25. November 2016

Kuh aus der Kindheit

Vor 11 Jahren stand die Herstellerfabrik im lettischen Skrīveri (Skrīveru Pārtikas kombināts - SPK) kurz vor der Pleite - es wäre das Ende vieler Kindheitserinnerungen gewesen. Zugegeben, modern gestylten Bonbons kleben nicht mehr im Mund, sind vielleicht nach Geschmack und Farbe optimiert. Aber die einfachen "Gotiņa's" (kleinen Kühe) waren einfach schon Jahrzehnte auf dem Markt - seit 1959 - in Notzeiten ebenso wie bei Familienfeiern, und als Probierportion für alle Gäste (besonders die aus dem Ausland). "Gotiņa's" aus Lettland wurden ab 1960 in die ganze Sowjetunion geliefert, in Blütezeiten mit bis zu 30 verschiedenen Fabrikationsstätten in ganz Lettland und 6000 Tonnen Exportwaren pro Jahr in die Sowjetstaaten.

Wo die Bonbonmasse noch mit Liebe gefaltet wurde:
ehemalige Līzuma Konfekt-Fabrik - gemeinsam
am runden Tisch
Seit der Beinahe-Pleite 2005 arbeitet "Skrīveru saldumi" nun mit neuem Konzept - und hat bisher überlebt. 2007 begann man auch Glasuren einzusetzen - eine Variante, für die nicht die teure Kakaobutter benötigt wurde. Zum Einsatz kam das zum Beispiel bei der Herstellung von Marzipanherzchen. Zur Einrichtung neuer Produktionsstätten im Stadtzentrum von Skrīveri, im Gebäude einer ehemaligen Molkerei und eines Käsewerks, mussten die Firmeninhaber Kredite aufnehmen, die noch heute abbezahlt werden müssen.

"Jeder Mitarbeiter verarbeitet, wenn er gut trainiert ist, bis zu 100kg der süßen Masse pro Tag," erzählt Dace Vītoliņa, eine der Filialleiterinnen bei "Skrīveru saldumi", in einem Interview für die Zeitschrift "IR". "Das ist körperlich anstrengende, aber auch physisch anspruchsvolle Arbeit, wir haben sogar Schwierigkeiten, hier die ausreichende Anzahl Mitarbeiter zu finden."
Es gibt neun Grundsorten der 'Gotiņas', aber zu Feiertagen und besonderen Anlässen werden auch neue Sorten angeboten. Heute arbeitet die Firma sogar mit ökologischen Zertifikaten: drei Sorten sind ganz aus Naturstoffen hergestellt, darunter die Sorten 'Walnuß' und 'Heidelbeere'. Gotiņa-Fans wie die Bloggerin Santa Ulnicāne wissen natürlich noch viel mehr Sorten aufzuzählen: mit Aprikosen, Pfefferminz, Sesam, Haselnuß, Kaffeegeschmack, mit Sonnenblumenkernen, oder sogar Zichorienwurzel (Wegwarte). Keine künstlichen Farb- oder Zusatzstoffe, ohne Konservierungsstoffe, Grundstoff: Milch aus Lettland - damit wirbt die Firma heute gern.

Nur wenige erinnern sich jedoch noch an den kleinen Ort Līzums, im Bezirk Gulbene weit im Nordosten Lettlands, wo die Produktion der "Kühchen" einst begann; ein Örtchen mit gerade mal 1400 Einwohnern. Hier kam die Milch der "lettischen Braunen" her, um in den 50iger Jahren dieses Produkt zu entwickeln.

"Auch heute noch bauen wir auf die spezielle Erfahrung unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen," berichtet Vorstandsmitglied und Miteigentümerin Iveta Audziša (e-Druva), die zusammen mit ihrem Mann Normunds 2005 in Līzums mit der Bonbonfabrikation begann, aufbauend auf ihre unternehmerischen Erfahrungen bei "SIA Dimdiņi" (Gemüse- und Kohlanbau). "Es braucht ein besonderes Gefühl dafür, wann die Bonbonmasse fertig ist. Einige unserer Meister haben daher schon dreißig, manchmal vierzig Jahre Erfahrung." In der Regel bleiben die frisch hergestellten Süßigkeiten bis zu zwei Monaten frisch. "Wer es länger frischhalten möchte, kann sie aber auch im Kühlschrank lagern," verrät Audziša.

Während der letzten Wirtschaftskrise tauchten auch Billigprodukte aus der Ukraine und aus Polen auf dem lettischen Süßwarenmarkt auf. In Skrīveri versucht man dennoch bei den handgemachten Produkten weitgehend zu bleiben. Trotz des vielfältigen Sortiments nehmen die Lebenmittelketten nicht alles in ihre Angebot auf - in fünf eigenen Firmenläden, vier in Riga und einer in Skrīveri, finden Kunden alle angebotenen Sorten vollständig.Auch der Regionalwerbung und dem Tourismus helfen einheimische Produkte - besonders gern werden "Gotiņas" in Latgale angeboten („Latgales gotiņa”). Nicht sehr viel Geld steckt die Firma in Werbekampagnen - man baut mehr auf direkte Kundenwerbung und auf Betriebsbesichtigungen von Schulklassen und Touristen. Ausbaufähig ist sicherlich der Export - obwohl es bereits Abnehmer gibt in Skandinavien, Irland, Deutschland und den beiden Nachbarn Estland und Litauen.

Und wer selbst noch nicht genug von Experimenten hat: manche Süßmäuler verbreiten auch einfache Rezepte zum Selbermachen: mit 6 Gläsern Zucker, ein Eßlöffel Kakao, 100g Butter, 2 Gläsern Milch und 3 Eiern. (idejukabata). Aber wer möchte schon den lettischen Bonbonmassenfaltern und -knetern die Arbeit wegnehmen?

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