29. Mai 2025

Kein Zweifel

Das Team des Architekturbüros Zaiga Gaile
präsentiert das Modell ihres Projektes, so wie es
jetzt in Venedig ausgestellt wurde
"No Doubt About It" sang "Hot Chocolate" in den 1980igern. In dem Lied ist von anderen Lebensformen und einer Wolke aus weissen und grünen fliegenden Schiffen die Rede. - Ganz aktuell gibt es die "Zweifelsfreien" diesmal am Rande der 19. Architekturbiennale in Venedig als Diskussionsveranstaltung und Ausstellung: unter dem Titel "No doubt about it" stellt Kurator Vladimir Belogolovsky in der Magazzino Gallerie vom 8.Mai bis 23. November 2025 Architekturprojekte aus Armenien, Georgien, Polen, China, Deutschland und Lettland vor ("IR").

In Venedig mit dabei ist auch die lettische Architektin Zaiga Gaile - sie stellt ihre Entwürfe zur Restaurierung des früheren Haus der "Gesellschaft der Musse" in Riga vor, zuletzt bekannt als "Wagner-Saal" (vagneriga). An ihrer Seite - wie fast immer - Ex-Ministerpräsident Māris Gailis (youtube), der auch geschäftsführender Vorsitzender der "Richard-Wagner-Gesellschaft Riga" ist, vorgestellt als "erfahrener Immobilienentwickler und Unternehmer". (vagneriga, siehe auch: "Wagner-Dämmerung")

"Musse" ist kein Müßiggang 

Zu Zeiten Wagners gab es in dem Haus, das jetzt in der "Riharda-Vāgnera-iela" liegt, eine Bibliothek und einen Lesesaal, einen Tanzsaal, ein Damenlokal, einen Herrenclub und mehrere geräumige Salons.

Die Richard-Wagner-Gesellschaft Riga (RWGR) und das Architekturbüro Zaiga Gaile betonen, dass mit der Präsentation des Projekts in Venedig ein symbolischer Bogen gespannt wird – von Riga über Bayreuth nach Venedig und zurück. In Riga wirkte Richard Wagner 1837 bis 1839 als Kapellmeister am ersten Stadttheater. In Bayreuth baute Wagner 1876 sein eigenes Opernhaus, das die in Riga entwickelten Prinzipien umsetzte und bis heute jedes Jahr das renommierte Bayreuther Festspielhaus beherbergt. Und Venedig war der Ort, wo Wagner 1883 starb. - 2020 hatte die staatliche Immobilienverwaltung das historische Gebäude auf die Richard-Wagner-Gesellschaft Riga übertragen (NMZ). Im Mai 2023 konnte der Grundstein für das Projekt eines neuen "Wagner-Theaters" gelegt werden (richard-wagner.org

Ein Schicksalsschiff 

Im neu gestalteten Haus soll sogar ein Modell des Schiffs "Thetis" zu sehen sein, mit dem Wagner im Sommer 1839 von Pillau aus über Norwegen nach England floh - inklusive eines schweren Sturmes, der Wagner angeblich zu seiner Oper "der fliegende Holländer" inspirierte (siehe auch: Bayrischer Rundfunk). 

Es sei nicht ganz einfach gewesen, das Modell des Projektes nach Venedig zu transportieren, berichtet Zaiga Gaile. Schon aus dem eigenen Architekturbüro in Riga musste es auf dem Fenster mit Seilwinden nach draußen gehoben werden. In Venedig kam das Ehepaar Gaile mit der kostbaren Fracht per Schiff an - allerdings nicht ohne Verluste. Alles war sorgsam in Luftpolsterfolie eingepackt worden, aber das winzige Modell der "Thetis" wurde, in Folie verborgen, beim Auspacken von einem Arbeiter versehentlich weggeworfen. "Armer fliegender Holländer!" kommentiert Māris Gailis, der ja selbst mit seiner Yacht "Milda" auch schon eine Weltumseglung unternommen hatte. (filmas / Dienas bizness)

