Der 4. Mai ist gerade vergangen – sehr kühl nach den warmen Tagen Ende April. Der 9. Mai steht direkt bevor. Was hat es damit auf sich?
Die baltischen Staaten haben eine wechselhafte Geschichte und damit zahlreiche Anlässe zu Erinnerung – zumeist an erlittenes Leid. Darum sind Gedenktage nicht unwichtig. Während der Zeit der Sowjetherrschaft sind in Estland und Lettland viele Menschen aus anderen Sowjetrepubliken zugereist, zumeist Russen, die aber ganz anders sozialisiert wurden und demenstprechend aus ihrer russisch-sowjetischen Erziehung ganz andere Gedenktage kennen. Folglich sind Konflikte programmiert.
Wichtige Daten sind jene der verschiedenen Deportationswellen, Tage, die mit dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung stehen sowie Daten der allerjüngsten Geschichte, des Zusammenbruchs der Sowjetunion und der wiedergewonnen Unabhängigkeit der baltischen Staaten.
Viele dieser Daten sind im Westen nicht bekannt. Für Deutsche, welche der Stunden Null vom 8. Mai 1945 eher gedenken als sie zu feiern, wundern sich schon, daß die Russen am 9. Mai das Ende des Zweiten Eweltkrieges feiern – ja feiern, denn die Sowjetunion gehörte ja zu den Siegermächten. Rußland und seine Einwohner haben viel Leid von den Deutschen erfahren. Darum mag es wenig verwundern, daß man dort der Verteidigung des Vaterlandes gedenkt.
In Deutschland ist sich nicht nur das ofiizielle Deutschland der Schuld bewußt, das gilt auch für den grßeren Teil der Bevlkerung. Und so war es für den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder unproblematisch, an den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Kriegsendes 2005 in Moskau teilzunehmen.
Ganz anders für die baltischen Staaten. Der estnische Präsident, Arnold Rüütel, selbst ein früherer kommunistischer Funktionär, lehnte die Einladung gemeinsam mit Päsident Valdas Adamkus, einem Exillitauer ab. Vaira Vīķe-Freiberga, ebenfalls eine Exilantin, nahm hingegen an.
Die Teilnahme war damals in allen baltischen Republiken umstritten. In Lettland ist das auch in diesem Jahr so. Diskutiert wird, ob Valdis Zatlers nur fahren sollte, wenn eine schriftlich Einladung eingehe, was nach Erklärung anderer von russischer Seite aber nicht zu erwarten sei. In Estland sprechen sich dagegen 62,4% für einene Besuch des derzeitigen Präsidenten Toomas-Hendrik Ilves in Moskau aus, während Rüütel seine Absage von damals nach wie vor nicht bedauert. Das Ende des Krieges sei der Beginn der Okkupation gewesen. Dies aber hatte sich Vīķe-Freiberge vor fünf Jahren getraut, öffentlich zu sagen.
Nationalisten wiederum sehen den 9. Mai besonders kritisch. Prostestaktionen im Vorfeld des Datums im Jahre 2006 auf dem Platz des Bronzesoldaten in Tallinn, wo sich die Kriegsveteranen üblicherweise trafen, provozierten den politische Entschluß, das Denkmal zu versetzen und damit auch die Ausschreitungen im darauffolgenden April.
Während der 9. Mai für die baltischen Staaten ein rotes Tuch ist, so ist es der 16. März in Lettland für die dort lebenden Russen ebenso wie für Rußland. Und selbst aus Westeuropa erntet Lettland Erstaunen und Empröung.
Das Datum markiert eine Schlacht während des Zweiten Weltkrieges, in dem Letten auf beiden Seiten, bei den Deutsche wie auch bei den Sowjets gekämpft haben. Hier zeigt sich bereits das Dilemma, daß viele Letten sich damals vor dem Problem sahen, zwischen dem Teufel und dem Beelzebub zu entscheiden. Daß sie von den Sowjets keine Wiederherstellung eines unabhängigen lettischen Staates nach dem Ende des Krieges zu erwarten hatten, war nach dem fingierten Beitritt zur Sowjetunion 1940 klar. Das hinderte viele nicht an einer ideoligischen Sympathie mit dem Kommunismus. Andere erhofften sich Rettung von Deutschland.
Daß nun zahlreiche Letten in der mehr oder weniger aussichtslosen Kriegssituation von Nazideutschland doch noch als Legionäre der Waffen-SS gegen die Sowjets eingesetzt wurden, ist ein umstrittenes Thema, vor allem bezüglich der Freiwilligkeit. Allein der Bgriff SS garantiert für einen kritische Sicht aus dem Westen.
