17. Mai 2006

Die besten Fans der Welt - ausser Rand und Band ...

Während in deutschen Landen nun langsam allen die Fußbälle um die Ohren fliegen, geht in Riga die Eishockey-WM in die Endphase. In den Spielen des lettischen Teams in der Zwischenrunde gegen Kanada, die USA und Norwegen sollte sich entscheiden, wie hoch die Wellen der Eishockey-Begeisterung der heimischen Fans noch schlagen. Ein Sieg gegen Aufsteiger Norwegen war eigentlich eingeplant, aber um das Viertelfinale - und damit nach langer Zeit mal wieder einen Platz unter den ersten Acht einer WM - zu erreichen, musste entweder gegen die starken Kanadier oder gegen die USA mindestens ein Unentschieden her. Was dann aber im Spiel gegen Kanada folgte, war ein kleiner Knacks für den sonst so guten Ruf der lettischen Eishockey-Fans.

Fans ungewöhnlich ungeduldig
"Bitte, bitte, liebe Fans, benehmt euch ordentlich!" bettelten am Tag nach dem Spiel die lettische Tagespresse. Was war geschehen?
Gegen Kanada zu verlieren, wäre sicher keine Schande gewesen. Die heimischen Fans nahmen es aber wohl dem Schiedsrichter die Vielzahl von gegen das lettische Team verhängten Strafzeiten übel - ein sehr starker kanadischer Start ins Spiel kam dazu, und bald stand es 0:3, dann 0:5. Etwa beim Stand von 0:7 soll begonnen haben, was im lettischen Eishockey noch nie passiert sein soll: unzufriedene Zuschauer begannen damit, Gegenstände aufs Spielfeld zu werfen. Erst Feuerzeuge, dann Geldstücke, und schließlich sollen es sogar Mobiltelefone gewesen sein, die zur ernsthaften Gefahr für die Kufenstars wurden. Zweimal musste mitten im Spielverlauf unterbrochen werden, damit die Eisfläche gereinigt werden konnte.

Lettische Presse schockiert
Wer wird die Ereignisse ausserhalb Lettlands schon so genau wahrgenommen haben? In Lettland selbst jedenfalls redeten alle von den Ereignissen. Auch die Medien aus dem Land des Spielgegners Kanada (die das Spiel am Ende 11:0 gewonnen hatten) werden das eine oder andere geschrieben haben. Am meisten erschütterte es wohl die heimische lettische Presse, denn alle waren bis zu diesen Ereignissen davon überzeugt, dass gerade die Eishockey-Fans aus Lettland bei den vergangenen Weltmeisterschaften und Olympiaden mit fantasievollen Aktionen und sympatischem Auftreten im Ausland immer einen hervorragenden Eindruck gemacht hatten.
Sorgen kamen auf: Was wird erst im Spiel gegen die US-Boys noch zu erwarten sein?
Glücklicherweise steigerten sich die Ereignisse nicht ins Negative - im Gegenteil. Bis zum 2:2 kämpfte die lettische Mannschaft tapfer, musste sich dann aber doch 2:4 geschlagen geben. Lediglich "ohrenbetäubend laut" soll es in der Halle gewesen sein, so bestätigten auch einige US-Spieler.

