28. November 2015

Die Katzen und der heiße Brei

Lange Warte-schlangen soll es gegeben haben, als die Bank von Lettland in dieser Woche die erste Münze aus der Reihe "Märchen Lettlands" herausgab. Die "fünf Katzen" bildeten den Auftakt zu einer Reihe, in der fünf Münzen zu lettischen Märchen herausgegeben werden sollen.
Die fertige Münze stellt dabei eine echte "baltische" Ko-Produktion dar: die Herstellung über nahm die litauische "UAB Lietuvos monetų kalykla".
Gestaltet wurde die Münze von der lettischen Designerin Anita Paegle, die auch Kinderbücher schon illustriert hat, und deren Gestaltungsentwurf für die "Schaukel-Münze" (Šūpuļa monēta) zur "schönsten lettischen Münze des Jahres 2013" gewählt wurde.

Gibt es überhaupt lettische Märchen? Was vielleicht wie eine dumme Frage klingt, wird zu einer ernsthaften Recherche, wenn es um die Quellen und Ursprünge geht. Klar, die Gebrüder Grimm haben viel gesammelt, aber lettische Märchen?
Die fünf lettischen Katzen - Muri, Ņuri, Inci, Minci un Punci - sind eines der Lieblingsmärchen, die lettischen Kindern vor dem Schlafengehen vorgelesen werden. Obwohl der Text sehr kurz ist, kommt dabei deutlich ein erzieherisches Ziel zum Ausdruck:  nur mit Einfallsreichtum, Eigeninitiative und Fleiß kommt man im Leben weiter - übersetzt in Märchentext: die fünf Katzen müssen schon selbst Holz suchen, um den Ofen heizen zu können, auf dem sie dann ihren Brei kochen, und dann satt und zufrieden ins Bett gehen können.

Aufgeschrieben hat die Geschichte Alberts Kronenbergs (1887-1958); sein bekanntestes Kinderbuch "Mazais ganiņš un viņa brīnišķīgais ceļojums" ("der kleine Hirte und seine wundersame Reise") erschien 1931. Eine animierte Version der "fünf Katzen" hält die Webseite "pasakas.net" bereit, viele der Märchen wurden auch Vorlage für Aufführungen des Theaters und Puppentheaters.
Deutsche Übersetzungen der "fünf Katzen" finden sich entweder in den Märchenbüchern des Diedrich-Verlags (Erstausgabe 1924, Ausgabe zuletzt von 1989), oder die DDR-Ausgaben aus dem Aufbau-Verlag (zuletzt neu aufgelegt 1990), in beiden Fällen zusammengestellt von Ojārs Ambainis.

Die neue Münze ist ab sofort im Handel, in einer Auflage von 10.000 Exemplaren, zunächst zum Ausgabepreis von 39 Euro.

14. November 2015

Air Baltic - frische Luft aus Germanien?

Das Luftfahrgeschäft zeigte sich schon häufiger als Business verwinkelter Wege. Für Außenstehende schwer durchschaubar gehen die einen bankrott und werden unter neuem Namen gegründet, andere suchen ständig neue Investoren, die dann wieder ihre Möglichkeiten erweitern wollen, ordentlich Geld abzuschöpfen aus der vermeintlich günstigen Geldanlage. Um Verkehrsmittel, Verkehrswege und bequemes, angenehmes Reisen scheint es oft gar nicht mehr zu gehen. Und wenn dann noch politische Erruptionen dazu kommen, ist es noch schwieriger zu durchschauen.