In den vergangenen Jahren ist es mitunter zu Konflikten zwischen den Teilnehmern der Gedenkveranstaltung zu Ehren der Gefallenen und Antifaschisten gekommen. Die gegen die negative Publizität allegrische lettische Politik gibt sich darum inzwischen viel Mühe, Probleme im Keim zu ersticken. Und so verlief auch 2010 der Umzug ruhig.
Ffentlich diskutiert wird freilich der Zug vorbei am Freiheitsdenkmal, das weiträumig abgesperrt wurde. Hat die mehr oder wenige freiwillige Beteiligung am Kampf der Deutschen gegen die Sowjets etwas mit dem Freiheitsddenkmal zu tun? Dieses gedenkt dem Vaterland und der Freiheit, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg gewonnen wurden.
Pikant war die Frage in diesem Jahr und bleibt sie bis zum 9. Mai, weil seit vergangenem Frühjahr ein in Lettland gebürtiger Russe Bürgermeister der Stadt ist. Nils Ušakovs hat in seiner noch nicht einjährigen Amtszeit den Unmut der Letten auf sich gezogen, als er bei einem Besuch des Okkupationsmuseums gleich gegenüber von seinem Rathaus keine Bereitschaft zeigte, die Okkupation durch die Sowjetunion beim Namen zu nennen. Uškaovs hätte am 16. März gerne Demonstration und Gegendemonstration verboten. Doch so unabhängig ist die Justiz in Lettland, daß sie diese Beschlüsse verhindert hat. Der inzwischen wegen des Koalitionszerfalls zurückgetretene Außenminister Māris Riekstiņš rechtfertigte das Gedenken an die Gefallenenen, sie stelle keine Glorifizierung der SS da und der 16. März sei keinesfalls ein Festtag. Um Zusammenstöße zu unternbinden, wurden an der estnischen Grenze Aktivisten aufgehalten, die sich vor drei Jahren auch rund um den Bronzesoldaten engagiert hatten.
Die Letten sehen heute ihren Kontakt mit der deutschen Besatzungsmacht sicher wenig kritisch, weniger vor allem, als Deutschland es sich wünschen würde. Allerdings müßte eine Diskussion angestoßen werden über die damalige Kenntnis des wahren Ausmaßes der Nazidikatur in Lettland vor und während der deutschen Besatzung von 1941 bis 1944. Und dies kann nur vor dem Hintergrund verstanden werden, daß die Letten von 1940 bis 1941 bereits die erste Deportationdswelle durch die Sowjets hinter sich hatten. Dies wird von lettischen Historikern betont, während ausländische, besonders deutsche Kollegen oft zurückhaltend argumentieren.
Daß ein gewisser Antisemitismus hier die Augen hat verschließen helfen vor dem Vorgehen der Besatzer gegen die jüdische Bevölkerung, mag man anerkennen. In jedem Fall liegt die Erfahrung von 50 Jahren Sowjetunion gefühlsmäßig vor Geschehnissen von vorher, die gerade einmal drei Jahre lang angehalten haben. Das sowjetische Bildungssystem hat gerne Faschisten mit allem gleich gesetzt, was der Sowjetunion Widerstand entgegenbrachte, weshalb es auch heute noch, nicht einmal im eigentlichen Sinne böse gemeint, gerne vorkommt, daß Russen Deutsche oder Letten, aber auch andere Völker als Faschisten bezeichnen in Unkenntnis der Herkunft des Begriffes.
Die Gedenktage egeal auf welcher Seite zu untersagen, wäre nicht mehrheitsfähig. Den 16. März, so schlagen moderate Töne vor, könnte man an der Grabstätte vieler Gefallener im kurländischen Örtchen Lestene veranstalten. Eine weitere Idee ist die Einführung des Gedenkens für den lettischen Freiheitskampf, den man am Lačplēsis Tag, dem 11. Novemeber begeht. Dieser Tag erinnert an die Niederringung der Bermondt-Truppen, die nach dem Ersten Weltkrieg für einen Anschluß an Sowjetrußland kämpften.
Interessant vor diesem Hintergrund ist, daß weder Rußland noch die im Baltikum lebenden Russen gegen das Gedenken zum 23. August protestieren. Dies ist der Tag des Hitler-Stalin Paktes mit dem geheimen Zusatzprotokoll. Kritik kommt von gleicher Seite ebenfalls nicht gegen den 4. Mai, dessen Gedenken zum 20. Jahrestag in diesem Jahr von der politischen Elite diskutiert wird. 1990 hatte der Oberste Sowjet Lettlands den Austritt aus der Sowjetunion, die Unabhängigkeitserklärung verabschiedet. Ein Recht, welches die Verfassung der Sowjetunion zwar vorsah, ein Beschluß auch in Estland und Lettland, der noch im Januar 1991 gewaltsame Übergriffe von sowjetischen Einheiten provoziert hatte.
1 Kommentar:
Sehr gute Analyse des Gedenktagsproblems!
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