Eisiges Vergnügen
In Rigas Altstadt - und drumherum - ist relativ viel für potentielle Sportfans getan: Viele Bars und Gaststätten haben sich ganz auf Eishockey eingestellt und zeigen alle Spiele LIVE in ihren Räumen. Am Kongreßhaus sind ausserdem kostenlos zugängliche Zelte aufgebaut, und einige Dutzend Fernsehschirme zeigen die Spiele in allen Details. Wer möchte, kann dort auch gleich sein Mittag- oder Abendessen einnehmen, und Getränke gibt es auch dazu.
Allerdings haben sich die Aussentemperaturen in der 2. WM-Woche merklich abgekühlt: nur um die 12 Grad tagsüber, und bis zu 0 Grad nachts brachten manche leichter bekleideten Fans zum Frösteln. So verkriechen sich die meisten - sofern sie keine Karten für die weiteren Spiele haben - dann doch in gewärmte Räume der Altstadtkneipen.
Der Touristenansturm zur WM ist übrigens weniger stark als erwartet: manche Hotels hatten die Preise während der WM derart erhöht, dass Fangruppen osteuropäischen Mannschaften sogar lieber ein Flugzeug charterten, um abends nach dem Spiel gleich wieder nach Hause zu jetten. Nicht alle werden also ihr Geschäft gemacht haben. Die Mehrheit der in Riga herumflanierenden Hockey-Gäste sind Skandinavier: Norweger, Schweden oder Finnen genießen die für ihre Verhältnisse moderaten Getränkepreise. Dazu kommen noch einige Schweizer, deren Mannschaft in Riga überraschend erfolgreich war.

Zufrieden mit dem Erreichten
Die lettische Mannschaft ist also ausgeschieden, und belegt offiziell Platz 10. Nun wird diskutiert, ob der gerade vor der WM neu engagierte Trainer bleiben darf. Plus und Minus werden öffentlich diskutiert: autoritär soll er sein, alte "Sowjetmethoden" werden ihm vorgeworfen - aber etwas Autorität braucht doch so ein Haufen Eishockey-Cracks auch?
Ein gutes Abwehrsystem soll er eingeführt haben - aber andererseits hatte die lettische Mannschaft immer in den Schlußdritteln nichts mehr zuzulegen. Verbandspräsident Lipmans soll sich aber schon festgelegt haben: es geht mit Trainer Nationaltrainer Vorobjovs auch in die nächsten Länderspiele.

Zunächst aber sind wohl erstmal wieder die sommerlichen Sportarten angesagt ....

11. Mai 2006

Lettland durch die Kamera


I'm localising, ok?
Originally uploaded by tm_lv.
Wird Zeit, mal einen jungen Letten mit seinen Photos vorzustellen. So sieht das aus, wenn "tm_lv" unterwegs ist. Kaum zu übersehen: Er ist Computerfreak und beobachtet dabei seine Umgebung. Diese Aufnahme ist das Resultat. Eine Linux-Veranstaltung für Programmierer. Bei flickr gibt es noch mehr von ihm. Einfach auf das Foto klicken und es wird zum Fotoprogramm weitergeleitet. Ausserdem betreibt er einen Blog. Hier eine gepostete Karikatur zur Lage der Eishockeynation Lettland.

4. Mai 2006

Es wird Sommer ? Nein, erstmal ist Eishockey ...

Am 4.Mai war Gedenktag - genau vor 16 Jahren entschied sich das damals noch als "Oberster Sowjet" amtierende lettische Parlament für die erneute Proklamierung der lettischen Unabhängigkeit. Zwar wurde dieser Schritt erst nach dem fehlgeschlagenen Putsch gegen Gorbatschow in Moskau (August 1991) auch international anerkannt, aber in Lettland sind sich viele noch sehr bewußt, welchen schwierigen Schritt damals die Verantwortlichen zu gehen bereit waren.

Auch in Lettland wird es frühlingshaft - aber nach dem 4.Mai beginnt dieses Jahr nun eine ganz spezielle "fünfte Jahreszeit" in Riga - noch weit vor den Mitsommer-Zeremonien, und Parlamentswahlen sind auch erst im Herbst.












Nein, vor allem in den zwei Sportarenen Rigas wird ein weltsportliches Ereignis angepfiffen. Ein 17tägiges Spektakel kann beginnen. Die Weltelite des Eishockey trifft sich in Lettland zur Weltmeisterschaft. 70 Spiele wird es geben, und wer keine Karten bekommen
hat, wird die Ereignisse vielleicht rund um eine der in der Innenstadt bereitgestellten Großbildleinwände mit zelebrieren wollen.
Lettlands eigene nationale Kufenhelden sind natürlich dabei - im Gegensatz zu den deutschen Puckjägern, die im Vorjahr aus der ersten Weltliga abstiegen, und sich kürzlich erst mühsam im französischen Amiens den Wiederaufstieg sichern mussten - um dann 2007 wieder dabei sein zu können.

