29. April 2010

Lettland bekommt (wieder einmal) eine neue Regierung

Aktualisierung Ende April: Inzwischen wurde der Diplomat Aivars Ronis als neuer Außenminister mit 90 von 100 Stimmen bestätigt. Die anderen vakanten Ministerposten blieben unbesetzt. Ronis, der Botschafter in den USA und bei der NATO war, sah eine breite Unterstützung im Parlament als Voraussetzung an, die Außenpolitik zu führen. Da die Fraktionen der Saeima die Minderheitsregierung Dombrovskis nach wie vor nicht gestürzt haben und für die Unterstützung eines neuen Außenministers bereit waren, dürfte sich die Hängepartie des Kabinetts wohl bis zu den Wahlen Anfang Oktober fortsetzen.
Aktualisierung: Gestern konnten einige Abstimmungen im Parlament von der Regierung nur Dank der Zustimmung der pro-russischen Fraktion Für die Rechte des Menschen in einem integrierten Lettland gewonnen werden. Das betraf unter anderem die Bezetzung von Positionen in Ausschüssen.
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Die Volkspartei hat ihre Minister aus dem Koalitionskabinett Dombrovskis zurückgezogen. Der Ministerpräsident muß nun überlegen, mit welchen Politikern er die vakanten Positionen besetzt und ob diese von den Parteien seiner nun in der Minderheit befindlichen Regierung gestellt werden oder ob nicht vielleicht doch mit der Ersten Partei / Lettlands Weg eine Oppositionsfraktion die Seiten wechselt.

Wann eine neue Regierung beginnt und die vorherige ersetzt, ist auch in der Politik- wissen-schaft umstritten. Schon der Austausch eines Ministers verändert schließlich die Zusammensetzung des Kabinetts, würde aber sehr häufige Wechsel indizieren. Sicher gibt es hingegen eine neue Regierung, wenn ihr Chef ausgewechselt wird. Ein Ministerwechsel aufgrund einer Änderung der Koalitionspartnerschaft ist ebenfalls einschneidender.

Eine weitere Diskussion betrifft die Frage, ob eine Regierung in parlamentarischen Systemen generell mit einer Parlamentswahl endet. In Schweden etwa ist nach einem Urnengang eine Vertrauensabstimmung nicht nötig, die Regierung muß durch das neugewählte Parlament also aktiv gestürzt werden, wenn das Kabinett nicht sowieso zurücktritt. Während in Deutschland also fraglich ist, ob 16 Jahre christlich-liberale Koalition unter Helmut Kohl nun eine oder mehrere Regierungen sind, ist dieser Aspekt im Fall Lettland weniger bedeutend. 2006 hätten die Koalitionäre zwar weitermachen können, doch die Stimmenmehrheit war dem damaligen Regierungschef zu knapp.

Die Parteien in der derzeitigen Saeima haben folgende Fraktionsstärken: Neue Zeit 15, Bauern und Grüne 17, Bürgerliche Union 7 sowie Für Vaterland und Freiheit 5. Das sind die verbliebenden Regierungsparteien zu denen noch die 3 Angeordneten der Gesellschaft für eine andere Politik zu zählen sind, die mit Neuer Zeit und Bürgerlicher Union die Listengemeinschaft Einheit für die bevorstehenden Wahlen aus der Taufe gehoben hat und damit auch ohne Minister den Regierungsfraktionen zuzurechnen ist. Die haben damit insgesamt 47 Mandate.

Würde die vor gut einem Jahr nicht bei der Regierungsbildung berücksischigte Erste Partei / Lettlands Weg in die Regierung wechseln, kämen 10 Abgeordnete hinzu und die Mahrheit wäre erreicht.

Der langjährige Verkehrsminister, Ainārs Šlesers, läßt sich derzeit jedoch bitten. Wie das oppositionelle Harmoniezentrum betont man, in für den Staat bedeutenden Fragen mit der Regierung zu stimmen und erinnert daran, daß schon bisher die Fraktion auf der Seite der Regierung gestanden habe. Das stimmt sogar. Erst vor wenigen Wochen hatten die Stimmen dieser Partei Dombrovskis’ drohende Abstimmungsniederlage in der Frage der Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfond verhindert, wo sich der Koalitionspartner Volkspartei quer gestellt hatte.

Und genau hier setzte diese Partei nun erneut an. Unter Federführung von Andris Šķēle verlangte die Partei sozusagen einen separaten Koaltionsvertrag mit dem Ministerpräsidenten und legte konkrete Vorschläge für die Wirtschaftspolitik vor. Daß Dombrovskis dem Dokument seine Unterschrift verweigerte, wird offiziell als Grund für die Regierungskrise angegeben.

Das alles hindert jedoch die Volkspartei und die Erste Partei / Lettlands Weg nicht am Flirt. Mehrfach wurde über eine Zusammenarbeit bei der Parlamentswahl im Herbst spekuliert. Dem Vorwahlstreß sind denn auch diese Manöver von Volkspartei und Šlesers in Wahrheit geschuldet. Die Politiker, welche in den letzten Monaten das letzte bißchen Vertrauen der Bevölkerung verloren haben, müssen sich als staatstragend präsentieren. Wichtig ist außerdem, für keinen politischen Gegner die Kartoffeln aus dem Feuer holen zu müssen. Da nach wie vor die Popularität des Ministerpräsidenten überraschend hoch ist, steht die größere Volkspartei in der Regierung befindlich in dessen Schatten. Šlesers geht es einstweilen sehr gut als stellvertretender Bürgermeister von Riga, der darauf spekuliert, im Herbst auch auf nationalerr Ebene mit dem Harmoniezentrum zusammenzuarbeiten.

Während Kulturminister Ints Dālderis die Volkdspartei verlassen hat und im Amt bleibt, haben sich ähnliche Hoffnungen im Falle von Außenminister Māris Riekstiņš allerdings zerschlagen. Damit droht Dombrovskis Ungemach auch im eigenen Lager. Artis Pabriks, einer der führenden Köpfe der Gesellschaft für eine andere Politik, drängt ins Außenministerium zurück, das er im Konflikt mit seiner früheren politischen Heimat, der Volkspartei, hatte verlassen müssen. Doch seine Chancen hängen zweifelsohne mit der Frage einer möglichen Erweiterung der Koalition zusammen.

Vor diesem Hintergrund ist es bezeichnend, daß die Parteien der Einheit im derzeitigen Parlament keine Fraktionsgemeinschaft eingehen wollen.

Derweil hat die frühere Chefredakteurin der Zeitung Diena, Sarmīte Ēlerte, wie angekündigt endlich ihren politischen Verein gegründet, die Meierovics Gesellschaft. Zigfrīds Meierovics war ein westlich orientierter Politiker, der nach der Unabhängigkeit Außenminister war, jedoch 1925 bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Ēlertes politische Freunde spekulieren auf eine Kandidatur auf der Einheitsliste.

Umfragen zur Folge kämen derweil nur drei Parteien ins Parlament, die Einheit, das Harmoniezentrum und die Union der Bauern und Grünen. Bei einer geringen Wahlbeteiligung würden andere Parteien wohl auch die 5%-Hürde überwinden. Damit ist nur das eine sicher, daß nichts sicher ist. Der Regierungschef könnte sehr wohl auch nach den Wahlen im Oktober wieder Dombrovskis heißen. Kämen tatsächlich nur die genannten drei Parteien ins Parlament, stünde dies sogar außer Frage. Volkspartei und Erste Partei / Lettlands Weg könnten gemeinsam oder getrennt eine solche Merheitsfindung verhindern, wenn etwa Für Vaterland und Freiheit nicht ins Parlament käme, was alles andere als unwahrscheinlich ist. Däs die Erste Partei / Lettlands Weg alleine mit dem Harmoniezentrum regieren könnte, ist hingegen sehr wohl eher unwahrscheinlich.

Solche Spekulationen machen zumdest eines so gut wie sicher, im Oktober bekommt Lettland schon wieder eine neue Regierung. War die jetzt gescheiterte Koalition unter Dombrovskis bereits die 15. Regierung seit 1990, so wird jene dann nach der Minderheitsregierung oder auch einer neuen Koalition mindestens die 17. sein. Aber es steht auch nicht fest, ob Dombrovskis in den verbleibenden Monaten nicht doch noch gestürzt wird. Aber das ist ebenfalls eher unwahrscheinlich, weil sich keine politische Kraft und kein Politiker damit im Rennen um die Wählerstimmen einen Dienst erwiese.

22. April 2010

AŠ hoch zwei

Was da aussieht wie eine mißglückte Variable ist der jüngste politische Scherz des in Lettland bekannten Werbefachmanns Ēriks Stendzenieks. Er war es, der im Herbst 2009 den gefaketen Krater der Mobilfunkfirma Tele2 als genial bezeichnet hatte. Also nicht Mathe, sondern Sowi?

Seit einiger Zeit spekuliert die Presse in Lettland darüber, daß Volkspartei und Lettlands Erste Partei / Lettlands Weg sich die Hände reichen könnten. Über die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit einer solchen Allianz zu streiten ist müßig. Inhaltich ließe sich sowas in Lettland meist weniger rechtfertigen, als strategisch. Schon die Partnerschaft von Erster Partei und Lettlands Weg ist gemeinsamen Werten nicht geschuldet, sondern einer vergleichbaren Stärke. Und das ist nunmehr erneut so. Gegen eine solche Partnerschaft sprechen eigentlich nur die Grauen Eminenzen dieser beiden Parteien, Ainārs Šlesers und Andris Šķēle, die als zwei der drei wichtigsten Oligarchen Lettlands gelten. Beiden droht im Herbst das Damoklesschwert der 5%-Hürde. Und da finden sich dann Gemeinsamkeiten neben dieser Gefahr – Stendzenieks fiel auf, daß beide die gleichen Initialen haben. Darum AŠ zum Quadrat.

Ainārs Šlesers hat sogar erklärt, seine Vicebürgermeisterstelle in Riga aufzugeben und im herbst zu kandidieren. Einstweilen müssen AŠ und AŠ aber ihre Parteimitglieder vom Schulturschluß überzeugen.

Schwierig wird möglicherweise, daß die Erste Partei / Lettlands Weg nach dem Ausscheiden der Volkspartei aus der Regierung verkündet hat, das Minderheitskabinett von Valdis Dombrovskis zu unterstützen. Aus der Fraktion der Volkspartei schied wiederum Jānis Lagdzdiņš aus, der 2007 durch seine Geste am Fenster des Abgeordnetenhauses nach der Wahl von Valdis Zatlers zum Präsidenten Bekanntheit erlangte. Die Frage der Haltung zur Regierung ist hochaktuell, weil der Ministerpräsident einstweilen keine Mehrheiten gefunden hat, die bei der Besetzung der vakanten Posten auf der Regierungsbank zu “helfen” bereit sind.

Lettland hat wieder einmal ein Thema

Lettland kommt ein halbes Jahr vor der Parlamentswahl politisch nicht zur Ruhe. Da wurde oft erklärt – auch vom Autor dieser Zeilen – es gäbe zu wenig öffentliche Diskussionen im Lande. Davon kann derzeit die Rede nicht sein. Allerdings geht es freilich wieder einmal nicht om policy, also politische Inhalte, sondern um das Personalkarussell.

Stein des Anstoßes ist die Wiederwahl des Generalstaatsanwaltes Jānis Maizītis, dessen zweite Amtszeit agläuft. Nachdem hinter den Kulissen Einigkeit zu herrschen schien, diese Kandidatur im Parlament zu unterstützen, lehnten die Abgeordneten zu ihrer eigenen Überraschung den Vorschlag des Präsidenten des Obersten Gerichtes, Ivars Bičkovičs, ab.

Jetzt ist die Aufregung groß. Ex-Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga startete gemeinsam mit ihrem Amtsvorgänger Guntis Ulmanis eine Internet-Petition, nach der Maizītis einfach neuerlich vorgeschlagen werden, im Plenum aber nicht geheim abgestimmt werden soll. Diese wurde von vielen hundert Bürgern, darunter zahlreiche gesellschaftlich bekannte Persönlichkeiten unterschrieben.

