24. Mai 2012

2014 als Jahr der "bereinigten Kultur"?

Wie in diesem Blog schon mal erwähnt (siehe: Weltgeltung gesucht), erscheint manchmal offenbar der Kandidatenstatus zur Europäischen Kulturhauptstadt genauso lustvoll ausgekostet zu werden wie das Kulturhauptstadt-Jahr selbst. Kein Stadtfest, kein Europatag bleibt schon dieser Tage ohne einen Hinweis auf "Riga 2014" - zuletzt war es am 12.Mai ein "Europäisches Gartenfest", auf dem der Hauptaugenmerk des propagandistischen Aufwands gelegt wurde. Der Mai ist vielleicht sogar die "heißeste" Jahreszeit dafür, wenn es um die Beanspruchung öffentlicher Flächen für verschieden präsentierte Interpretationen von Kultur, Geschichte und Nation geht. Hier folgen Tag der Arbeit, Volksfest im Mežaparks, Muttertag, Unabhängigkeitserklärung, Weltkriegsende, Europatag in dichter Abfolge hintereinander, und als ob es noch nicht genug wäre, kommen auch noch Fahrradaktionstage, der Riga-Marathon, der von Zehntausenden genutzte "Tag der Museen", Meisterschaften im Rollschuhlaufen und in der Orientierung, und Schulsportwettbewerbe dazu. Da haben es die Ausrichter des Kulturkalenders für 2014 bestimmt schwer, könnte man denken, hier alles zu seiner Geltung zu verhelfen und keinen zu vernachlässigen.

Sowjetromantik im Rigaer Stadtbild (hier am
9.Mai 2008) - Bedrohung fürs lettische Image
im Jahr 2014?
Doch weit gefehlt! Die internationale Aufmerksamkeit der "Riga2014"-Kampagne scheint einigen wohl zu wichtig, um einfach abzuwarten welche Veranstaltung denn wohl das meiste Aufsehen erzeugen wird im Mai 2014. Da kommen Profilierungssehnsüchte zum Vorschein. Olafs Pulks, seines Zeichens Parlamentsabgeordneter der Regierungsfraktion „Vienotība“ ("Einigkeit"), der auch Regierungschef Dombroviskis angehört, forderte nun die Absetzung von Diāna Čivle, die seitens der Stadtverwaltung für das Programm "Riga2014" verantwortlich zeichnet. Grund: in einer Infobroschüre zum bevorstehenden Kulturhauptstadtjahr war auch die regelmäßig am 9.Mai durchgeführte Manifestation zum Gedenken an den "Sieg über den Faschismus" mit erwähnt worden, an der regelmäßig Zehntausende Menschen teilnehmen - die allerdings vorwiegend als Treffpunkt der Russischstämmigen angesehen wird und auch nicht als völlig frei von jeglicher Sowjetromantik bezeichnet werden kann. Da aus lettischer Perspektive das Kriegsende eher als Beginn einer weiteren Okkupation denn als "Befreiung" angesehen wird, möchten radikale vermeintliche Verteidiger des Lettentums offenbar am liebsten die trotz Widerspruch zur staatlich inzwischen propagierten Geschichtsinterpretation regelmäßig stattfindende Massenveranstaltung aus der öffentlichen Aufmerksamkeit heraushalten. Aber nicht nur das: Nicht hingehen wäre das eine - aber offiziell totschweigen ist ja das andere. Da die „Vienotība“ zwar lettlandweit den Regierungschef stellt, im Rigaer Stadtrat aber in der Opposition sitzt, suchen einige hier offenbar schon heute jede sich bietende Gelegenheit um sich für die Stadtratswahl am 1.Juni 2013 zu positionieren. "Dem lettischen Staat fremde Feierlichkeiten" dürften nicht durch "Riga2014" beworben werden, meint Pulks (siehe "Kas Jauns", 22.5.12).

