19. Juli 2012

Im Ausland arbeiten, zu Hause verarzten

Alte Zeiten
Über das lettische Gesundheitssystem ließe sich manches erzählen, und das hat auch mit dem Wandel der Zeiten zu tun. In den stürmischen Zeiten der lettischen Unabhängigkeitsbewegung war es noch möglich, lettische Gäste zum deutschen Hausarzt zu schicken, wenn der Gastgeber dafür bürgte: Gast auf Gastgebers Krankenschein, sozusagen.
Inzwischen schauen deutsche Ärzte ihre Kunden schon sorgenvoll an, wenn sie von Reisen nach Osteuropa erzählen - denn manche Dienstleistung ist dort weitaus preisgünstiger zu haben als bei Ärzten in Deutschland.
Und auch die Fälle lettischer Patienten im Ausland sind inzwischen nichts ungewöhnliches mehr - einer der bekanntesten war im vergangenen Jahr der Rigaer Bürgermeister Nils Ušakovs, der nach einem Marathonlauf zusammenbrach und sich anschließend in der Berliner Charité einer teuren Spezialbehandlung unterziehen musste (zur Kostendeckung wurden Spenden gesammelt). Auch Ex-Präsident Zatlers nach einer in den vergangenen Monaten bekannt gewordenen Erkrankung  wahrscheinlich ähnliche Dienste in Anspruch nehmen.

Unterschiedliche Reiseziele: der Weg zur Arbeit,
der Weg zum Arzt
Neue Trends
Was nun aber in der lettischen Presse bekannt wurde, ist als Massenphänomen noch neu in Lettland (siehe IR, . Ärzte in Lettland sollen bei ihren Abrechnungen über 200.000 behandelte Patienten mehr angegeben haben, als in Lettland überhaupt noch gemeldet sind. Die im Jahr 2011 durchgeführte Volkszählung wies eine Bevölkerungszahl von 2.070.371 in Lettland gemeldeten Einwohnern aus. Auch das könnte schon möglichst positiv gerechnet sein, denn Lettland hat kein Interesse, die eigene Einwohnerzahl möglichst kleinzurechnen.
Lettische Ärzte bekommen ihr Entgelt pro Patient, plus Art der Behandlung, mulipliziert mit einem festgelegten Faktor. Die jetzt bekannt gewordenen ärztlichen Abrechnungen sind aber keineswegs gefälscht - die Patienten existieren tatsächlich. Wie es aussieht, lassen sich viele Lettinnen und Letten, die mangels Jobmöglichkeiten in Lettland als Arbeitsmigrant/innen ins Ausland gehen, weiterhin "zu Hause" bei Ärzten in Lettland behandeln. Momentan sieht die lettische Gesetzgebung noch vor, dass für die Gesundheitsversicherung lettischer Bürger ihr Staat zuständig ist, erläutert die lettische Gesundheitsministerin Ingrīda Circene. Im Gegensatz zum Beispiel zum Nachbarland Estland, das mit Finnland Abkommen über den Ausgleich finnischer Arztrechnungen geschlossen hat, ist in dieser Hinsicht in Lettland bisher noch nichts geschehen. Am liebsten würde sie, so verrät die Ministerin, die fälligen Arztrechnungen denjenigen Ländern schicken, in denen die Letten legal (als versichert) arbeiten. Aber ob sich das realisieren läßt?

Wem der gegenwärtige Zustand nutzt? Den Ärzten in Lettland schadet es wohl kaum - und kaum ein Arztbesuch ist kostenfrei, für vieles sind Zuzahlungen fällig (diese machen rund 20% der Gesamtfinanzierung aus, so ist es auf einer Infoseite der AOK nachzulesen). Aber das Gesundheitsministerium arbeitet derzeit an Gesetzesänderungen, die eine staatlich finanzierte Gesundheitsvorsorgen, gekoppelt an die Einkommenssteuer vorsehen (siehe Pressemitteilung). Alle, die davon nicht erfasst werden, sollen dann monatlich etwa 20 Lat (ca. 30 Euro) zusätzlich zahlen. Dieses neue System könnte dann im Juli 2013 in Kraft treten, denn die jährlichen Datenübersichten werden bis zum 1.April des jeweils kommenden Jahres erhoben, also bis zum Juli könne man startklar sein, meint die Ministerin, sofern das Finanzministerium diesem Vorschlag zustimme. Natürlich stünde es denjenigen, die im Ausland arbeiten auch frei, sich privat zu versichern, meint Ministerin Circene. In den lettischen Medien sind allerdings auch Leserreaktionen zu lesen, die befürchten, alle Bemühungen die im Auslnad arbeitenden und lebendeen Letten zur Rückkehr zu bewegen seien umsonst, wenn der Staat andererseits dann solcherart Verbindungen zur Heimat zu kappen bemüht sei.

Infoquellen zum lettischen Gesundheitssystem:
Infoseite der AOK / Deutsches Ärzteblatt / Bundesgesundheitsministerium /
Gesellschaft für Außenwirtschaft /

Keine Kommentare: