17. Juli 2016

Schlechtere Bildung durch Lohnerhöhung?

Fürs neue Schuljahr, das im September beginnen wird, stellt die lettische Regierung einen völlig überarbeiteten, neuen Besoldungsplan für die Pädagoginnen und Pädagogen des Landes vor. Damit verbunden wird die Minimalbesoldung für Lehrerinnen und Lehrer von 420 auf 680 Euro steigen. Allerdings gibt es hier eine Hintertür für die Regierung, die natürlich immer noch über knappe Finanzmittel klagt: die Erhöhungen fallen, je nach dem in welcher Art Einrichtung man arbeitet, sehr unterschiedlich aus, und die vorgesehenen Strukturänderungen lassen noch viele Fragezeichen offen.

Vom 1. September an sollen die Beschäftigten in den allgemeinen Bildungseinrichtungen, Berufsschulen und Grundschulen die Erhöhung erhalten - in den Kindergärten jedoch steigt der Mindestlohn zunächst nur bis 620 Euro und soll dann erst ein Jahr später angehoben werden. Auch für Angestellte der Hochschulen und Colleges in Lettland soll der Lohn steigen, allerdings erst innerhalb von drei Jahren. Insgesamt sind es viele detaillierte Einzelbestimmungen, die - um das zukünftige System der Pädagogenlöhne wirklich zu verstehen - ein intensives Studium der vielen Einzelbestimmungen erfordern. So wird der konkrete zu erwartende Bruttolohn sowohl von der Schülerzahl pro Klasse abhängig gemacht (je mehr Schüler, desto höher der Lohn), als auch von "Qualitätszuschlägen", die aus dem Budget der zuständigen Gemeinden kommen sollen. Die mittlere durchschnittliche Entlohnung für Lehrer in Lettland soll danach dann bei 829 Euro (brutto) liegen (siehe Bildungsministerium).

Offenbar wird in Zukunft die Entlohnung besonders der Beschäftigten in Kindergärten davon auch davon abhängen, ob sich die Einrichtung in einer ärmeren oder einer wohlhabenderen Gemeinde befindet. Der jetzige Regierungsbeschluß sieht vor, es den Gemeinden freizustellen den Lohnaufschlag zu zahlen oder nicht. Eine Taktik, deren Hintergedanken der zuständige Minister Šadurskis offen zugibt: "Nächstes Jahr sind Gemeinderatswahlen - und den Gemeindebürgermeister möchte ich sehen, der so mutig ist das vor den Wählern abzulehnen!" (lsm)

Die Gemeinden aber halten sich bisher mit entsprechenden Beschlüssen dazu zurück. Die 110 Gemeinden und 9 Städte Lettlands erhielten inzwischen alle einen Brief der lettischen Gewerkschaft für Bildung und Wissenschaft (Latvijas izglītības un zinātnes darbinieku arodbiedrība - LIZDA); darin versucht die Gewerkschaft ihren Standpunkt zu erläutern: eigentlich sei man für die Sicherstellung sämtlicher Einrichtungen aus staatlichen Mitteln, jedoch lasse der Regierungsbeschluss vom 5. Juli nun leider viele Möglichkeiten der Ungleichheit offen. Man habe außerdem Verständnis für die Bemühungen vieler Gemeinden um die Bildungseinrichtungen, wo deren Unterhalt bis zu 50% des Gemeindehaushalts ausmachen können. Allerdings sind nur 54% der Beschäftigten im Bildungsbereich Gewerkschaftsmitglieder - und vielleicht hoffen die einen noch auf schlichte Fortsetzung alter Lehrmethoden mit erhöhten Lohnansprüchen, während andere längst aus dem pädagogischen Bereich in andere Berufe "geflohen" sind, auch ins Ausland.

Einige Gemeinden wehren sich aber bereits dagegen, dass der Unterhalt der Kindergärten nun vielleicht ganz auf ihre Kosten erfolgen soll. "Wir in Daugavpils gibt es vier Kindergärten für Kinder mit geistigen und körperlichen Behinderungen, hierhin kommen aber Kinder aus der gesamten Region", erzählt Zane Isajeva, stellvertretende Leiterin einer dortigen Einrichtung, im Interview (lsm). "Wir müssten dann die Einrichtung bezahlen, die Materialien, Verpflegung - gar nicht zu reden von den Lohnkosten für die Pädagogen!" Die Gesamtausgaben für diesen Bereich werden in Daugavpils auf 840.000 Euro berechnet, dieses Jahr kämen 200.000 Euro dazu, die im Gemeindehaushalt bisher nicht vorgesehen sind.

Diese Diskussionen werden wohl in Lettland momentan keine Sommerpause haben.

3. Juli 2016

Langer Sommer, kurzes Jahr

Wenn in Lettland die Zeit der Mitsommerfeiern gekommen sind, liegen bei den Jüngeren die Gedanken an Schule und Prüfungen längst weit zurück - während in Deutschland zumeist der Ferienbeginn noch auf sich warten lässt. Mit insgesamt 17 Wochen pro Jahr - die Staatsfeiertage nicht eingerechnet - und 13 Wochen im Sommer am Stück, nahezu der gesamte Juni, Juli und August haben die Schulkinder Lettlands bisher die längsten Ferien in ganz Europa. Erst am 1.September treffen sich Schüler und Lehrer wieder, und feiern den Schulanfang in der Regel laut und fröhlich.