Die Girmes-Kirmes
Es gibt also angeblich einen neuen Investor bei AIR BALTIC: den deutschen Geschäftsmann Ralf Dieter Montag-Girmes. Das ist erstaunlich, hatte doch gerade AIR BALTIC mit Berthold Flick erst vor wenigen Jahren ebenfalls einen deutschen Investor, der es scheinbar so bunt trieb, dass die lettische Regierung Jahre brauchte, um ihn erstens loszuwerden und zweitens Gerichtsprozesse in diesem Zusammenhang abzuwenden (siehe Blog). Immerhin war diese offenbar etwas überraschende Entwicklung (manche rechneten eher mit dem Einstieg chinesischer Investoren) Grund genug für die lettische Regierungschefin Laimdota Straujuma, den bisher amtierenden Verkehrsminister Anrijs Matiss wegen dieser Vorgänge zu entlassen (Verkehrsrundschau). Der Übernahme von Anteilen durch Montag-Girmes stimmte die lettische Regierung aber - nachdem am 3.11. vier Stunden lang hinter verschlossenen Türen diskutiert worden war - zu. 52 Millionen Euro soll M-G angeblich dafür bezahlen, um 20% Anteile zu erhalten. Weitere 80 Millionen will die lettische Seite dazutun, um mit diesem Geld dann unter anderem in die Erneuerung der Flotte zu stecken.

Die Karikaturisten haben sich längst
daran gewöhnt: der lettische Storch
füttert fremde Vögel ...

(Zeichnung: Gatis Šļūka)
Gegenwärtig bedient die Airline von Riga aus 60 Destinationen. Eigenen Angaben zufolge beschäftigt AIR BALTIC 1200 Mitarbeiter. Gegenwärtig werden Flugzeuge vom Typ Boing 737 und Bombardier Q400 Turboprop eingesetzt. 13 weitere Flugzeuge des Typs "Bombardier CS300" habe der lettische Carrier nun bereits bestellt, der Liefertermin sei auf Ende 2016 terminiert.

Investor als Vertreter russischer Interessen? 
In der lettischen Presse sind nun aber Spekulationen zu lesen - und damit zurück zu den möglichen politischen Auswirkungen - der Einstieg von Montag-Girmes könne auch bedeuten, statt Bombardier nun Maschinen des russischen Typs "Sukhoi SuperJet-100" anschaffen zu wollen, eine Herstellerfirma, die auch Jagdflugzeuge für die russische Armee herstellt. In einem Geschäftsplan, ausgelegt auf die kommenden fünf Jahre bis 2021, soll dies angeblich so festgelegt sein. Die zusätzlichen 80 Millionen aus der lettischen Staatskasse dagegen sollen teils als Teilzahlung an Bombardier für die bereits erworbenen 11 Maschinen dienen (45 Millionen), teils zur Deckung von Leasingkosten von bereits eingesetzten Maschinen (20 Mill.), und der Rest für laufende Unterhaltskosten (15 Mill.). Angeblich habe sich M-G das Recht vertraglich vorbehalten, bei jedem Ankauf oder Leasing von Flugzeugen in Zukunft ein Alternativangebot unterbreiten zu dürfen, und im Aktionärsvertrag festschreiben zu lassen den Zuschlag zu bekommen, falls sein Angebot das günstigste ist. Falls dies nicht geschehe, wolle sich M-G ein Vetorecht festschreiben lassen.
Eine Entscheidung zum Ankauf neuer Maschinen sei aber bis jetzt noch nicht getroffen, behauptet bisher auch AIR-BALTIC-Chef Martin Gauss (Finance-net). Sie sei aber nötig, denn ein Großteil der gegenwärtig im Einsatz befindlichen Flotte sei 20 Jahre alt und älter.

Ex-Verkehrsminister Anrijs Matīss bestätigte ebenfalls, dass Aktionärsverträge noch gar nicht unterschrieben seien. Es sei aber Sache des Unternehmens, nicht des Staates, über die eingesetzten Maschinen zu entscheiden. Auch gibt es Gegenmeinungen, die der Behauptung widersprechen, Montag-Girmes arbeitete nur mit russischen Flugzeugherstellern zusammen. "Es liegen allerlei Gerüchte in der Luft", sagt man ja so schön - in diesem Fall ist es das Thema "baltische Luft", die sie erzeugen. Ins Spiel kommt dabei auch die Möglichkeit, Flugzeuge zu leasen statt zu kaufen: zum Beispiel durch die seit etwa einem Jahr in Lettland registrierte Firma "Aircraft Leasing 1", eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung übrigens. Deren Inhaber besteht nur aus einer einzigen Person: Ralf Dieter Montag-Girmes. Das Grundkapitel dieser GmbH bestehe nur aus 25.000 Euro, so lettische Presseberichte. Die einzigen "Aktiva", die diese Firma im Fall von Geschäften mit größeren Umfängen aufzuweisen habe, seien dann möglicherweise ... die AIR-BALTIC-Anteile. Keine guten Sicherheiten für den lettischen Staat, falls irgend etwas an dem Geschäft schiefläuft.