20 Millionen Euro sollen bisher an Spenden gesammelt worden sein, um das Projekt des neuen "Wagner-Konzerthauses" fertigzustellen. Fünf Millionen Euro kommen von deutscher Seite dazu (siehe Beitrag). Allerdings werden die Gesamtkosten inzwischen nicht mehr auf 40, sondern bereits auf 47 Millionen Euro veranschlagt - mehr, als die kürzlich fertiggestellte Modernisierung des Gebäudes für das Neue Rigaer Theater (Jaunais Rīgas teātris). Es ist vorgesehen, dass nach Fertigstellung auch das Orchester der Kremerata Baltica hier beheimatet sein soll. ("IR"). Bisher ist eine Fertigstellung innerhalb von 10 Jahren vertraglich festgelegt, wird das nicht erreicht, könnte das Haus wieder für andere Zwecke vorgesehen werden. "Aber im schlimmsten Fall, wenn es dann auch nicht ganz fertig sein sollte - es wird dann so aussehen, dass niemand es so leicht zu einem Casino oder Hotel umwandeln kann!" Davon ist das Ehepaar Gailis überzeugt. Bisher ist eine Eröffnung für 2028 vorgesehen - ein künstlerischer Leiter / eine Leiterin wird noch gesucht.  

12. Mai 2025

Baumaschinen oder Fahrradwege?

Die Kommunalwahlen in Lettland stehen Anfang Juni bevor, und wie immer wird mit besonderem Interesse verfolgt, welches Ergebnis wohl in der lettischen Hauptstadt zu erwarten ist. 

Rote Linien 

Die Berichterstattung der lettischen Presse betont die Abgrenzungen im Wahlkampf: welche Partei möchte mit wem zusammenarbeiten, und mit wem lieber nicht. "Jaunā Vienotība" (JV), die Partei von Ministerpräsidentin Siliņa, nennt zwei durchaus sehr unterschiedliche mögliche Partner für den künftigen Stadtrat von Riga: entweder die "Nationale Vereinigung" (NA), oder die "Progressiven" (Progresīvie). "Wir müssen Riga vor den Kreml-Propagandisten schützen" meint der amtierende Bürgermeister Vilnis Ķirsis (lsm). 

Fast jedem eine eigene Partei

Die gegenwärtig im Stadtrat Riga (60 Sitze) regierende Koalition wird aus ziemlich vielen Einzelgruppierungen gebildet: außer der JV sind das die Gruppe "Kods Rīgai", die Parteien "Gods kalpot Rīgai", "Latvijas attīstībai", und "Latvijas Reģionu apvienība", letztere bildet mit der NA eine Fraktion im Stadtrat. Dazu Einzelpersonen, die vorher mit ihrer Gruppierung "Kustība "Par!" eine Fraktion mit den Progressiven bildeten, nun aber mit der Regierungskoalition stimmen.

Mal eine ganz neue Art von Demo in Riga:
der Bürgermeister zieht mit Parteifreund/innen
durch die Altstadt und preist seine eigenen
vermeintlichen Errungenschaften
Da fällt es sicher vielen Wählerinnen und Wählern nicht leicht, überhaupt nachzuvollziehen, welche Person gerade zu welcher Partei gehört. Vize-Bürgermeisterin Linda Ozola zum Beispiel war bei den Wahlen 2020 Spitzenkandidatin der Neuen Konservativen Partei (tvnet), trat dort 2023 aus (delfi), schloss sich der Fraktion "Kods Rigai" an, und startet nun 2025 aber auf der Liste der "Jauna Vienotība". 

Der Vielversprecher

Aus vielen Parteiprogrammen lassen sich kaum konkrete Ziele für Riga herauslesen. Bei der NA vielleicht eine bevorzugte Bereitstellung von Wohnungen für Familien mit Kindern. Das ist bei Ainārs Šlesers durchaus anders. Früher einmal "Bulldozer" genannt, ist sein momentanes Parteienprojekt zwar nicht sein erstes - mit seiner "Ersten Partei" bestimmte er schon zwischen 2007 und 2011 die politischen Schlagzeilen, 1998 war er Mitgründer der "Neuen Partei", die sich 2001 zunächst in "Neue Christliche Partei" und dann in "Erste Partei" ("Pirma Partija") umbenannte. Sein momentanes Ego-Projekt ist "Lettland zuerst" ("Latvija pirmajā vietā" LPV), wurde 2021 gegründet, stellt wieder einmal seine eigene Person in den Mittelpunkt und trat gleich mal als entschiedene Impfgegner und Verteidiger "wahrer Familien" in Erscheinung. 