Diāna Čivle, eine der von Seiten der Stadt Riga
Hauptverantwortlichen für das Programm zur
Kulturhauptstadt 2014 (hier beim Europatag 2011)
Pulks Forderungen stellten sich damit in eine Reihe mit ähnlichen Ereiferungen der lettischen Radikalnationalisten von "Visu Latvijai!"-"Tēvzemei un brīvībai"/LNNK / VL!-TB/LNNK („Alles für Lettland“ / „Für Vaterland und Freiheit“). "Öffentlich entschuldigen" solle sich Bürgermeister Ušakovs nach Meinung der selbst ernannten National-Moralisten dafür, dass "unter der Aufsicht des Stadtrats eine Touristeninformation publiziert worden sei, die ebenfalls die Manifestationen zum 9.Mai erwähne" (Kas Jauns). Dies sei zu werten als „heimlicher Versuch totalitäre Regimes wieder populär zu machen, die das Leben unzähliger lettischer Familien zerstört haben“ - und leider meinen hier die selbsternannten Lettland-Verteidiger NICHT gleichzeitig die Vorgänge am 16.März, die mindestens genauso stark unter einem ähnlichen Verdacht stehen (bezüglich der lettischen SS-Veteranen).

Jeder "säubert" also für sich allein. "Anti-Faschisten" sortieren alle ins Abseits, die sich den eigenen öffentlichkeitswirksamen Propagandaaktionen nicht anschließen mögen, und "Nationalisten" üben sich in einer Definition dessen, was öffentlich "lettisch" genannt werden darf und was nicht. Die Stimmung der Volksabstimmung vom Februar - die damit wieder hochgekommende Schwarz-Weiß-Malerei - hält offenbar immer noch an.

Da kommt der Versuch von Bürgermeister Ušakovs, aufkommende Hektik einer selbstgerechten Beurteilung zu vermeiden, noch vergleichsweise gut an. Immerhin sei die nun kritisierte Broschüre bereits 2009 herausgegeben worden, und mit allen Kulturinstitutionen damals abgestimmt worden. "Ich hoffe, auch die Mitglieder von "„Vienotība“ und „VL-TB/LNNK“ besitzen ausreichende Sprachkenntnisse, um sich zu äußern wenn ihnen etwas nicht gefällt." Die Broschüre sei aber keinesfalls als eine Art "Ratgeber" misszuverstehen, sie führe lediglich die verschiedenen Veranstaltungen auf. Kulturministerin Žaneta Jaunzeme-Grende, erst vor wenigen Monaten ins Amt gekommen und ebenfalls der nationalen Liste zugehörig, fordert ihrerseits das Einstampfen der Restauflage der Broschüre.

Ein Zitat: "Every culture has its centre of gravity, its point of reference; there is no cause for one culture having to fight another." (Projektentwurf "Freedom street" im Rahmen des Programms Riga2014) Das Programm scheint hier wirklich sehr ambitioniert. Zitat aus derselben Quelle: "Freedom Street is the axis of the city of Riga, the main street (Via Magna), which has been called Large Sand Street, Aļeksandrovskij buļvar, Petrogradskoje šosse, Revolution Street, Adolf Hitler Strasse, Lenin Street and finally – Freedom Street once more. In 2014 the street will regain its historic names in the form of artistic events along its entire length, above all stressing the invaluable virtue of freedom and democracy."

Ich würde mich ja gerne auf diese spannenden Versuche einlassen können, hier verschiedene Einstellungen, Auffassungen und Kulturen nebeneinanderzustellen - wenn sie schon nicht vereinigt werden können. Aber 2014 bei einem "ideologisch bereinigten" Programm zu Gast sein zu müssen - sollte diese Absicht sich durchsetzen, dann mögen die in Zukunft gedruckten Tourismusinfos dies bitte auch im voraus vorwarnen, damit jeder durch Wegbleiben die Möglichkeit hat, sich nicht missbrauchen zu lassen für billigen antidemokratischen Populismus.