Das ruft die Kritiker auf den Plan. Viele sind zunächst einmal der Meinung, es dürfe nicht sein, daß solche Änderungen in der Geschäftsordnung des Parlament für die Fälle konkreter Personen dann auf ein konkretes Amt bezögen würden. In der Frage der Wahl von Amtspersonen durch die Abgeordneten müßteb grundsätzliche Beschlüsse gefaßt werden, die dann für alle Wahlen gelten. Einige Kommentatoren merken an, daß die offene Wahl für Ämter der Exekutive eher akzeptabel sei als bei Positionen in der Judikative – was auf den Fall des Generalstaatsanwaltes zutreffen würde.

Die Professorin für Politikwissenschaft der Rigaer Stradiņš-Universität, Ilga Kreituse, kritisiert, daß die Petition von früheren Amtspersonen angeregt worden sei, die selbst “nur” vom Parlament gewählt worden waren und wohl in direkter Volkswahl kaum je zum damaligen Zeitpunkt ins Amt gekommen wären. Das gilt auch für den Präsidenten des Gerichtes, dem das Vorschlagsrecht zusteht. Dieser hatte erst vor einigen Monaten eine Affäre über Zweifel an der rechtmäßigkeit seiner Staatsangehörigkeit durchzustehen.

Kreituse versteht ebenfalls nicht, warum öffentlich der Eindruck erweckt werde, als gäbe es keine anderen potentiellen Kandidaten. Maizītis sei gewiß kein Engel und in habe sie in den Untersuchungen gegen den Bürgermeister von Ventspils, Aivars Lembergs, enttäuscht.

Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichts, Aivars Endziņš, fügt hinzu, daß eine geheime Wahl in einem Land mit normal funktionierender Demokratie kein Problem sei. In Lettland aber werde alles politisiert. Dem ist nichts hinzuzufügen. Das Ergebnis ist einstweilen offen.

17. April 2010

In aller Munde

Als in der deutschen Presse erstmals der Robin Hood von Lettland, der sich selber Neo nennt, erwähnt wurde, war dieses Thema vor Ort eher online aktuell. Inzwischen wird es jedoch kaum jemanden geben, der noch nicht von Neo gehört hat, über den inzwischen sogar das Europamagazin der ARD berichtete.

Trotzdem ein kurzer Rückblick: Zunächst wurde nur über ein Leck in der Datenbank des lettischen Finanzamtes berichtet, später über Nero, der im Internet die Einkommen zahlreicher Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst mit Namen veröffentlicht. Der Name Neo bezieht sich auf den Helden der Matrix-Filme; seine Gruppe nennt er 4ATA. Diese Abkürzung steht für “Ceturtās atmodas tautas armija”, auf deutsch die Volksarmee des vierten Erwachsens. Mit Atmoda, Erwachen, benennen die Letten die nationalen (nicht nationalistischen) Bewegungen, die seit Ende des 19. Jahrhunderts die eigene Identität durch das Entstehen bildender Künste förderten, was schließlich in die staatliche Unabhängigkeit mündete. Ende des 20. Jahrhunderts ging es um die Unabhängigkeit von der Sowjetunion.

Es besteht kein Zweifel, daß die Tätigkeit von Neo juristisch nicht in Ordnung ist, moralisch aber wird sich in Lettland kaum jemand finden, der sein Handeln nicht rechtfertigen würde – eine Parallele zu Deutschland und die Banken-CDs.

