14. Juni 2016

Kir-banal

Eigentlich begann mein Test lettischen Essens in Berlin ganz vielversprechend: „Sind Sie das erste Mal hier?“ nur wenige Schritte hinter der Eingangstür des „Kirsons“ im Einkaufszentrum „Alexa“ in Berlin empfing mich eine freundliche ältere Dame mit dieser Frage. „Hier in Berlin ja, aber in Riga war ich schon oft im Lido“ - ja, ich musste wohl so antworten. Denn es war ja klar: ich wollte nicht einfach „irgendwo essen“, sondern bisher gibt es in ganz Deutschland kein einziges gut erreichbares Restaurant, wo man zuverlässig wenigstens einige der aus Lettland bekannten leckeren Gerichte ordern kann. Ein paar Minuten blieben mir zum Umschauen, denn meine Antwort wurde zunächst Gesprächsthema der Angestellten untereinander. Dann wieder ich, so mutig wie möglich: „Und was gibt’s hier an lettischem Essen?“

Die vermeintlich einfache Frage erzeugte verschämte Zurückhaltung. Nun, was fällt mir beim Stichwort „lettisches Essen“ ein? Vielleicht Pirāgi, Maizes zupa, oder Rosols? Gegrillte Stilbiņi, meža cūka, nēģi? Nichts davon bietet Kirsons. Hm. Zumindest auf den ersten Blick. Dann entdecke ich Pfannkuchen, in typisch lettischer Art und Weise. Aber mit Käse gefüllt, wie hier angepriesen? Zum Glück gibts auch eine Version mit Quark. Erdbeersoße dazu – na gut, nehmen wir das mal für lettisch. Dazu ein Tellerchen Möhrensalat – nach Art, wie ich es so viele Male in lettischen Ēdnīcas gesehen und gegessen habe. Ein Möhrentag für mich – auch im später ausgewählten Kuchenstück gibt es Wurzeln (der Kaffee: italienisch).

Eigentlich stehen hier mehr Tische draußen als drinnen – aber draußen, nur wenige Schritte entfernt, gibt es eine Eis- und eine Bratwurstbude. Werden sich die Deutschen davon weg, und hinein ins “Kirsons” locken lassen? Ich zweifle. Na gut, es ist 16 Uhr, keine typische Mittagszeit, was die allgemeine Leere erklären könnte. Die Tische selbst scheinen schon etliche Jahre im Einsatz gewesen sein: etliche der aufgemalten, vermeintlichen volkstümlichen Muster sind bereits stark abgeblättert und verblasst, ein Teil der Stühle wirkt wie aus einem alten Bistro zugekauft. Was denn, Herr Kirsons, nicht genug Geld gehabt für die Investition? Doch zurück zum Essen: der Pfannkuchen ist hervorragend. Oder bin ich parteiisch, da es mir hier einfach “wie in Lettland” schmecken soll? Der Möhrensalat ist eine Überraschung: statt saftig-fruchtig, wie aus Lettland gewohnt, kommt er hier mit Sonnenblumenkernen und jeder Menge Knoblauch daher. Der Möhrenkuchen dagegen gibt schon eine Ahnung davon, wie Gebäck auf der Grundlage guten lettischen Brotes schmecken könnte – nur das kleine Mörchen oben drauf, als Verzierung gedacht, scheint schon drei Tage vor dem Kuchen zubereitet worden zu sein (bretthart).

Neu im Straßenbild Berlins: hinter dem blau-gelben
Schild beginnt die Spurensuche nach Lettischem ...
Nun ja, es gibt ja zwei Chancen in Berlin. Nie hätte ich es mir vor Jahren träumen lassen, dass ich einmal angesichts des Straßenschilds “Rudi-Dutschke-Straße” lettisch essen würde; der zweite “Kirsons” entpuppt sich als wesentlich geräumiger, ruhiger, und sorgfältiger eingerichtet (während ich esse, schraubt ein Angestellter auf leisen Sohlen noch schnell einen Kleiderhaken in meiner Nähe in die Wand). Nächste Überraschung: es empfängt mich dieselbe Dame wie in Filiale Nr. 1. Offenbar Schichtwechsel, und ein vertrauter Moment, in dem ich es wage, leise Anregungen zur Verbesserung anzubringen: bereits zwei Wochen sind seit der Eröffnung vergangen, immer noch scheint niemand der Schreibfehler auf dem Werbeflyer für das “Angebot des Tages” aufgefallen zu sein. “Du nicht sprechen Deutsch?” Lettische Variante.

Lettisches Interior á la "Kirsons"
Nein, man bemüht sich wirklich. Sorgfältig wird mir erklärt, welche der Zutaten aus Lettland importiert werden (die Sahne!). Und: ich entdecke doch noch etwas mehr aus Lettland bekanntes: geräuchertes Huhn, lettisches Sauerkraut. Die “baltische” Wurst dagegen lasse ich liegen, das lettische Bier ist – obwohl auf der Karte – noch nicht im Angebot. Ein leckerer Limonen-Pfefferminz-Drink ersetzt es vorerst, vorzüglich. Das Huhn schmeckt ebenfalls excellent. Beim Sauerkraut, vermute ich, ist wohl der Kümmel entfernt worden – na ja, auch ich kenne einige Leute, die keinen Kümmel mögen; Angst vor dem Massengeschmack.
Gesättigt verlasse ich das Lokal, und ernte überraschend viel Interesse, als ich Bekannte, allesamt Berliner, am nächsten Tag “lettisch” einladen will. Allerdings: wir haben nicht damit gerechnet, dass “Kirsons” vorerst am Wochenende schon um 18 Uhr schließt – ob das mit Ankunft des Bierausschanks dann anders werden wird? Bei uns wird dann - im zweiten Anlauf - ein Sonntags-mittäglicher Ausflug daraus. Mit allerseits zufriedenen Gesichtern. Lettische Backkartoffeln, das bereits vorgetestete Hühnchen, und Moosbeerensaft tun das ihre dazu, auch der Kuchen erntet Anerkennung.

Es wird sich herausstellen müssen, ob das Konzept "Kir-Banal" (lieber nicht zu viel Lettisches, erstmal deutsche Durchschnittsesser anlocken) aufgeht. Die Locations sind beide exklusiv, die externen Zuschüsse für den Betrieb werden bald aufgebraucht sein. Ich bin gespannt auf weitere "Speise-Eindrücke".

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