28. November 2011

Mein Bankomat und ich

In Lettland setzt sich das Nachdenken darüber fort, welche Folgen der Zusammenbruch der "Latvijas Krājbanka" auf andere Wirtschaftsbereiche haben könnte. Es zeigen sich unterschiedliche Folgen, besonders für viele Privatleute ganz unmittelbar. Wer in diesen vorweihnachtlichen Tagen in Ruhe Geld aus seinem Bankomaten ziehen kann, der kann sich schon glücklich schätzen.

Cash-Problem fürs Fluggeschäft
Da die "Krājbanka" (übersetzt = "Sparbank") auch enge Geschäftsbeziehungen unterhielt mit Anteilseignern bei der Fluggesellschaft "Air Baltic" (Baltijas Aviācijas Sistēmas BAS), könnte dies den Betrieb dieses erst kürzlich umstrukturierten halbstaatlichen Unternehmens (Nachfolger des ehemaligen CEO Berthold Flick wurde Martin Gauss) beeinträchtigen. Es heißt BAS benötige erhebliche Finanzmittel für eine notwendige Kapitalerhöhung. Eine Alternative wäre, wenn der lettische Staat als Hauptaktionär dieses zusätzlich für AirBaltic benötigte Geld selbst einbringt - dem steht die eh schon bestehende Kreditbelastung und der allen Bereichen vorordnete drastische Sparzwang entgegen. Auf eine entsprechende Nachfrage lettischer Journalisten soll Verkehrsminister Ronis geantwortet haben: "Und auch wenn der Gaiziņš zum Vulkan wird, werden wir höchst verantwortungsvoll reagieren." ("IR" 23.11.) Es wird nicht mehr ausgeschlossen, dass sich auch die Zusammensetzung der Anteilseigner demnächst ändern könnte.

Vielleicht sollte man einfach mal
alte Wahlplakate aufhängen, um die
Schnelllebigkeit der öffentlichen Stimmungs-
lagen
zu erinnern: hier ein Poster der
"Saskana" aus dem Herbst 2010:
"Alles wird gut!"
Laufbereitschaft bei Rentnern
Ungefähr 80.000 Menschen in Lettland beziehen Renten oder andere Unterstützungsleistungen über ein Konto bei der "Krājbanka". Diese stellten sich in der vergangenen Woche geduldig in die Warteschlangen an den Bankomaten und hoben ihre täglich erlaubte Höchstsumme von 50 Lat ab. Das dies so verhältnismäßig ruhig abgehen kann setzt voraus, dass die dafür notwendigen Gelder bereitgestellt werden können. Zudem müssen alle diese Betroffenen nun in kurzer Zeit Konten bei anderen Banken eröffnen: so wundert es nicht, dass allein die Swedbank innerhalb von nur zwei Tagen (22./23.11) Zehntausend Neukunden begrüßen durfte. "Es wurde beobachtet, dass die Menschen mit dem Bus aus den Dörfern in die regionalen Zentren fahren, um dort Konten zu eröffnen," so erzählte es Swedbank-Vorstandsmitglied Daniils Ruļovs bei "Delfi.lv".
Interessant auch eine Warnung der lettischen Polizei vor allzu unachtsamem Verhalten beim Bargeld-Abheben ("Gehen Sie lieber zu zweit zum Geldautomat, achten Sie auf ihre Handtaschen").

In den Medien und für die Medien
Es könnten verschiedene Medien in Litauen oder Lettland in Schwierigkeiten geraten, die bisher von Geldern (Geschäftsanteilen) der "Snoras" oder "Krājbanka" abhängig waren; in Litauen "Lietuvas Rytas", in Letttland "Telegraf" und "Radio 101".