Bahn oder Flug, Herr Minister?
Vorerst gibt es einen Aufschub bis zum 17.November - dann will die lettische Regierung über ihre Vorgehensweise entscheiden.
Die Entlassung von Verkehrsminister Matīss soll, verschiedenen Medienberichten zufolge, nicht so sehr mit dem Flugverkehr zu tun haben, sondern mehr mit der lettischen Eisenbahn (Latvijas Dzelscelš LDz). Nachdem den dortigen Korruptionsskandalen und die Entmachtung des LDz-Chef Magonis (siehe Blog) soll Matīss auf den dort frei werdenden Posten spekuliert haben. Regierungschefin Straujuma solle von diesen Wünschen gewußt haben, aber schon aus formalen Gründen andere Lösungen gesucht haben: ihrer Meinung nach solle ein amtierender Minister sich nach seiner Amtszeit mindestens zwei Jahre Zeit lassen um in ein Spitzenamt der Wirtschaft zu wechseln ("Ir").

Maschinen austauschbar?
Auch der Spitzenposten des gegenwärtigen AIR-BALTIC-Geschäftsführers Martin Gauss, ein ausgebildeter Pilot, Ex-Geschäftsführer der Deutschen BA, vor vier Jahren ins Amt berufen, steht unter einem Fragezeichen. Gauss war bis 2011 für die ungarische Fluggesellschaft Malev tätig; auch dort ging es damals um Beteiligung von russischer Seite, um die Fluggesellschaft vor der Pleite zu retten - 2012 kam für Malev das endgültige Aus. Interessant vielleicht auch, dass es damals bei Malev ebenfalls um den potentiellen Ankauf von Flugzeugen des Typs "Suchoi" ging - auch bei MALEV hatte der Staat zwar formell die Anteilsmehrheit, das Geschehen wurde aber von russischen Investoren im Hintergrund bestimmt.
"Bitte, spenden Sie für ein neues Flugzeug!"
Diese Lösungsvariante wird wohl der Traum
des Karikaturisten bleiben
(Zeichnung: Gatis Šļūka)
Schon 2012 sagte Gauss auf die Frage, ob die Maßnahmen zur Kostenersparnis bei AIR BALTIC schon ein Ergebnis bringen würden: "Allerdings passt bis heute die Kostenbasis nicht zum Modell, das wir fliegen. Speziell langfristige Themen wie Leasingverträge werden gerade neu- oder nachverhandelt. Wir liegen hier zum Teil weit über den marktüblichen Leasingraten. Das ist der größte Einzelposten, aber zugleich auch der, der am einfachsten zu beheben ist." (siehe "airliners.de", ähnlich auch "Handelsblatt")
Bisher galt Gauss als Erfolgsgarant bei AIR BALTIC - 2014 hatte die Airline zwar einen leichten Rückgang beim Umsatz zu verzeichnen, aber einen erheblichen Anstieg beim Gewinn nach Steuern.

Ein besonderes Schlaglicht wirft auch das Aus für die "Estonian Air" in der vergangenen Woche auf die Ereignisse. Dort habe der Staat Geld bereitgestellt, ohne Investoren zu haben - und das widerspreche den EU-Regularien. Nachdem auch Litauen keine eigene Airline mehr betreibt, hofft AIR BALTIC natürlich darauf, als "Baltikum-Regionalcarrier" angesehen zu werden.
Eines ist vorerst sicher: das letzte Kapitel in der Geschichte der AIR BALTIC ist noch nicht geschrieben - vielleicht gibt es schon in ein paar Tagen neue Wendungen.

1. November 2015

90 Jahre lettisches Radio

Am 1.November 1925, heute vor neunzig Jahren, wurde in Riga das neue Radiozentrum eröffnet - die erste Übertragung war Giacomo Puccini’s "Madame Butterfly", gesendet aus der Rigaer Oper. Vorausgegangen war ein Parlamentsbeschluss vom 28. März 1925 zur Bereitstellung von 140.000 Lats zur Fertigstellung dieser ersten lettischen Radiostation.