Zu lange Ferien?
Aber dieses sommerliche schulfreie Paradies ist wieder einmal in der Diskussion. Kārlis Šadurskis, seit Februar 2016 ins Amt als Bildungsminister zurückgekehrt (er war es zwischen 2002 und 2004 schon einmal), sieht sich vor die Aufgabe gestellt eine Reihe von Reformen im lettischen Bildungssystem durchzuführen. Neben dem Wunsch vieler kleiner Gemeinden, auch die relativ kleinen Schulen zu behalten, und dem Wunsch der Lehrerinnen und Lehrer nach höheren Löhnen und besseren Fortbildungsmöglichkeiten könnte auch eine Verlängerung des Schuljahres auf dem Arbeitsplan stehen.

Eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung offenbarte außerdem bisher ungeahnte Schwächen des lettischen langen Sommers: dieses System trage dazu bei, die sozialen Unterschiede noch zu verstärken: bei sehr langen Lernpausen sollen demzufolge besonders das mathematische Verständnis und die Lesefähigkeiten nachlassen; das wurde damit erklärt, dass Kinder in besser gestellten Familien in den Ferien auch Museen besuchen, an Ferienlagern teilnehmen, oder Bücher lesen. Diese Studie wird bestätigt von den PISA-Studien, die einen großen Unterschied der Leistungen von Schülern aus wirtschaftlich besser gestellten und schwächeren Regionen feststellt - wie hoch der Prozentsatz an schlechter gestellten Familien ist, darauf weist schon die Tatsache hin dass 39% der Kinder (83.000) ein kostenloses Mittagessen in der Schule wahrnehmen ("IR" 13.4.16).

Ergebnisse einer Umfrage zu Freizeitaktivitäten lettischer
Jugendlicher (Quelle: Bildungsministerium)
Auch einige Unterrichtsfächer gelten als ausbaufähig; so der Sportunterricht - auch in Lettland gilt mangelnde Bewegung inzwischen auch bei Jugendlichen als Gesundheitsrisiko - daher mischte sich letztes Jahr auch schon der Gesundheitsminister ein, und schlug ebenfalls eine Verlängerung des Schuljahres vor (siehe: e-klase); allerdings hätte er die langen Sommerferien vielleicht nicht als "Überbleibsel der Sowjetzeit" brandmarken sollen - das stieß auf wenig Gegenliebe.

Voll gepackter Stundenplan
Aber ein Ausbau von Unterrichtsstunden ist im gegenwärtigen System kaum möglich: der Stundenplan reicht sowieso schon bis um drei Uhr nachmittags, danach gehen viele noch zum Sporttraining, Tanzen, zur Musik- oder Kunstschule, und schließlich noch Hausaufgaben.
Ferienzeiten in Europa
Auch neue Herausforderungen und Themen müssten zukünftig stärker eingebaut werden: von der Arbeit mit neuen Medien, Verkehrserziehung, Gesundheitsfragen. Weiterbildungen sollen ausserdem mehr Flexibilität der Unterrichtsmethoden erbringen - mehr interaktives Lernen für die Schüler, weniger Stress für Lehrerinnen und Lehrer.
Es gibt auch Schuldirektoren, die einer Verlängerung des Schuljahres schon deshalb zustimmen, weil es lettische Privatschulen sind, die zusätzlich zum Lehrplan auch bisher schon künstlerische Workshops, wissenschaftliche Untersuchungen in der Natur, oder Englisch-Sonderkurse anbieten.

Gegner einer Änderung argumentieren u.a. damit, dass die Sommerferien in Estland und Finnland, wo regelmäßig gute Schulleistungen festgestellt werden, nur wenige Tage kürzer sind als in Lettland. Andere wiederum wenden ein, es mache wenig Sinn, während der heißen und schwülen Zeit in Schulklassen zu sitzen, wenn es dort auch keine Ventilatoren oder Klimatisierung gäbe - diese Ansichten kann man wohl nur im hohen Norden Europas haben.
Und es gibt auch noch ein ganz anderes Argument: Eltern und auch Lehrer, die lange Schulferien dazu nutzen, um zusätzliche Jobs anzunehmen, etwa im Tourismus, um ihr eigenes Budget aufzubessern.
Die ersten Versuche, das Schuljahr in Lettland zu verlängern, wurden bereits unter Bildungsminister Māris Vītols (im Amt 1999 - 2000) gemacht; auch 2011 sahen die Pläne schon mal sehr konkret aus (siehe Blog). Im Moment deutet noch nichts darauf hin, dass es diesmal durchgesetzt werden wird - zu populär sind die langen Ferien bei den Schülern, zu unpopulär die Politiker.Ein echtes "Sommerlochthema".