Hintergrund ist nicht nur die Enttäuschung über die politische Elite des Landes, sondern die Unverfrorenheit für lettische Verhältnisse exorbitant hoher Gehälter. Dazu einige Ausführungen:

Wenn der Präsident mehr als 3.000 LVL verdient, das sind rund 4.500 Euro, dann kann zur Not auf ein gern auch in Deutschland diskutiertes Argument zurückgegriffen werden, daß kompetente Menschen in die Politik nur mit konkurrenzfähigen Bezügen gelockt werden können. Da ist auch sicher was dran. Wenn aber die Mitarbeiter des Präsidialamtes durchschnittlich 844 LVL erhalten, während zahlreiche Menschen entweder ihren Job verloren haben oder ihnen aber wenigstens das Einkommen teilweise drastisch gekürzt wurde – 20 bis 40% sind nichts Ungewöhnliches im Rahmen der inneren Abwertung, welche die Regierung realisierte, um die Landeswährung nicht überhaupt abwerten zu müssen – dann ist Empörung keine Überraschung.

Zum Vergleich, der offiziell staatlich festgelegte Mindestlohn stieg in den vergangenen Jahren gemeinsam mit den Durchschnittseinkommen schnell und beträgt derzeit 180 LVL, also knapp 300 Euro. Der Durchschnittverdienst im Präsidialamt ist damit mehr als vier Mal so hoch, wobei er ungleich verteilt ist. Die Pressesprecherin erhielt 2.237 LVL.

Wie wenig 300 Euro in Lettland sind, darüber ließe sich trefflich streiten. Gewiß aber ist es mehr als in Deutschland; und von Verhungerten wurde in Lettland nicht berichtet. Trotzdem ist ein Gehalt von mehr als 2.000 LVL so viel Geld, daß es sich im Alltag schwerlich ausgeben läßt, selbst wenn der Betreffende ein Auto besitzt. Die Summe ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, daß, wenn auch kein Hunger, Armut in Lettland bereits vor der Krise existierte und jetzt viele Menschen betroffen sind, die sich noch vor wenigen Monaten zum Mittelstand zählen durften. Es gibt in Lettland nicht nur Tafeln wie in Deutschland, es gibt Werbekampagnen, halb Lettland nicht hungrig zu Bett gehen zu lassen.

Doch das Präsidialamt ist damit kein Einzelfall, Neo konnte klären, daß die Lieblingszahl im Öffentlichen Dienst 1.000 ist, aber es sind gerne auch fast 2.000. Darüber hinaus wurden viele Mitarbeiter befördert, so daß mancherorts jeder sein eigener Abteilungsleiter war, ohne noch untergebene Mitarbeiter zu leiten. In den letzten Jahren hatten die Regierungen den bürokratischen Apparat im Gegenteil etwa zu Estland ausgebaut. Ein Grund dafür war die Schaffung von Arbeitsplätzen. Im Rahmen der Finanzkrise wurde dieses Rad gehörig in die Gegenrichtung gedreht, Arbeitsplätze wurden gestrichen und ganze Behörden aufgelöst und ihre Zuständigkeiten auf andere verteilt.

Neo als Held zu feiern, wäre sicher falsch. Die Frage, ob die Ermittlungsbehörden “gestohlene” Daten für die Überführung von Tätern verwenden darf, wurde auch in Deutschland breit diskutiert. Aber als Parallele zu Peer Steinbrücks Kavallerie, welche Steueroasen inzwischen sehr unter Druck gesetzt hat, ist die politische Elite jetzt aufgefordert, für mehr Transparenz zu sorgen. Im Herbst sind Parlamentswahlen in Lettland.

9. April 2010

Politisches Absurdistan in Lettland

Daß in Lettland kurz vor Parlamentswahlen gerne neue Parteien gegründet werden, ist bei weitem nichts Neues. Bislang allerdings handelte es sich aber vorwiegend um aussichtsreiche Projekte beliebter Persönlichkeiten. In den vergangenen Monaten wiederum fiel die politische Landschaft plötzlich mit Konsolidierung im Harmoniezentrum und der Gründung der Einheit auf. Nun machen die kleinen Parteien von sich reden; es wurden die Solidarität und die Internationale als politische Koalitionen gegründet.

