19. Oktober 2010

Rigatag, Bremisch gefeiert

Jubiläen sind dazu da gefeiert zu werden. Durchaus soll es welche geben, deren Vorhandensein man lieber veschweigt - je nachdem, ob es politisch opportun ist sie zu feiern. 2010 ist es opportun. Schon 20 Jahre deutsche Einheit wurde bundesweit gemeinsam in Bremen gefeiert, ein Projekt, das weit über das eigentliche Veranstaltungsdatum am 3.Oktober hinausreicht: fast jede bremische kulturelle Einrichtung, die was auf sich hält, hat zeitlich breit über den ganzen Herbst gestreut etliche Ausstellungen und Veranstaltungen initiiert - wohl um damit bessere Chancen auf bewilligte Finanzanträge zu haben. Feiern im Ost-West-Maßstab hat also diesen Herbst in Bremen Konjunktur. 

Blick zurück
Da passt irgendwie auch die Städtepartnerschaft Bremen-Riga ganz gut ins Bild; zumindest stört sie nicht. Es gab auch schon mal andere Zeiten - doch wie auch schon der Bremer Bürgermeister Jens Böhnsen (Jenss Bērnzens) bei seiner Ansprache anläßlich eines Empfangs für die Delegation aus Riga richtig sagte: "Vor 25 Jahren konnte sich ja kaum jemand vorstellen, was jetzt möglich ist. Heute sind wir Partner in einem gemeinsamen Haus Europa."
Nicht alle runden Jubiläen passen immer so gut in die sie umgebenden Zeiten. Als die Bremisch-Rigensische Kooperation 5 Jahre alt war, schloß der Unterzeichner der Partnerschaftsurkunde, der heutige EU-Abgeordnete Alfred Petrowitsch Rubiks, einen Pakt mit den Anti-Gorbatschow-Putschisten in Moskau und verdarb es sich damit mit der großen Mehrheit der Einwohner Lettlands. Die Bremer Partner, damals noch der Bremische Zweig der Deutsch-Sowjetischen Freundschaftsgesellschaft, rieb sich verwundert die Augen ob des Zwischenergebnisses des gescheiterten Putsches: Lettland erklärte sich nunmehr endgültig für unabhängig, und die Partnerschaftsurkunde - die noch zwischen einer säuberlich ausgewählten deutschen und einer sowjetischen Stadt geschlossen wurde - musste umgeschrieben werden. Doch konnte man diesen Letten trauen, die damals ausgerechnet Nationalstolz und wieder zu errichtende Grenzen auf die Agenda hoben? Mancher Bremer Partnerschaftsgründer war sich da nicht so sicher. "Draugs Alfreds" saß inzwischen in einem lettischen Gefängnis, und plötzlich war der Besuch einer West-Delagation im Osten auch nicht mehr etwas so Sensationelles wie noch kurz zuvor.

Visionen, Vorreiter und Nachwirkungen
Deutsche traten in dieser Zeit noch nicht als mutige Investoren lettischer Projekte auf - eher schon als Absender von Spenden und humanitärer Hilfe aller Art. West hilft Ost: 20 Jahre später ist keiner der Bremer Wohlfahrtsverbände mehr in Riga aktiv. Liegt es daran, dass nur gut ankommt, wer auch Geld ausgeben kann?
Geld gut anlegen, dass konnte der Bremer Immobilienunternehmer und Ex-KPD, FDJ- und DKP-Aktivist Klaus Hübotter schon immer, etliche Bremische Bauprojekte der Neuzeit zeugen davon. In den 90er Jahren schien sein Projekt des "Hotel de Rome" fast wie eine edle Insel inmitten der blau-weißen Bauzäune der polnischen Restaurationsfirmen in Riga zu sein. Oft genug sah man Bremische Delegationen als Ehrengäste zwischen Hotel und dem berühmt-berüchtigten "Jever-Bistro" (heute: "Fridays") pendeln - an beiden Orten brauchte man damals weder Fremdsprachen noch Fremd-Währungen. 1995 fiel das Richtfest des 2.Hotelprojekts ("Konventa sēta") mit dem 10-jährigen Städtepartnerjubiläum zusammen, da passte das Feiern gerade wieder gut in die Zeit. Es kam sogar ein eigenes Bremer Fernsehteam angereist, und Henning Scherf knutschte alle die nicht rechtzeitig aus dem Weg gingen.
Heute hat auch Hübotter seinen Ausstieg aus dem Hotelprojekt vollzogen: über vergangene günstige Zeiten läßt sich besser plaudern als über schwierige Verhandlungen mit übermütigen neureichen Letten-Firmen. Das Bremer Fernsehen hat seinerseits in Bremen inzwischen ein schönes neues warmes Studio bezogen und beschränkt sich zum 25. auf die Wiederholung historischer Architekturfilmchen. Und auch über das mehr als drei Jahre in Riga zwischenzeitlich existierende "Hansekontor" in der exklusiven Smilšu iela in Riga verliert heute kein Bremer mehr ein Jubiläumswort: da ist es auch beinahe schon egal, ob es in den 90er Jahren eher peinlich oder einfach nur erfolglos zuging. 