Lehren, Studieren, Straßenbahnfahren: mit Hindernissen
Doppelte Probleme für den Rigaer Stadtverkehr:
allein im September wurden 6.000 Fahrgäste ("Hasen")
ohne gültigen Fahrschein erwischt - aber auch die
eingenommenen Gelder scheinen
bei der beauftragten Bank nicht sicher zu sein
Die "Tehnische Universität Riga" (RTU) und die "Universität Lettlands" (LU) haben sich an die lettische Regierung gewandt mit der Bitte eine Zwischenfinanzierung zur Verfügung zu stellen, da bereits eingenommene Studiengebühren sich auf momentan nicht verfübaren "Krājbanka"-Konten befinden würden (Delfi.lv vom 28.11.). 1,9 Millionen Lat müssen wohl der LU und weitere 1,36 Millionen Lat der RTU zur Verfügung gestellt werden (als kurzfristiger Kredit), da sonst dort Löhne und Sozialabgaben nicht gezahlt werden könnten. Hierüber beriet die Regierung heute auf einer Sondersitzung.
Ähnliche Sorgen haben auch verschiedene von einzelnen Gemeinden getragene Unternehmen, unter anderem in Skrunda, Dagda, Ugāle und Priekuli. Die größte Summe, 10 Millionen Lat, soll die Hauptstadt Riga auf "Krājbanka"-Konten liegen haben - nach den Worten von Bürgermeister Ušakovs ein kurzfristige Anlage für 2 Monate. Würde die "Krājbanka" geschlossen, kämen auch die städtischen Verkehrsbetriebe ("Rīgas satiksme") in Schwierigkeiten, denn durch verkaufte Tickets eingenommene 2,3 Millionen Lat sollen über die Pleite-Bank gelaufen sein.

Privates und Geschäftliches
Es ist vorerst unklar, was mit verschiedenen Immobilien geschieht, die sich im Eigentum von "Snoras"_Chef Antonovs befinden: 3 Wohnungen in der Altstadt von Vilnius (Wert zusammen ca. 3 Millionen Litas / 870.000 Euro), eine 600qm-Villa im italienischen Nizza (Wert 5 Mill. Euro), und eine Villa in Jūrmala. Es wurde vermutet, dass dies zusammen mit einer Reihe von Luxusautos (allein verschiedene Spyker, Maybach, Porsche, Mercedes und Cayenne sollen in Riga registriert sein) nicht dem Anspruch von Gläubigern unterliegt, sondern als "persönlicher Bedarf" der Bankeigentümer gerechnet werden wird. So hätte sich dann das Stadtbild gestaltet: die Oma steht am Bankomat für ihre 50 Lat täglich an, andere fahren weiterhin ihre verspiegelten Luxuskarossen durch die Stadt. Das war aber vorerst der lettischen Polizei genug der Schande und stellte am vergangenen Sonntag ganz 14 Luxusautos sicher die dem Ex-Bankeigentümer Antonovs gehören sollen (Bericht DIENA).

Nun schon drei Sägen sieht Ēriks Ošs,
Karikaturist der "Latvijas Avize", am Werk
Uneinigkeit zwischen die beiden baltischen
Nachbarn zu bringen: zu Fragen der Grenzen zur
See und der Energieversorgung kommen nun
noch die Auswirkungen des Bankenbankrotts
Verschwundenes
Wer immer die "Krājbanka" in Zukunft verantwortlich leiten muss, wird daran interessiert sein die angeblich aus der Bilanz verschwundenen Gelder wieder zu bekommen. "Delfi Business" berichtete über Berichte u.a. in der Fernsehsendung "Nekā personīga", wonach bereits im Sommer der Versuch unternommen worden sei, Gelder der "Krājbanka" auf Konten kleinerer, mit Vladimir Antonov in Verbindung stehenden Banken zu überweisen. Leidtragender des Bankenkrachs ist unter anderem der lettische Komponist und Ex-Politiker Raimonds Pauls. 700.000 Lat an Einlagen soll er nach Presseberichten auf "Krājbanka-Konten haben, und nur wenige Tage vor Bekanntwerden der Probleme mit Bankchef Priedītis telefoniert haben um ihn zu fragen, ob seine Geld sicher sei. "Alles vollkommen sicher", soll der Banker geantwortet haben.