2 Kommentare:

Andrejs Urdze hat gesagt…

Es ist schon sehr seltsam, in welcher Form sich hier ein „Albatros“ aufschwingt zum Verteidiger sowjetrussischer Großmachtinteressen.
Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn ehemalige Sowjetsoldaten, die im II. Weltkrieg gekämpft haben und mit der Roten Armee 1944/45 im Bewusstsein in Lettland einmarschiert sind, Lettland zu befreien, am 9. Mai zusammen kommen um des Jahrestags des „Sieges über den Faschismus“ zu gedenken oder umgekehrt, wenn lettische Legionäre, die im II. Weltkrieg gemeint haben für ein freies Lettland zu kämpfen am 25. März einen Kranz am Freiheitsdenkmal niederlegen. Doch weder das eine noch das andere hat etwas in einem Kulturkalender zu suchen und schon gar nicht in einem Programm für die „Riga2014“ als Kulturhauptstadt Europas. Dies um so weniger als der 9. Mai schon längst von einem Gedenktag zu einem Tag umfunktioniert worden ist, in dem immer mehr russisch imperiale Interessen zum Ausdruck gebracht werden. Wenn nun eine solche russische, von Moskau unterstützte, Propagandaveranstaltung nicht im Programm „Riga 2014“ erscheinen soll, so ist dies mehr als verständlich. In diesem Zusammenhang von einer „bereinigten Kultur“ zu sprechen oder von einem „ideologisch bereinigten Programm“ ist mehr als befremdlich und schließlich die Gäste davor zu warnen sich nicht „missbrauchen zu lassen für billigen antidemokratischen Populismus“ ist übelste Demagogie.
Andrejs Urdze

Albert Caspari hat gesagt…

Oh, welche Emotionen! Ich fühle mich in der Hinsicht bestätigt, dass ich hier ein interessantes Thema aus der lettischsprachigen Presse herausgefischt habe.
Ich kann mir meinerseits zwei Dinge kaum vorstellen:

- ich war schon oft im Mai in Riga, und empfehle ausdrücklich, am 9.Mai sich auch diese riesige Manifestation der Sowjetnostalgie mal anzusehen (wer es noch nie gesehen hat - auf Dauer wird es sonst dann auch langweilig). Ich kann Lettland nur wünschen, dass auch dieses Event zukünftig in einer Weise begangen wird, die gemeinsamen Perspektiven und Geschichtsverständnis von Russen und Letten entspricht.

- ich kann mir überhaupt nicht vorstellen (und das war Anlaß dieses Thema aufzugreifen) dass Verantwortliche für das Kulturhauptstadtprogramm einfach mal so entlassen werden, weil sie aus Sicht extremnationalistischer Populisten Tabuworte benutzen und Tabuthemen anrühren (oder sogar der 9.Mai nur aus Gedankenlosigkeit in einer Broschüre stand? Wer weiss mehr?).

Was wird 2014 die Lösung sein? Demonstrationsverbot für Russen? Ich plädiere meinerseits für einen souveräneren Umgang mit den Widersprüchen und verschiedenen Sichtweisen. Klar kann Werbung für diktatorische, verbrecherische Regimes nicht Teil des offiziellen Programms sein. Aber vielleicht sind ja längst viel intelligentere Projekte in Planung, als da reflexhaft vermutet werden?

Lieber Andrejs, ich weiss sehr gut in welcher Weise der 9.Mai begangen wird. Aber offenbar sollten hier ja schon Verantwortliche nur wegen der Erwähnung des Themas in einer 2009 erschienen Broschüre an den Pranger gestellt werden. Stellen wir uns doch mal vor, was Rigas Gäste am 9.Mai 2014 machen, wenn staatliche Stellen versuchen würden die ausländischen Gäste auf der einen Seite der Daugava zu "beschäftigen", während Zehntausende von Russen wie immer zur anderen Seite wandern. Ein Symbol lettischer Zustände?