21. Mai 2011

Velomanija in Latvija

Und es geht doch: manche halten es noch für wenig ratsam, und innerhalb von Riga sogar hier und dort für lebensgefährlich. Andere halten es für rückständig oder als Beschäftigung für arme Leute. Doch in Lettland scheint sich der Trend langsam zu wandeln: Fahrradfahren wird populär.

Schon zur "Saisoneröffnung" am
1.Mai versammelten sich
hunderte lettischer Radler auf
dem Domplatz in Riga
Noch vor einigen Jahren erregten deutsche Touristengruppen Aufsehen, wenn sie in größeren Gruppen über die lettischen Dorfstraßen fuhren - noch dazu behelmt und bunt gekleidet, versehen mit der Ausrüstung der großen Sportartikelhersteller. Dass Gäste aus dem Westen mit Zweirädern anreisen könnten und noch dazu eine Einkommensquelle für die Läden der lettischen Kleinstädte sein könnten - vor allem die "Boomjahre" des Fahrradtourismus zwischen 2002 und 2007 haben es gezeigt. Gute Anreisebedingungen per Schiff begünstigten Mund-zu-Mund-Werbung für Lettland als Fahrradreiseland.

Dann kam die Krise. Sind es allein Spar-Anstrengungen, die inzwischen besonders die Einwohner/innen der Hauptstadt Riga wieder zum Fahrradfahren bringen? Die Fahrscheine für die neuen schicken Busse und Bahnen werden immer teurer (weiterhin muss jedes Mal beim Umsteigen neu bezahlt werden), und auch die Benzinpreise sind inzwischen beinahe auf westeuropäischem Niveau gelandet.
Die Niederlande setzt Zeichen in Riga: ein
Fahrraddenkmal als Glückwunsch zum 20.Jahrestag
der Wiedererlangung der Unabhängigkeit
Aber besonders unter jungen Leuten ist Fahrradfahren stark im Kommen - wobei es gerne ein farbenfrohes, schickes und möglichst geländegängiges Rad sein darf. Denn nicht nur die Straßenverhältnisse lassen sehr zu wünschen übrig, auch Radwege gibt es nur wenige - in Riga werden gegenwärtig eher "Radausfallstrecken" gebaut als dass das Fahrrad als gleichberechtigtes Verkehrsmittel auf allen Straßen anerkannt wäre. Wie komme ich durch die Stadt - vor allem in den Fußgängerbereichen ist seit einiger Zeit zu spüren, dass Radfahrer ihren Weg durch die Stadt suchen. Nur in einer Straße - der Skolas iela in der nördlichen Innenstadt - wurde der Platz für einen Radweg den Autofahrern weggenommen. Ansonsten finden Spaziergänger ihre Wege in den Parkanlagen neuerdings von Radlerzonen begrenzt vor.

Aber so häufig wie in diesem Frühjahr war Radfahren wohl noch nie Thema in den lettischen Medien. Es sind nicht nur die Ankündigungen von allerlei Aktivitäten - vom Radlermarathon über "Velo-Karneval" bis zum autofreien Sonntag. "Für die Fahrt zur Arbeit ein Rad, für den Ausflug ein anderes" so überschrieb kürzlich DIENA eine sehr ausführliche Radgeberseite. Falls ein solches Motto aufgehen würde, wäre zumindest ein Teil der Sparanstrengungen wieder dahin: auf jeden Fall müssen Schauspieler, Geschäftsleute oder Fernsehstars häufiger Fragen beantworten, welcher Typ Radler sie denn selbst seien (je nach "Outfit"). Zwischen 200 und 300 Lat (300-450 Euro) stuft DIENA den mittleren Kaufpreis allein für ein neues Fahrrad ein.

Noch immer mühsam, langwierig, noch lange keine
Selbstverständlichkeit: Radwegbau in Riga
Einem Bericht der LATVIJAS AVIZE zufolge plant das lettische Verkehrsministerium Änderungen der Straßenverkehrsordnung, nach denen Radfahrer aus Fußgängerüberwege ("Zebrastreifen") nutzen sollen - weitere Konflikte mit Fußgängern scheinen so vorprogrammiert, unwahrscheinlich, dass die lettischen Verkehrsplaner den zunehmenen Radverkehr auf diese Weise zufriedenstellend regeln können werden. Radfahrer, die mangels Radwegen auf Gehwege gezwungen werden, könnten auch öffentliches Unbehagen erzeugen: schon werden Forderungen nach Leuchtwestenpflicht nachts und Einführung von Fahrradkennzeichen in der Öffentlichkeit genannt. Eine weitere Frage ist die der Diebstahlsicherung. Inzwischen hat die lettische Verkehrsbehörde ein Registrierungsmöglichkeit eröffnet, um im Falle von Diebstählen mit genaueren Objektbeschreibungen die Chancen auf ein Wiederauffinden zu erhöhen. Bisher scheint es noch so: ist das Rad erstmal weg, ist die Sache verloren.

Konflikte vorprogrammiert: mangels Radwegen als
Teil der Straßenplanung werden Radler in Riga
oft quer über Spazierwege oder Gehsteige geleitet
Da scheint es nur konsequent, dass sich lettische Radler auch zunehmend ihren Interessen gemäß organisieren. Erst 2010 gründete sich die Vereinigung der Fahrradfahrer in Lettland (Latvijas Riteņbraucēju apvienība), der "Klub für historische Fahrräder" kümmert sich unter anderem um das Fahrradmuseum in Saulkrasti, "Veloriga.lv" bietet als Internetportal alles rund ums Rad, und auch die Verkehrspolizei bietet Interessierten alles rund um Rigas Radwege schon im Internet. Fahrradkuriere gibt es in Riga gleich mehrere (Velokurjers, Avekurjers, Cityexpress), und zur Förderung "emissionsfreien Fahrens" bietet sich derVerein "Bezizmešu mobilitātes atbalsta biedrība" (BIMAB) an (schließt auch Elektromobile ein).
Die Stadt Riga hat neuerdings eine interaktive Plattform entwickelt, auf der (zumindest in lettischer Sprache) zu den neu ausgewiesenen Radwegen von Nutzern Anmerkungen eingereicht werden und dann für alle sichtbar/lesbar gemacht werden können. 

Auch regionale Aktivitätszentren bilden sich heraus. Wer in Lettland eher das Mountainbike besteigt, besucht die speziell dazu hergerichteten Strecken im Gauja-Tal, in Sigulda oder Cesis. Für den Fahrspaß für Groß und Klein - also die ganze Familie - bietet sich inzwischen jedes Jahr ein Ausflug nach Kurland an, nach Kuldiga. Von Jahr zu Jahr wird das Teilnehmerfeld beim Tag des Fahrrads (Velokuldiga) größer und überschreitet am heutigen Wochenende bereits souverän die 1300ter-Marke. Wer's nicht glauben sollte und nicht dabei sein kann, könnte sich auch das Teilnehmerfeld namentlich ansehen und vielleicht den einen oder anderen Namen eines Bekannten entdecken.


Bleibt abzuwarten, ob die neue Fahrradmode nicht doch dem immer noch vorherrschenden Autowahn nicht bald etwas ernsthaft abzuknabbern in der Lage sein wird. Schön wär's - auf das die lettische Natur und Umwelt so schön bleibt wie sie ist!

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