Einmal über "Los" gehen ...
Wie beim großen Monopoly dürfen sich ab (morgen, Dienstag 29.11.) alle diejenigen fühlen, die als bisherige "Krājbanka"-Kunden Erstattungsansprüche gegen Bank gelten machen wollen. Die lettische Regierung möchte gern gewährleisten, das alle Einlagen bis zu einer Höhe von 100.000 Lat als abgesichert gelten (und damit ein Erstattungsanspruch besteht). Oder ist es eher eine Aktion, die Menschenschlangen vor den "Krājbanka"-Bankomaten weg zu bekommen? Ausgerechnet der PAREX-Nachfolger "Citadeles Banka" soll nun die Erstattungen auszahlen. Um sie zu erhalten, soll angeblich ein gültiges Paßdokument ausreichen; das Ausfüllen langer Anträge soll den Betroffenen möglichst erspart bleiben. - Heute rudert die "Citadele" schon wieder zurück und verlangt von allen, die Erstattungen erwarten, entweder eine Registrierung über die "Citadele"-Webseite, oder vorheriges Anrufen. Also wird es wieder in Lauferei und Schlangestehen enden. Wer selbst keinen Computer zur privaten Verfügung hat wird aufgerufen eine öffentliche Bibliothek zu besuchen, wo ein Internetzugang möglich sei. Der große Haken dabei: falls in dem Moment, wo der Kunde versucht eine Rückzahlung seiner Einlagen zu vereinbaren, kein Termin mehr frei ist, so kann auch diese Vorab-Reservierung offenbar nicht abgeschlossen werden - ohne konkreten Termin keine Auszahlung. Also gilt doch das Motto: bloß keine Schlangen vor unserer Bank.
Über andere Lösungen denkt gegenwärtig die Gemeindeverwaltung von Kuldiga nach. Da dort die "Citadele"-Bank weder über eine Filiale noch über einen Bankomat verfügt, denkt jetzt die Stadtverwaltung über Hilfen für ehemalige "Krājbanka"-Kunden nach. "Wir erwägen, für ältere Leute oder Menschen mit speziellen Bedürfnissen Busse nach Saldus bereitzustellen", sagte Bürgermeisterin Inga Bērziņa gegenüber der Zeitung DIENA. Auch anderen Gemeinden geht es ähnlich, wie zum Beispiel Jaunpiebalga, wo sich die nächste Citadele-Filiale erst im 25km entfernten Madona befindet.

Übrigens: seit heute morgen sind 35.000 Kundinnen und Kunden des staatlichen Stromversorgers LATVENRGO vorübergehend ohne Strom. Das ist allerdings mal ausnahmsweise nicht dem Bankenkrach zuzuschreiben, sondern sind die Folgen von starkem Sturm und Regen übers vergangene Wochenende. 329 Arbeitsbrigaden mit insgesamt 779 Arbeitern seien ständig im Einsatz um die Schäden zu reparieren, weitere 100 Mitarbeiter seien von Partnerfirmen angefordert worden. Langweilig wird also keinem in Lettland - aber stabil ist wohl doch vorerst nur das Gefühl der Unsicherheit. In diesen Tagen öffnet der Rigaer Weihnachtsmarkt: aber wo für Gäste der Stadt vielleicht romantische Gefühle wachgerufen werden sollen - (vielleicht möchten auch die Werbeagenturen wieder streiten ob nun der Weihnachtsbaum in Estland oder in Lettland erfunden wurde?) - haben viele in Lettland mal wieder ganz andere Sorgen.

25. November 2011

Zwei Banken, und die Herren A + B

Das Stichwort "Bankenkrise" ist in Lettland geeignet, Panik auszulösen. So war es 1995, als die Kunden der "Banka Baltija" zusammenbrechen sahen und viele Guthaben über Nacht "verschwanden". Und so war es 2008, als der lettische Staat mit 200 Mill Lat aufbringen musste, um die staatliche "Hipoteku Banka" bauftragen zu können 51'% der Anteile der "Parex Banka" für einen symbolischen Preis von 2 Lat zu kaufen und damit "Parex" vor dem Zusammenbruch zu retten.
Auch 2008 war es November, als private Sparer bereits über 200 Millionen Lat bei Parex abgehoben hatten, bevor die Regierung sich gezwungen sah einzugreifen. Damals wurden die Ursachen - neben den Auswirkungen der weltweiten Krise - bei ungezügeltem Konsum mit geborgtem Geld und einer Explosion der Immobilienpreise gesehen.
Parex-Werbung, gesehen im Februar 2009:
"Es gibt Dinge, da sind wir die besten"
Und in dieser Woche sind es nun die Auswirkungen der Zwangsverstaatlichung der litauischen Bank "Snoras", deren Auswirkungen auch Lettland erreichen. Den beiden Haupteigentümern der "Snoras", dem Russen Vladimir Antonov und dem Litauer Raimondas Baranauskas (A hält 68,1% und B 25,31% der Anteile) wird in Litauen Bilanzfälschung und Betrug vorgeworfen. "Snoras" hält aber auch 68% der Anteile an der lettischen "Krājbanka" - als Snoras diese Anteile 2005 übernahm, hatte die "Krājbanka" sich auf das am besten ausgebaute Filialnetzwerk in Lettland stützen. Der Umschwung kam nun plötzlich: noch am 14.November bot "Snoras" auch Kunden in Lettland Kredite mit 40 Jahren Laufzeit an. Nur drei Tage später die eilige Meldung, man sei keinesfalls insolvent und würde die Geschäfte innerhalb 24 Stunden wieder aufnehmen.  Ähnliches bemühte sich auch die "Krājbanka" zu erklären. Kurz darauf saßen die Herren A und B dann in Großbritannien in Untersuchungshaft (wurden inzwischen gegen Zahlung einer Kaution vorläufig wieder auf freien Fuß gesetzt).

