Den politischen Parteien in Lettland wird alles mögliche nachgesagt: Offenheit und Transparenz gehört meist nicht dazu. Ständig ist von neuen Tricks die Rede, mit denen möglichst viel Geld auf die Wahlkampfmaschinen gelenkt werden kann, Politiker wechseln ihre Parteizugehörigkeit wie die Hemden, und auch bestehende Koalitionen intrigieren gerne gegeneinander. Da keine Wahlen im Jahr 2007 anstehen, und die Parlamentswahlen 2006 eine Wiederwahl des bisherigen Regierungschefs brachte, sagten einige schon ein langweiliges politisches Jahr voraus.
Nun deutet sich das an, was schon nach Bildung der neuen lettischen Regierung geahnt hatten: der Stuhl des Bürgermeisters von Riga wackelt. Tautas Partija (Volkspartei - TP), Tevzemei un brivibai ("für Vaterland und Freiheit" - TB), Pirma Partija ("erste Partei", Listenvereinigung zusammen mit "Lettischer Weg" - LPP) und "Zalo un Zemnieku Savieniba" (Listenvereinigung aus "Grüner Partei" und "Lettischer Bauernpartei" - ZZS) haben die Macht im Staate unter sich aufgeteilt, und "Jaunais Laiks" ("Neue Zeit" - JL) trotz gleichfalls konservativer Ausrichtung wie ein fünftes Rad am Wagen draußen gelassen. Da paßt es nicht ins Bild, dass Bürgermeister Aivars Aksenoks eben dieser JL angehört, und somit in keine Koalitionsabsprachen der gegenwärtigen lettischen Regierung einzubinden ist.
Vielleicht war die kalte Schulter, mit der die JL die Regierungspläne zum Neubau eines Konzertsaals in Riga in der ersten Lesung im Stadtrat hatte abblitzen lassen, der letzte Auslöser. Seit über eine Woche jedenfalls suchen die konservativen Parteien im Stadtrat Rigas neue Mehrheiten. "Stuhl des Bürgermeisters erstmals ernsthaft bedroht", meldete DIENA am 1.Februar. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich auch Jānis Dinevičs, Fraktionschef der sozialdemokratischen Arbeiterpartei (4 Sitze im Stadtrat) der Presse gegenüber als Unterstützer einer Veränderung beim Bürgermeisterposten gezeigt. Doch ohne die JL, wenn der bisherige strikte Grundsatz eingehalten wird, nicht mit den links gerichteten Parteien zusammenzuarbeiten, bleiben den "veränderungswilligen" Abgeordneten dennoch nur 26 von 60 Stimmen im Stadtrat. Dennoch verschärfen sich die Presseschlagzeilen: "Die Regierungszeit der JL im Stadtrat nähert sich dem Ende", hieß es schon am 3.Februar (TVNET). Nun distanzieren sich bereits alle drei Vice-Bürgermeister von Aksenoks und der JL: "zu viele Individualisten" und "Starrköpfigkeit" macht Janis Birks von der Vaterlandspartei in der JL aus, trotz vieler programmatischer Gemeinsamkeiten. Erstaunliches gibt Ivars Gatars, Fraktionschef der JL, vor der Presse bekannt: seine Partei könne auch mit einem anderen Bürgermeister weiterregieren (LETA. DIENA 2.2.). Offensichtlich hat die Verteilung des "Fells des Bären" auch in der eigenen Partei schon angefangen.
Am 5.Februar wird dann zunächst bekannt, dass die notwendigen 20 Stimmen für die Einberufung einer Sondersitzung des Stadtrats erreicht seien. Weiterhin geben die vier Parteien TP, TB, LPP und ZZS bekannt, sich auf Janis Birks (TB) als neuen Bürgermeister geeinigt zu haben, und dafür auch die Unterstützung der Sozialdemokraten von der LSDSP zu haben. Bis auf die Kandidatenfrage bedeutet das jedoch zunächst nichts Neues, denn weiterhin sind damit nur 26 von 60 Stimmen in der entscheidenden Abstimmung sicher.
Ein Lehrstück lettischer Politik? Oder Konzentrationsbestrebungen in der sonst so zersplitterten lettischen Parteienlandschaft? Am 6.Februar schließlich gab Bürgermeister Aksenoks, der vor seiner Amtszeit als Bürgermeister im Amt für Straßensicherheit, und kurzzeitig auch schon einmal lettischer Justizminister war, eine Pressekonferenz. Er erklärte, auf keinen Fall von sich aus zurücktreten zu wollen (LETA, TVNET, NRA, Delfi). Ausserdem behauptete er, einige seiner Parteikollegen der JL seien einem "gewaltigen Druck von außen" ausgesetzt - ohne aber Namen und angebliche Verursacher zu nennen.
Derweil geschieht weiter erstaunliches: die vier Parteien, die sich einig sind die Abwahl des Bürgermeisters einzureichen, tun nicht nur dieses, sondern unterzeichnen auch schon ein Koalitionsabkommen. Die Sondersitzung des Stadtrats muss innerhalb zwei Wochen nach Einreichung des Abwahlantrags stattfinden. Inzwischen haben sich angeblich 27 Abgeordnete diesem Abkommen angeschlossen - und die "Verschwörer" sind sich sicher, bei der Abstimmung einige Vertreter der Jaunais Laiks (also der Partei des Bürgermeisters) auf ihrer Seite zu haben.
Was bleibt weiter zu kommentieren? Fortsetzung folgt - "in diesem Theater". Laut Umfrage des lettischen Radios halten übrigens die meisten Einwohner die gewaltigen Verkehrsprobleme der Stadt mit den täglichen Staus für das gegenwärtig größte Problem. Wer da Bürgermeister ist, sei weniger wichtig - denn weder von dem gegenwärtigen Amtsinhaber noch von einem möglichen Nachfolger werden positive schnelle Lösungen erwartet.
1 Kommentar:
Jeder Staat hat die Regierung die es wählt. Wieso soll die Regierung besser sein als das Volk. Denn die Regierung kommt ja aus dem Volk.
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