Die Sozialdemokraten, welche von 1998 bis 2002 nur einmal im Parlament vertreten gewesen waren, die Volksbewegung Solidarität (Tautas Kustība Solidaritāte) und der lettische Ableger der europaweiten Euroskeptiker Libertas in Lettland wollen mit der Soldarität )Solidaritāte) ein sozialdemokratisch orientiertes Wahlbündnis auf die Beine stellen. Diese Zusammenstellung ist reichlich überraschend, wird doch Libertas vom früheren Ministerpräsidenten und Europaabgeordneten Guntars Krasts angeführt, der jahrelang der nationalkonservativen Partei Für Vaterland und Freiheit angehörte.

Diese Vergangenheit will nicht so recht zusammenpassen mit den programmatischen Forderungen nach mehr Staat in der Wirtschaftskrise zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut. Verwunderlich auch die Bestätigung des Chefs der Sozialdemokraten, Jānis Dinevičs, noch zu Jahrebeginn Gespräche mit der Einheit geführt zu haben. Die Sozialdemokraten waren aber nicht einverstanden mit dem Angebot einiger Listenplätze, um im Gegenzug selbst keine Liste mehr aufzustellen. Jetzt würde Dinevičs gerne bei der Wahl auf der Liste parteilose Vertreter von Nichtregierungsorganisationen sehen.

Die Partei Bewegung des 13. Januar (13. Janvāra Kustība) von Vladimir Linderman un Jevgeņij Osipov mit seiner „gleichnamigen“ Partei registrierten die Internatinale (Internetionāle), deren Hauptziel der Kampf für soziale Gerechtigkeit sei. Linderman ist die mit den Nationalbolschewisten sympathisierende schillernde Persönlichkeit in Lettland. Er hatte sich vor Gericht gegen illegalen Sprengstoffbesitz verantworten müssen, wo ihm die Staatsanwaltschaft letztlich keine Schuld nachweisen konnte. Linderman hatte das Verfahren durch einen längeren Aufenthalt in Rußland verzögert, bis er von den dortigen Behörden an Lettland ausgeliefert worden war.

3. April 2010

Tourismus mal anders

In den letzten Jahren sind britische Touristen in der Altstadt von Riga aufgefallen, weil junge Männer ihren Junggesellenabschied hier feierten. Abgesehen davon, daß sie oftmals nicht wenig alkoholisiert waren und sich entsprechend lautstark bemerkbar machten, wurden Truppen in Verkleidungen, etwa mit Windeln gesichtet.

Seit einiger Zeit gibt es aber in Lettland Kräfte, die versuchen, Ausländer mit medizinischen Dienstleistungen anzulocken. Das sind neben gesundheitlich überflüssigen oder gar umstrittenen Eingriffen wie Brustvergrößerungen und Fettabsaugen auch ernstzunehmende Leistungen etwa in der Zahnmedizin.

Während britische Journalisten sogar in der Times darauf hinwiesen, daß hier bis zu 40% der Kosten eingespart werden können, ließ sich der Rigaer Bürgermeister Nils Ušakovs in Großbritannien mit der Aussage zitieren, daß die Briten sich gerne in Riga betrinken dürften, aber es gebe auch noch andere interessante Angebote.

Experten weisen darauf hin, daß medizinische Touristen sich durchschnittlich sechs bis sieben Nächte in Lettland aufhalten. Damit liegen sie in der Länge des Besuchs gleich hinter Menschen in der Ausbildung. Darum gibt es inzwischen eine intensivere Zusammenarbeit zwischen medizinischen Einrichtungen, die gemeinsam in Werbung, eine Homepage, sogar eine Vertretung in London aber auch in die Bekämpfung des Betrugs investieren. Es kommt nämlich durchaus vor, daß ein Ausländer nach erfolgreicher Behandlung ein Mißverständnis vorschiebt, um die Rechnung nicht begleichen zu müssen.

Einstweilen wird dabei nicht diskutiert, daß für die einheimische Bevölkerung die in der Tat gemessen an westlichen Verhältnissen günstige Zahnmedizin oftmals unerschwinglich ist. Im Gegenteil zu anderen gesundheitlichen Problemen wird damit die Armut im Alltag sichtbar.

Inzwischen wurde Lettland auch als Destination für Suchtbehandlung entdeckt. Alkoholismus ist ein Problem nicht nur in Lettland – aber auch!