Die zweite Welle

Doch keine Frage - wer in Lettland Geld auf der Bank hat, ist beunruhigt. Wird es weitere Banken treffen? Der amtierende Präsident der Bank von Lettland, Ilmārs Rimšēvičs, ließ sich in der lettischen Presse mit einer Aussage zitieren: "Die zweite Welle der Krise hat bereits begonnen." Europäische Analysten beruhigen ähnlich wie 2008 mit dem Argument, die meisten Banken würden sich in skandinavischem Besitz befinden (Parex war in Lettland die einzige größere Ausnahme). Derweil hatte Litauen für die beiden ehemaligen Eigentümer der frisch verstaatlichten "Snoras" einen internationalen Haftbefehl aus, und auch in Lettland fragt man sich: Wer ist eigentlich dieser Antonovs? Der russische Geschäftsmann lebt schon seit Jahren in London, und dort sind vor allem zwei seiner (teuren) Hobbys bekannt: Sport und schnelle Autos.
Und siehe da: Antonovs und Baranauskas wurden inzwischen in Großbritannien verhaftet (BBC News 24.11.). Antonov ist im südenglischen Portsmouth über seine Firma "Convers Sports Initiatives (CSI)" Eigentümer des Portsmouth Football Club, der bis 2010 in der ersten Liga spielte. Der Portsmouth Fußballklub beeilt sich zu versichern, dass sportlich alles wie gewohnt weitergeht (der Klub musste bereits 2010 einmal seine Zahlungsunfähigkeit eingestehen, stieg deshalb ab und auch der Europacupplatz ging verloren). Erst im Juni diesen Jahres hatte Antonov die Übernahme des Fußballklubs besiegelt (BBC 1.6.). Wie Baltic Times berichtet, droht Antonov in Litauen eine Haftstrafe von bis zu 10 Jahren. Antonov hatte zuvor nicht ausgeschlossen, eventuell Asyl in Großbritannien zu beantragen.

Spekulanten und verschwundene Gelder
Angaben der lettischen Staatspolizei zufolge sind bei der "Krājbanka" Einlagen im Wert von 100 Millionen Lat "verschwunden", während bei der Snoras-Bank die genannten Summen bis zu einer Milliarde Litas reichen (ca. 290 Millionen Euro). Wie die litauische Finanzministerin Ingrida Simonyte inzwischen bekanntgab, wird die litauische Regierung "Snoras" nicht mit zusätzlichen Finanzmitteln aus den Schwierigkeiten helfen. Man beabsichtige aber, die Rückzahlung von Einlagen bis 100.000 Euro staatlich zu garantieren und plane die Gründung einer "Bad Bank". Diese Absicht wiederum ruft die lettischen Nachbarn nun auf den Plan: Lettland hätte es wohl lieber gesehen, wenn Litauen im Fall "Snoras" ählich handeln würde wie beim lettischen Beispiel der Parex-Bank 2008. Ein für heute (Freitag) geplantes Zusammentreffen von Dombrovskis und Kubilius in Vilnius wurde kurzfristig abgesagt. Auch Lettland wird vor der Frage der möglichen Handlungsvarianten stehen: den Kunden der bankrotten Bank gar nichts zahlen (wie im Fall "Banka Baltija" 1995 - das wird sich niemand politisch leisten können), die Bank retten (mit welchem Geld?) oder die Bank zwar pleite gehen lassen aber Einlagen zurückzahlen (aber woher auch dieses Geld nehmen?). Oder die Bank in einen guten und einen schlechten Teil (Bad Bank) aufteilen. Verschiedentlich ist zu lesen, dass wohl weder "Snoras" noch "Krājbanka" eine Zukunft haben. Die beiden Regierungen sind aber bemüht, den gesetzlich vorgesehenen Sicherungsrahmen für die privaten Guthaben zu bedienen. Für kommenden Montag bereits wird in Riga die amtliche Erklärung der Zahlungsunfähigkeit der "Krājbanka" erwartet - gleichzeitig versuchen die Finanzexperten eine Strategie zur Sicherung der Einlagen zu erarbeiten.

