Eigentlich kann es niemanden überraschen: zwar gilt Lettland als ein Land, in dem (statistisch) verhältnismäßig viele Frauen in Leitungs- und Führungspositionen arbeiten, im Staatsapperat wie auch in der privaten Wirtschaft. Sei es wie es sei - in der Politik drängen offenbar nur die Männer nach vorn. Als am 3.September der online-Kanal "Delfi" alle diejenigen eingeladen hatte, die gerne nach den Wahlen am 6.Oktober lettischer Regierungschef werden wollen, da ergab sich eine reine Männerrunde: acht plus Moderator.
Die Rolle, die Vjačeslavs, Māris, Aldis, Roberts, Krišjānis, Artis,
Jānis und Edvards jeweils für ihre Parteien spielen, werden in Lettland "Lokomotiven" genannt - auch weil nach einem früher geltenden Wahlgesetz die Spitzenleute überall gleichzeitig antreten konnten (inzwischen hat jeder nur seinen Wahlkreis). Eingeladen zu dieser Runde waren alle, deren Parteien gemäß aktuellen Umfragen mehr als 2,5% Wählerstimmen auf sich vereinigen können.
Eine gewissen Einseitigkeit ist auch abgesehen von der männlichen Dominanz festzustellen: sechs sind Ökonomen oder Juristen, aber ausgerechnet einer der beiden anderen war schon Wirtschaftsminister. Ebenfalls sechs haben schon mehrfach die Partei gewechselt - ausnahmslos alle waren schon einmal mit mindestens einem der anderen Kandidaten früher in einer gemeinsamen Partei. Nur einer - und das ist ausgerechnet der amtierende Ministerpräsident - hat Berufsausbildung oder Studium noch zu Sowjetzeiten absolviert, vier der anderen haben Uniabschlüsse im Ausland.
Da passt ein aktueller Beitrag in der "Frankfurter Rundschau" sehr gut. Ein "widersprüchliches Verhältnis" zur Frauenemanzipation diagnostiziert Philologin Ausma Cimdina sogar ihren lettischen Geschlechtsgenossinnen.Auf den Kandidat/innen-Listen finden sich für die kommende Wahl 31,8% Frauen. Aber vielleicht eignen sich einfach lettische Politikerinnen nicht so sehr für die Schaukämpfe und Eifersüchteleien des Wahlkampfs; Frauen in lettischen Spitzenämtern der Politik gab es nie schon im ersten Anlauf. 1999 brauchte Vaira Vīķe-Freiberga sieben Wahlgänge um als Präsidentin gewählt zu werden, und setze sich dabei gegen fünf männliche und zwei weitere weibliche Kandidat/innen durch. Die Wiederwahl 2003 ging dann glatt.
Und auch Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma kam eher aus der dritten Reihe. Als studierte Physikerin und Mathematikerin haben manche sie auch schon mit Angela Merkel verglichen, jedenfalls der wissenschaftlichen Prägung nach. Nachdem Ministerpräsident Valdis Dombrovskis 2014 plötzlich zurückgetreten war (Folgen des Einsturzes eines Supermarkts), traute Präsident Andris Bērziņš offenbar nur ihr - zu diesem Zeitpunkt Ministerin für Landwirtschaft - die Bildung einer mehrheitsfähigen Regierung zu.
Als eine, die immer gerne in die erste Reihe wollte, galt Solvita Āboltiņa. Dass sie zwei Jahre Justizministerin und dann Parlamentsvorsitzende war, galt immer nur als Stufe auf der Karriereleiter. Vielen galt sie geradezu als Sinnbild für öffentlich ausgetragene Rangkämpfe, auch weil nach lettischem Wahlrecht jede/r Wähler/in, der seine Stimme einer Parteiliste gibt, den Kandidat/innen zusätzlich noch plus und minus verteilen kann. 2014 wurde Āboltiņa wegen der Vielzahl von Minusstimmen 2014 nichts wieder ins Parlament gewählt - 27% aller Wähler/innen ihrer Liste vermerkten sie negativ. Dann verzog der vor ihr liegende Konkurrent plötzlich ins Ausland, und Solvita schnappte sich den Parlamentssitz doch. Spätestens ab diesem Moment trauten ihr die meisten alles zu: Kommissarin bei der EU in Brüssel, oder gar eine Kandidatur als Präsidentin. Āboltiņa galt als stark involviert, als Laimdota Straujuma 2016 zurücktrat und ihre Partei sich nicht über die Nachfolge einigen konnte. Am Ende stand der Parteiausschluß. 2017 legte sie ihr Mandat nieder und kehrte zurück in den diplomatischen Dienst, wo sie schon vor 2002 gearbeitet hatte. Seit einigen Wochen ist Solvita Āboltiņa nun lettische Botschafterin in Rom.
Also warten wir doch mal ruhig ab. So wenig wie zu erwarten ist, dass eine der 16 Parteien die absolute Mehrheit erringen wird, so wenig wahrscheinlich ist eine Regierungsbildung ohne komplizierte Koalitionsgespräche. Vielleicht heißt es dann hinterher: die Herren wollten gerne unter sich bleiben, aber dann kam es ganz anders.
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