War's früher besser?
Als die 90er Jahre zu Ende gingen, waren oft Sprüche zu hören wie "in den 80er Jahren war es aber doch schöner" (von Bremischer Seite! Gemeint war der Menschenauflauf und die öfffentliche Aufmerksamkeit beim Besuch der Wessis). Auch 1998 und 2001 waren wieder "Feierjahre." Während an die "Bremen Tage in Riga" von 1998 sich vielleicht in beiden Städten keiner mehr erinnert, konnte sich Bremen 2001 ein wenig an die großen 800-Jahrfeiern in Riga anhängen: da waren die Gästedelegationen noch zahlreich, allein schon wegen den großen Gruppen von Jugendorchestern und Sportlerdelegationen. Als 2002 in Tallinn beim Gesangswettbewerb der Eurovision der lettische Beitrag gewann, war wenigstens Corinna May aus Bremen vor Ort: sie wurde 21., ob sie der Siegerin in Bremischem Auftrag gratuliert hat ist nicht überliefert. 
Als die Eurovision 2003 dann in Riga stattfand überlegte Radio Bremen kurz eine Live-Sendung aus der Partnerstadt, strich es aber schnell wieder. Ob Bremer  2004 in Riga mitgefeiert haben, als Lettland in die EU aufgenommen wurde, oder ob die deutschen Partner eher froh waren, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit erst 2011 kommen soll, dazu ist ebenfalls nichts aus dem Schwesternschafts-Innenleben bekannt geworden. Die Bremischen Häfen kooperierten derweil eher still und leise, wenn auch mit Schwerpunkt eher im baltischen Schwesterstaat Litauen. 

Jetzt also wurde wieder gefeiert - am 16.Oktober, einem bisher im Partnerschaftsalltag eher weniger geschichtsträchtigen Datum. Wenn es sonst um Geschichte geht, ist den Bremern einerseits ihre Unterstützung für die Überlebenden des Holocaust in Lettland und der Kontakt zur jüdischen Gemeinde in Riga wichtig; der Historiker Margers Vestermanis wurde ebenso im Bremer Rathaus schon geehrt und ausgezeichnet wie die ehemalige lettische Präsidentin Vīķe-Freiberga und die Buchautorin Sandra Kalniete, alle drei wohl auch wegen ihrer klugen Aktivitäten um Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln aufzuarbeiten. Geschichtsaufarbeitung betreibt auch der Bremer "Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge" vor allem mit regelmäßigen Jugendcamps in Lettland (plus lettischer Beteiligung bei anderen Workcamps des Volksbunds).

Jubiläum schon Geschichte
Im Rigaer Geschichtsbuch mit der Seite "Oktober 2010" sind nun auch drei "Riga Tage in Bremen" verzeichnet - die Rigaer Seite rechnete dabei in ihren Pressemeldungen offenbar eher die Dauer des Aufenthalts ihrer Delegation zusammen als die Dauer der Veranstaltungen (denn die Dauer verschiedener Ausstellungen kann ja wohl nicht gemeint sein). Wenigstens die Bilanz der zum Jubiläum in Bremen in den Vordergrund gehobenen kulturellen Themen fällt aber ganz ermutigend aus: Im September erzeugte eine Ausstellung Bremischer Kunst in Riga für mindestens ebenso viel Aufsehen unter Kulturinteressierten wie jetzt das Gegenstück von immerhin 18 verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern aus Riga in der Städtischen Galerie in Bremen. Wer 25 Jahre zurückblicken mag, wird auch zwei Bremische Kulturhäuser nicht vergessen wollen: das Bürgerhaus Mahndorf (mit vielen Ausstellungen und Einzelveranstaltungen) und das Bürgerhaus Weserterassen (zuletzt mit einem Bremisch-lettischen Jugendmusical). Und wer lieber genau am 16.Oktober feiern wollte, der wird das Konzert des Bremer Jugendsymphonieorchesters in der Bremer Glocke als besonderen Höhepunkt empfunden haben - auch wegen der herausragenden Solopartien in Schumanns Klavierkonzert a-moll von Pianotalent Arturs Cingujevs aus Riga.

Wie lange all dies im Gedächtnis bleibt, und vor allem wie groß die Chancen für Bürgerinnen und Bürger aus beiden Städten ist, auch abseits von Jubiläen Hilfe und Unterstützung ihrer Stadtoberen für Kooperationsprojekte zu bekommen, muss abgewartet werden. Allzu beliebt ist der Spruch "beim Geld hört die Freundschaft auf", und ob die Bremer die per Billigflieger einreisenden Letten 2011 eher als potentielle Billiglohnarbeiter oder als wertzuschätzende Touristen sehen wollen, wird man sehen. Vielleicht kann sich Lettland etwas von der deutschen ökonomischen Stabilität ausborgen und daheim wieder mehr Arbeitsplätze schaffen. Und vielleicht könnte sich in Bremen die Sensibilität für kulturell und historisch verschiedene Perspektiven anderer Länder auch abseits jeden Kommerzialisierungsgedankens mehr im Alltag zeigen.

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