Eines habe die genannten Parteien gemeinsam: es ist immer irgendwie von „Šlesers Partei“ die Rede. Geboren als Ainārs Leščinskis nahm der mehrfache Parteiführer 1992 den Nachnamen seiner Frau an (Inese Šlesere, 1991 "Miss Lettland"). Als Geschäftsmann öffnete Šlesers einst norwegischen Firmen den Zugang zum lettischen Markt und wurde dafür sicherlich reichlich entlohnt - heute ist er Millionär, niemand fragt mehr danach wie er sein Geld verdient hat. Er war auch an der Entwicklung verschiedener Einkaufszentren und Hotels in Riga beteiligt. Als Verkehrsminister war er einst in den Korruptionsskandal um "Jūrmalgate" verwickelt (jauns / IR / ), und 2011 beantragte Präsident Valdis Zatlers beim Verfassungsgericht die Auflösung des Parlaments, da dieses sich geweigert hatte die Immunität des Abgeordneten Ainārs Šlesers aufzuheben, gegen den wegen Korruption ermittelt werden sollte. Resultat: Neuwahlen, bei denen der "Oligarchenblock" (Latvijas Pirma Partija / Latvijas Celš LPP/LC) mit 2,42% weit unter der 5%-Grenze blieb - obwohl Šlesers seine Partei schnell noch in "Šlesera Reformu partija" (Šlesers Reform Partei) umbenannt hatte.

Der größte Ärger: die Fahrradwege? 

Das kleinmütige Riga kann kaum je so groß
werden, wie Meister Šlesers selber, scheint
dieser Wahlslogan zu sagen
Aber auch in der - gefühlt - fünfundzwanzigsten Auflage verkündet Šlesers wie gewohnt "Wohltaten". Bei der LPV wird gleich ein ganzes Füllhorn von Versprechungen ausgeschüttet, und für jede und jeden scheint etwas dabei zu sein: "Gedeiht Riga, so gedeiht auch Lettland" (zu übersetzen wohl als "Ökonomie, Ökonomie, Investoren"), für den Bau eines neuen Konzertsaals und eines Museums für moderne Kunst, 200 Euro für alle als Unterstützung für Medikamente, 2000 Euro für jedes neugeborene Kind, und sogar für kostenlosen öffentlichen Nahverkehr in Riga (das war vor einign Jahren nur von den "Progressiven" zu hören). Darüber hinaus auch kostenlose Mittagessen in den Schulen bis zur 9.Klasse, Verringerung der Beamtenzahl um 30%, Steuererleichterungen für Immobilienbesitzer, Sitzbänke für Rentner und Spielplätze für Kinder. Renovierung aller Brücken und, erstaunlich: alle Fahrradwege sollen abgeschafft werden mit dem Argument, diese abgegrenzten Streifen würde ja im Winter sowieso nicht gebraucht. 

Demgegenüber klingen die Sprüche der anderen Parteien fast langweilig: "Sicherheit, Verantwortung, Ordnung" (JV). "Sicherer und menschenfreundlicher Stadtverkehr" (Progressive) Dem entsprechend ist es vielleicht kein Wunder, dass Šlesers mit seiner LPV inzwischen die Umfragen anführt - allerdings mit einer Zustimmung von 8,6% der Befragten auf einem sehr niedrigen Niveau. Auch wenige Wochen vor der Wahl wissen noch 33,1% nicht, was sie wählen sollen, und zusätzliche 14,5% sagen gar nicht teilnehmen zu wollen. (lsm)

Aufsuchende Urnenmobilität

Auf dem Lande herrscht offenbar größere Unsicherheit über die Wahlbeteiligung - bei den vorangegangenen Wahlen sollen sich in einigen Wahlbezirken weniger als 100 Menschen beteiligt haben. Zum ersten Mal wird es "fahrende Wahllokale" geben - es werden Busse mit Wahlurnen eingesetzt, und zwar voraussichtlich in Alūksne, Dobele, Jelgava, Olaine, Smiltene und in Rēzekne. Es werde zu bestimmten Zeiten Haltepunkte an Supermärkten, an Bahnhöfen oder Schulen geben, heißt es. (lsm)