Weitere Wellen
Lettische oder litauische Bankenpleiten scheinen momentan die großen deutschen Medien nicht zu interessieren - vielleicht sind die Summen im Zusammenhang mit den auf- und niederschwappenden Euro-Krisen einfach größer? Dafür tauchen entsprechende Nachrichten überall dort auf, wo Antonov-Geld im Spiel ist: zum Beispiel im Rallye-Sport (Motorsport-Total). Für das "Rallye-Magazin" galt Antonov zwischenzeitlich schon als "verschwunden", Antonov hatte als Miteigentümer der britischen "North One Sport" die Rechte zur Vermarktung der Rallye-WM erworben. Auch mit einem Versuch beim schwedischen Autobauer Saab einzusteigen war Antonow kürzlich aufgefallen - jetzt titelt das Manager-Magazin: "Der Saab-Retter taucht ab."
Weniger Schlagzeilen machen bisher die Nöte derjenigen, die in Lettland bei der "Krājbanka" ihr Geld angelegt haben - dazu zählen auch Gemeindeverwaltungen und Hochschulen. Um eine vollständige Panik zu vermeiden, erlaubte in den vergangenen Tagen die Bank an ihren Bankomaten jedem Kunden pro Tag eine Summe von 50 Lat abzuheben. Gegen den Gerichtsbeschluß, Ivars Priedītis, den Vorstandsvorsitzenden der "Krājbanka" in Haft zu nehmen, ist inzwischen Beschwerde von Priedītis' Anwalt eingelegt worden.

bis heute noch im Internet verfügbar:
Parex-Kontoeröffnung auch für Deutsche

Lehren aus vergangenen Pleiten?
Mitte 2010 ging aus der lettische "Parex" die "Citadele-Banka" hervor, beide formell getrennt voneinander. Auch im "Parex"-Fall waren es zwei Großaktionäre, die durch ihre Geschäfte die Bank in Schwierigkeiten brachten. Walerie Kargin und Wladimir Krasovitsky, die mit einer Wechselstubenlizenz anfingen und zu Bankaktionären aufstiegen, hatten damals bereits zwei Bankfilialen auch in Deutschland eröffnet, "Parex" gehörte auch dem Einlagensicherungsfond deutscher Banken an. Nach der Pleite stürzten sich die Medien auf die Luxusgüter die beide auch noch der Pleite behalten durften.
Manche Geschichten haben ein langes Leben. Noch immer ist im Internet eine deutschsprachige Heroengeschichte zur Geschichte der Parex-Bank zu lesen - sie endet 2008 mit einer Filialeröffnung in München.
Wie heißt noch das Sprichwort? "Ist der Ruf erst ruiniert so lebt es sich ganz ungeniert."
Und einem deutschen Politiker könnte man angesicht der vorliegenden Interessenlage in den Mund legen: "Aber der Euro ist doch weiter stabil!"
Die erst kürzlich im lettischen Fernsehen gelaufene Werbekampagne für "Latvijas Krājbanka" läßt sich übrigens hier betrachten, sogar mit englischen Untertiteln ...
Und auch die mögliche nervöse Nachfrage: "Papa, warum haben wir ausgerechnet ein Konto bei dieser Krajbanka?" wird HIER punktgenau von der betroffenen Bank beantwortet (ebenfalls mit engl. Untertiteln).