Wieder einmal streifen sich Regierungschefs den Sportlerdress über - und hoffen auf bessere Stimmung im Lande. Die Eishockey-WM ist dem Fußball-Hype in Deutschland durchaus vergleichbar: zwar glauben auch fanatische lettische Fans selten an Heldentaten, aber im Internetportal TVNET glauben doch immerhin 53% der Teilnehmer einer entsprechenden Umfrage an Lettlands Einzug ins Viertelfinale (also an ein Weiterkommen nach den ersten Gruppenspielen). Nationalsportarten verpflichten.

Verplichten ließen sich auch, allein schon für das erste
WM-Wochenende in Riga, etwa 700 Freiwillige. Eine Entlohnung als Gegenleistung für die übernommenen Arbeiten war nicht nötig, so berichtet es die "Neatkariga Rita Avize" am 3.Mai. "Anders nicht zu erlangende Erfahrungen, und neue Freunde" - das reicht als Motivation für den Nachwuchs der baltischen Eishockey-Nation. Wer mindestens 16 Jahre ist, Englisch oder Russisch spricht, der ist dabei. "Dennoch hat Lettland eigentlich keine Tradition mit ehrenamtlicher Arbeit", meint die Verantwortliche für diesen Bereich, Lita Pakalna. "Einige meinten doch wirklich, sie könnten bei der Arbeit alle Spiele sehen und würden dafür auch noch bezahlt."

Allein 60 Freiwillige arbeiten im Akkreditierungszentrum der WM. Dort müssen etwa 15.000 Akkreditierungskarten ausgegeben werden an die ganze WM-Karawane rund um die 16
teilnehmenden Mannschaften. Glücklich werden sich wahrscheinlich diejenigen schätzen, die zur Betreuung prominenter Gäste eingeteilt werden (im Stadion werden allein für diesen Sektor 700 Plätze freigehalten). Angesagt haben sich neben der schwedischen Königin Sylvia (aus dem Land des Olympiasiegers diesen Jahres) auch der tschechische Regierungschef Paroubek und der ehemalige Schweizer Bundespräsident Samuel Schmidt.

Es gibt auch weniger angenehme Meldungen: Die Bevölkerung wird auf die Anwesenheit von besonders vielen Polizisten im Straßenbild vorbereitet - sogar Polizeikollegen aus Litauen und Estland hätten Hilfe versprochen, so Polizeihauptmann Aivars Grigulis in der Fernsehsendung "900 Sekunden". Wer dessen Aussagen aufmerksam verfolgt konnte lesen, dass sich die lettische Polizei am meisten vor Regen während der WM fürchtet: "Eine unserer größten Sorgen wären die vielen Regenschirme."

Einige Rigaer Hotels verdoppelten zur WM-Zeit erstmal die Preise. "Schon im Herbst letzten Jahres haben wir Buchungsanfragen aus dem Ausland gehabt, die alle unsere verfügbaren Zimmer nachfragten," so Laura Zarina von der Agentur LATVIA TOURS. Ein Teil der Anfragen habe sich später aber erledigt, da ausländische Partner von Problemen berichtet hätten, auch die entsprechenden Tickets für die Spiele zu bekommen."So werden vielleicht sogar einige der Zimmer frei bleiben." Das Portal Finance-Net.LV sah sich sogar veranlaßt, solche freien Hotelplätze zu veröffentlichen. Positiver wurde da schon aufgenommen, dass es seit einigen Wochen wieder eine ständige Fährverbindung mit dem schwedischen Stockholm und Riga gibt. So können wohl auch spontane Sportbegeisterte leicht die Reise zur WM wagen, spekuliert die Tageszeitung DIENA.

