt."
 Žagars hält auch eine Ministeraufgabe ohne Parteizugehörigkeit für möglich. "Aber ich habe ja bereits genug Vorwürfe zu hören bekommen, weil ich mich einmal positiv über Demakova geäußert habe und alle nun denken, ich sympathiere mit der Volkspartei" (lett. "Tautas Partija"). Ich habe beide Male die Angebote abgelehnt, weil ich keiner bestimmten politischen Gruppierung angehöre. Aber man wird ja älter, und Lettland war mir immer wichtig - und vielleicht werde ich in einem entsprechenden Moment auch entscheiden müssen, ob ich meine mit meinen internationalen Kontakten Lettland helfen zu können."

Bei solchen Aussagen ist sich Žagars offenbar bewußt, dass es auch Kritik an der Arbeit von Kulturministerin Jaunzeme-Grende gibt. Zu viel Aufmerksamkeit werde auf Prestigefilme zur Hebung des nationalen Images gelegt, künsterlische Qualität stehe da hinten an. Mit staatlicher Hilfe verfilmt wurde kürzlich das Buch von Jānis Lejiņš "Zīmogs sarkanā vaskā" / "das rote Wachssiegel" - eine Geschichte vom ehrenhaften Leben der lettischen Stämme vor Ankunft der Kreuzritter. Zur Unterstützung des Films wurde extra eine Stiftung gebildet, die sich die "Bewahrung der Identität des lettischen Volks" auf die Fahnen geschrieben hat.

Andrejs Žagars scheint also das gegenwärtige Patt an der Oper kaum zu schaden. Offen kündigt er an, verschiedene Angebote aus dem Ausland zu haben dort die Leitung einer Oper zu übernehmen. In lettischen Medien kursieren Fotos von der 150-Jahr-Feier gestern abend, auf der die Künstlerin Katrīna Neiburga mit einem T-Shirt und dem Spruch "Grende atkāpies" neben Žagars zu sehen ist - einer offenen Rücktrittsforderung an die Ministerin. "Die Aktivitäten der Ministerin werden langsam gefährlich", so lässt sich auch Theaterregisseur Alvis Hermanis zitieren, der auch Žagars' Führungsstil verteidigt: "Eine Oper kann man nicht nach Maßstäben der Demokratie leiten. Die Leitung hat die Verantwortung - und das ist alles!"

"Die Oper ist nicht das Privateigentum von  Žagars", wehrte sich die angegriffene Ministerin. Im Rahmen der Ausschreibung habe es viele Gespräche gegeben über neue Ideen und Innovationen, von der Einbeziehung der regionalen Bühnen Lettlands bis zur Ansprache der Jugend. "So gesehen ist  Žagars der konservativste aller Kandidaten."

Wie auch immer die persönlichen Anfeindungen von einigen der Hauptakteure des lettischen Kulturlebens zu werten sind: zumindest sind sie ein Zeichen dafür, das die Kulturszene in Lettland - politisch wie gesellschaftlich - weiter eine große Rolle spielt. Gerade im Vorfeld des Jahres 2014.

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