6. November 2011

Staatsprache und Verfassung

Daß es in Lettland einen hohen Anteil russischsprachiger Bevölkerung gibt ist bekannt. Bekannt ist auch, daß ein großer Teil dieser Menschen während der Sowjetzeit entweder selbst ins Land gekommen ist oder von solchen abstammt. Es ist zutreffend, daß 1991 die Bevölkerung des gerade wieder unabhängig gewordenen Lettland zwar kollektiv des Russischen mächtig war, aber nicht unbedingt der lettischen Sprache.

In 20 Jahren hat sich allerdings viel verändert. Junge Russen, welcher Abstammung auch immer, sprechen Lettisch besser als manch zugewanderter Ausländer, wohingegen mit Englisch als Pflichtfach in der Schule das Russische für junge Letten keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Das führt zu Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt, wo es wenig überrascht, wenn Arbeitgeber im Kundegeschäft Mitarbeiter MIT Russischkenntnissen wünschen. Dies bezeichnete die nationalistische Partei „Alles für Lettland!“, in persona Imants Parādnieks, als eine in keinem anderem EU-Land übliche Diskriminierung der eigenen Jugend, die es gesetzlich zu verbieten gelte. In welchem EU-Land hingegen Unternehmer gesetzlich gezwungen werden, sich für Kandidaten mit weniger Kenntnissen und Fähigkeiten zu entscheiden, darauf blieb Parādnieks eine Antwort schuldig.

Nun hat die Bewegung „Muttersprache“ unter Führung von Vladimir Linderman (Владимир Линдерман) eine Initiative gestartet: Es soll eine Volksabstimmung durchgeführt werden über die Frage, ob Russisch die zweite Amtsprache in Lettland werden sollte. Mit dieser Forderung war die Bewegung „Gleichberechtigung“ zu den ersten Parlamentswahlen nach der Unabhängigkeit 1993 angetreten. Eine ihrer wichtigsten Vertreterinnen, Tatjana Schdanok (Татья́на Ждано́к), die als Aktivistin der Interfront ursprünglich gegen die Ausflösung der Sowjetunion gewesen war, sitzt bereits in der zweiten Periode im Europaparlament. Linderman ist eine nicht weniger schillernde Figur. Er gehört den Nationalbolschewisten (Национал-Большевистская Партия) von Eduard Limonow (Эдуард Лимонов) an – die übrigens später mit dem Schachspieler Garri Kasparows (Га́рри Ки́ Каспа́ров) „Anderem Rußland“ (Другая Россия) paktierten. Linderman war in Lettland 2002 illegaler Sprengstoffbesitz und die Vorbereitung eines Umsturzversuches vorgeworfen worden, woraufhin er von einer Reise nach Rußland nicht zurückkehrte und sich so der Verhaftung entzog. Linderman wurde in Rußland 2008 verhaftet, 2009 nach Lettland ausgeliefert und vom Gericht freigesprochen.

Linderman erklärte gegenüber dem lettischen Radio in einem Telefoninterview in fließendem Lettisch, die Russen seien schon immer in Lettland gewesen, und die eigene Muttersprache gelte es zu verteidigen, damit die Russen nicht Bürger zweiter Klasse im Land seien. Lindermans jetziger Vorstoß wird von der Verfassung Lettlands gedeckt, welcher die direkte Demokratie ebenso wenig fremd ist, wie in der Schweiz. Es genügen die Unterschriften von 10% der Wahlberechtigten, und die Wahlkommission muß in einer gesetzlich festgelegten Frist den Urnengang ausschreiben. Linderman konnte nun 12.000 Unterschriften bei einem Notar hinterlegen, was die Behörden dazu zwingt, für den gesetzlich vorgeschriebenen Zeitraum täglich wenigstens vier Stunden auf Kosten des Steuerzahlers die Infrastruktur für die weitere Unterschriftensammlung vorzuhalten. Dies geschieht an 600 Orten auch im Ausland.