Der Vorschlag zum Bau des lettischen Radiosenders wurde im wesentlichen erarbeitet von Ingenieur Jānis Linters. Die erfolgreiche Durchführung der lettischen Radioübertragungen brachten Linters 1928 die Auszeichnung mit dem "Drei-Sterne-Orden" ein. Linters wurde 1879 in der Nähe von Cēsis geboren, seine Eltern waren beide Lehrer. Er ging in Cēsis und Tartu zur Schule, erwarb sein Diplom als Elektriker in St.Petersburg, und arbeitete dann beim Petersburger Telegrafenamt. In den Folgejahren war er auch verantwortlich für Projekte auf der Halbinsel Kamtschatka, in Tver an der Wolga und Nischni Nowgorod.

Ein Modell aus den Anfangstagen des lettischen
Radios: ein "VEF Super M517"
In Riga soll es damals ziemlich kompliziert gewesen sein, den Parlamentsabgeordneten zu erklären, wie Radioempfänger und Radiowellen funktionieren. Im Sitzungsraum des zuständigen Komitees wurde 1925 ein Empfänger mit zwei Kopfhörern installiert, während der Sitzung tauschten dann die Abgeordneten ständig die Kopfhörer, während als Übertragung der regierungsamtliche "Anzeiger" vorgelesen wurde (siehe Abb.). Linters versuchte zu erläutern, dass ein Radioempfänger ein recht einfaches Gerät wäre, und es sei möglich, dieses in Lettland auch industriell zu produzieren. Seinen Berechnungen zufolge würden sich die notwendigen Investitionen nach 10-15 Jahren amortisieren, eine Kalkulation, die sich als falsch erwies: es setzte ein so starker Ansturm nach Radiogeräten ein, dass bereits nach vier Jahren alle Kosten wieder hereingeholt waren.
So soll sie ausgesehen haben: die
erste Radio-Empfangseinrichtung, bereit
für das Prüfkomitee
Vor der Parlamentsabstimmung musste mehrmals das Prinzip elektromagnetischer Wellen erklärt und verdeutlicht werden, dass keinesalls Fenster und Türen geöffnet werden müssen, damit diese in die Häuser gelangen.

Der lettische Radio-
pionier Jānis Linters
Die erste größere Anlage wurde von der französischen Firma "Société française radio-électrique" erstellt: Antenne und Transmitter wurden vom französischen Hafen Dunkerque / Dünkirchen nach Riga transportiert und im 2.Stock des Rigaer Post- und Telegraphenhauses aufgebaut. Heute wird der Gebäudekomplex von der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Lettlands genutzt - am 12. Oktober 1944 wurde beim Rückzug der deutschen Armee aus Riga der Radioturm gesprengt und die Büros der Radioverwaltung in Brand gesetzt. Dadurch wurden einige Gebäudeteile verwüstet, aber sie wurden nach dem Krieg restauriert. Die kleine Straße am Stadtkanal heißt heute immer noch "Radio iela".

Bis 1940 wurden unter der Verantwortung von Jānis Linters auch in Madona, Kuldīga und Liepāja Sendestationen aufgebaut. 

Auch die Grundlagen des Baus von Radioapperaten in Riga wurde in dieser Zeit gelegt. 1919 wurden die Post- und Telegrafenbehörden gegründet (Pasta un telegrāfa valdes darbnīcas), daraus entstand 1932 die "Valsts elektrotehniskā fabrika" (staatliche elektrotechnische Fabrik) mit der berühmten Abkürzung VEF - sie hatte Bestand bis Anfang der 1990iger Jahre. Geradezu legendär wurde der damals (in den 1930iger Jahren) kleinste Fotoapperat der Welt, die "Minox".

Mehr zur Geschichte des lettischen Radios

Zum Jubiläum: die erste Sendung des lettischen Radios vom 1.11.1925 - zum Anhören ins Netz gestellt (Ausschnitte, plus Moderation und Kommentare - Sendung "Kultūras Rondo" vom 1.11. und 2.11.2015)