Und was gibt's Neues von der lettischen Mannschaft? Dort hat Nationaltrainer Pjotrs Vorobjovs ganze sechs Tage vor der WM seinen Ko-Trainer ausgewechselt. Anzunehmen ist, dass es nicht am Namen lag: klang doch der Name des bisherigen Ko-Trainers Leonīd Beresņevs ganz ähnlich wie ein ehemaliger Sowjetführer. Solche Spekulationen leiten aber sowieso in die Irre: im lettischen Eishockey spielen Russen wie Letten einträchtig neben- und miteinander im Nationalteam.

Was wäre bei uns los, wenn Klinsmann plötzlich den Bierhoff oder den Yogi .... Nein, nicht auszudenken. Aber der Erfolg wird die Geschichten schreiben. Vorerst kann Lettland zufrieden sein, dass die Topmannschaften aus USA, Russland, Schweden, Tschechien oder Kanada zu Gast sind, und dieses Ereignis wieder einmal eine gewisse Art Anerkennung auf internationaler Ebene herstellt. Noch vor einem Jahr hatte man den Letten kaum zugetraut, eine große neue Halle bauen zu können. Noch vor wenigen Wochen gab es technische Probleme bei der neuen Eishockey-Arena Riga. Aber nun kann es losgehen!

Zum Weiterlesen zum Thema:

- WM-Blog von Eishockey-Fans aus der Schweiz
- WM-Kalender bei Eurosport
- WM-Spielplan bei Wikipeda

- WM-Fanblog von Claude Moeri
- englischsprachige Newsseite der lettischen WM-Veranstalter
- Zeitplan der Fernseh-Übertragungen bei DSF

P.S.: Lettland startete sensationell und spielte erstmals gegen das Spitzenteam aus Tschechien Unentschieden:
1 : 1 !
"Süßigkeiten zum Eishockey-Fest" so beschreibt die Tageszeitung DIENA die Stimmung in Lettland nach diesem erfreulichen Beginn.
Bei solchen erfreulichen Gelegenheiten läßt sich auch der Regierungschef gern beim Jubeln fotografieren.

Und nach einer eher zu erwartetenden Niederlage gegen Finnland (0:5) reichte es für das lettische Team dann doch zum klaren 5:1 gegen Slowenien und damit den Einzug in die Zwischenrunde. Hier gibt es dann zumindest noch die Spiele gegen Kanada (Donnerstag, 11.Mai, 20.15 Uhr), USA (Samstag, 13.Mai, 20.15 Uhr) und Norwegen (Dienstag, 16.Mai, 19.15 Uhr).
Beim Spiel Schweden gegen die Schweiz traten Probleme mit der Eisqualität auf - leider ähnlich wie im vergangenen Jahr bei der WM in Österreich, und auch diesmal ist für die Eisaufbereitung eine Firma aus der Schweiz zuständig.
Für Lettlands Eishockey-Fans jedenfalls ist die WM jetzt schon ein Erfolg - sportlich auf jeden Fall, und zu hoffen ist,. dass organisatorisch jetzt alles glatt geht.
DSF überträgt übrigens die Spiele im TV!

Weitere Berichte zur Eishockey WM im Netz:
- Hockey-Web: Wer wird Weltmeister? Russland?
- Hockey-Web: Viel Polizei und Sicherheit, plus Verkehrschaos in Riga
- Ergebnis-Dienst des ZDF
- "Latvija, Latvija" - Zwischenbilanz der WM in der NZZ. Zitat aus diesem Bericht:
«The land that sings» nennt sich Lettland in Anlehnung an seine Musikkultur. Kommt aber die Eishockey-Nationalmannschaft ins Spiel, müsste es eher heissen: «das Land, das schreit». Die lettische Begeisterung für den Eishockeysport ist allgegenwärtig und wohl bis nach Sibirien zu hören."