Der Leiter der Wahlkommission, Anris Cimdars, sagte im lettischen Radio, daß diese Unterschriften-Sammelaktion sich von anderen unterscheide, da eigentlich nur derjenige daran teilnehmen müsse, der für die Motion optiert – im Unterschied etwa zu Referenden, in denen man mit ja oder nein abstimmen würde, was auch die Moderatoren des lettischen Radios in ihrem Beitrag mehrfach unterstreichen. Das ist eine interessante Argumentation: Selbstverständlich ist es für Gegner der Idee, Russisch als zweite offizielle Staatssprache zu akzeptieren, das günstigste Ergebnis, wenn das Referendum erst gar nicht stattfinden kann, weil nicht genügen Unterschriften zusammengetragen wurden. Das gälte aber für jedes Referendum mit der Alternative ja oder nein zu einer konkreten Frage.

Ein anderer Aspekt des Referendums ist kurios. Bei der Vorlage von Linderman und seinem Verein handelt es sich um mehrere Änderungen der Verfassung, unter anderem auch des Artikels 4. Dieser aber gehört, wie Cimdars zu bedenken gibt, zu jenen, die nicht einmal das Parlament ohne anschließende Volksbefragung verändern dürfte. Folglich, egal ob die Angeordneten nach erfolgreichem Referendum über Lindermans Vorlage dieser im Wortlaut zustimmten oder sie mit Änderungen verabschiedeten, müßte darüber erneut ein Referendum abgehalten werden. Neuerlich ein Beispiel für die Inkonsistenten der Verfassung Lettlands aus dem Jahre 1922.

1. November 2011

Storch bevorzugt Stromanschluß

Etwa Zehntausend Weißstorchpaare (Ciconia ciconia) gibt es in Lettland - die Zahl ist seit einigen Jahren stabil. Die führende Expertin für das Storchenmonitoring in Lettland ist schon seit Jahren Māra Janaus. Sie erstellt im Auftrag der lettischen ornithologischen Gesellschaft (Latvijas Ornitoloģijas biedrību LOB) genaue Informationen zum Vorkommen der Weißstörche in Lettland zusammen.
Ungewöhnlich ist in Lettland nicht nur das selbst für jeden durchreisenden Touristen auffällig hohe Vorkommen der weißen Störche - charakteristisch ist ebenfalls, dass 60% dieser Nester sich auf Telegrafen- bzw. Strommasten befinden. Es bedarf also einer Zusammenarbeit mit dem lettischen Stromversorger LATVENERGO, um hier für den Vogelschutz und gleichzeitig für die Sicherung der Stromversorgung etwas zu erreichen. Allein für das Jahr 2009 wurden 6149 Storchennester auf Strommasten identifiziert, in 1507 weiteren Fällen mussten Schäden registriert werden im Zusammenhang mit Nestern.

Vor hundert Jahren sei es gerade in Lettland typisch gewesen, so erzählt Storchenexpertin Janaus, dass die Menschen den Störchen beim Nisten in Bäumen geholfen hätten, während in Westeuropa auch Storchennester auf Hausdächern üblich gewesen seien. Noch um 1965 herum habe man nur etwa 1% aller Storchnnester auf den Elektromasten finden können. Heute aber scheint die Zusammenarbeit mit den Stromversorgern unumgänglich. So ein Storchennest, das mehrere Jahre genutzt und aufgebaut wurde, kann leicht 500kg und mehr wiegen (bis 2 Tonnen). Der lettische Stromversorger bemüht sich, nur außerhalb der Nistzeit Nester zu entfernen oder Reparaturen durchzuführen. Im vergangenen Jahr sei dann, in Abstimmung mit der Naturschutzverwaltung, einmal eine größere "Umbettungsaktion" an 527 Nestern durchgeführt worden.
Die Storchensaison 2011 sei mit durschnittlich 2,2 Jungen pro Nest durchschnittlich verlaufen, ergänzt Janaus. Damit ist bei stabiler Storchenpopulation die Stimmung auch bei den Vogelfreunden verhalten positiv. Hier noch einige lettische "Storchenrekorde": die früheste Ankunft von Weißstörchen in Lettland wurde bisher am 9.März 2007 zwischen Koknese und Aizkraukle beobachtet. Die größte Ansammlung Weißstörchen wurde bisher mit 360 Störchen am 18.Juli 2008 in der Nähe von Tukums notiert.

Mehr Infos:
für den Vogelschutz wichtige Flächen in Lettland (Karte der ornithologischen Gesellschaft)
Pressemitteilung zum Weißstorchmonitoring in Lettland (lettisch)
Lettische Ornithologische Gesellschaft