26. März 2010

Läuft wie geschmiert! (Abwrackprämie einmal anders)

Wer öfters durch die Innenstadt von Riga spaziert, dem sind sicher schon die häufig im Strassenbild anzutreffenden Karossen auf vier Rädern aufgefallen, die vielfach entweder die schöne Altstadt zuparken, oder als Mietwagen sich an gestylte Extravaganz interessierten Kunden anbieten. Jetzt, mitten in der Wirtschaftskrise, mag sich manches auch ein wenig wieder auf ein normales Maß zurechtgestutzt haben. Vor einigen Jahren, besonders in den Umbruch- und Aufbau-Zeiten der 90er Jahre, fielen die Extreme noch mehr auf. Dazu kamen noch die typischen Wagen mit den verspiegelten Scheiben, gerne auch mal ein modisch aufgestylter Geländejeep, deren Inneres als rollende Herberge dunkler Machenschaften galt. 

Der gute deutsche Ruf
Vor diesem Hintergrund erscheint die edle Schlichtheit von Oberklassewagen deutscher Produktion in Riga fast unscheinbar. Am auffälligsten waren da noch die großflächigen Werbeflächen mit den lockenden Abbildungen verschiedener Glitzerkarossen, die es auch schon in den frühen 90er Jahren in Riga gab. Doch jetzt wirft der Korruptionsvorwurf gegen Daimler in den USA auch ein neues Licht auf die deutschen Geschäftspraktiken in Lettland. Schlagzeilen wie "Daimler hat im großen Stil geschmiert" (der Standard) oder "Daimler steht wegen Korruption am Pranger" (Hamburger Abendblatt) werden auch in Lettland aufmerksam gelesen, zumal unter den konkret benannten Geschäftsvorgängen auch Fälle in Lettland aufgeführt werden.

Freundschaft nur durch Geldvorteil?
In Lettland war Daimler (Mercedes) schon früh nach Marktöffnung unterwegs - am privilegiertesten wirkte vielleicht der exklusive Verkaufsplatz an der Kalku iela, mitten in Rigas Altstadt, nur wenige Schritte weg von den politischen Entscheidungsträgern im Rathaus (das allerdings erst Ende der 90er Jahre an dieser Stelle neu gebaut wurde). In neuerer Zeit steht als Thema eher der Ankauf von Mercedes-Bussen für den Stadtverkehr in Riga im Vordergrund. So weisst gestern das Portal DELFI darauf hin, dass sich der lettische Generalstaatanwalt Maizītis sowie das lettische Anti-Korruptionsbüro (Korupcijas novēršanas un apkarošanas biroju - KNAB) sich inzwischen auch der Sache angenommen hätten. 
Dabei wird in der lettischen Presse ein Bericht der russischsprachigen Wirtschaftszeitung "Bizness&Baltija" zitiert, dem zufolge aus US-amerikanischen Behörden vorliegenden Dokumenten hervorgehe, dass Daimler in den Jahren 2002 bis 2006 etwa 1,8 Millionen Euro dazu verwendet haben soll, um Amtspersonen in Lettland sich gewogen zu machen. In Lettland sei die eine Daimler-Tochterfirma namens "EvoBonus" tätig gewesen. Im Jahr 2001 sollen auf dieser Weise 79 Mercedes-Autobusse in Riga ausgeliefert worden sein, in den fünf darauffolgenden Jahren weitere 117. Die Vertragssumme soll dabei etwa 30 Millionen Euro betragen haben. In einem zweiten Fall, wo es um die Jahre 1998 bis 2000 gehen soll, wird eine weitere Firma "MB Turk" und der Mercedes-Großhändler "Silverstar" genannt; es ging ebenfalls um Autobusse, diesmal 40 Stück, und eine in diesem Zusammenhang angeblich unrechtmäßig gezahlte Summe von 383.480 Euro. Das Portal Delfi nennt in diesem Zusammenhang auch zwei konkrete Personennamen von lettischen Angestellten bei den Auslieferungsfirmen, die auch heute noch mit ähnlichen Aufgaben betraut seien. Versuche diese zu befragen seien aber bisher erfolglos verlaufen, da sie zunächst anrufe nicht beantwortet hätten, später seien die Mobiltelefone ganz ausgeschaltet worden. 

Lehren daraus ziehen - aber welche? 
Da schaut man doch die täglichen Verkehrs- staus in Riga mit ganz anderen Augen an! Es gibt allerdings sehr unterschiedliche Wertungen dieser Vorgänge, sowohl was die Firmenvertreter, die Presseorgane verschiedener Länder, wie auch Äusserungen und Kommentare von Leser/innen und Lesern der Meldungen angehen. "Anders geht es doch nicht!" so tatsächlich die Leserkommentare in Zeitungen in Deutschland oder Österreich. Oder, leicht ironisch: "ich dachte, in den USA gilt sowas als 'Lobbyarbeit'". Auch manche deutschen Journalisten, besonders wenn sie für Zeitungen schreiben die im Mercedes-Ländle Ba-Wü erscheinen, drehen schon die Überschrift lieber ins Positive. So schreibt die Stuttgarter Zeitung: "USA honorieren Kampf gegen Korruption bei Daimler" (sonst würden die US-Gerichte keine einfache Abfindung akzeptieren).
Lettische Leserkommentare klingen da anders. Die einen machen Äusserungen wie "ich dachte, diese Autos kommen aus einem Land, wo Ordnung und Recht herrschen?" Andere, offenbar Autoliebhaber, zeugen sich trotz allem erfreut, dass es die Autos aus dem Westen so schnell auf Lettlands Straßen geschafft haben. "oder möchte jemand die Trabent, Zaporože, Moskvič, oder Žiguļi wiederhaben?" Auch seien Mercedes immer noch Opel oder Chevrolet vorzuziehen, wo es auch größere Probleme anderer Art gegeben habe. 

Lettische Medien: viele Verdächtige
Also: am Ende scheint sich jeder wieder selbst der Nächste zu sein. Allerdings ist abzuwarten, was weitere Nachforschungen in Lettland noch alles aufwirbeln - schließlich ist Wahlkampf. Einige möchten nun erstmal nicht mehr Mercedes-fahrend gesehen werden. So titelt TVNET heute: "Wahrscheinlich nahmen nicht nur Firmenangestellte, sondern auch Regierngsmitglieder Bestechungsgelder." Ins Blickfeld geraten hier vor allem die rund ums Bürgermeisteramt Zuständigen der besagten Jahre (Andris Bērziņš / LPP, Gundars Bojārs / LSDSP). Einer davon, Ainārs Šlesers (LPP), ist auch heute wieder als Vize im Amt. Bei der sowieso in Lettland verbreiteten Politikmüdigkeit und dem geringen Ansehen von Politiker/innen ist ein Generalverdacht in den Medien offenbar populär. Alle, die da in Amt und Würden aufgezählt werden können, werden auch als verdächtig hingestellt.

Eines dürfte dabei klar sein: ab 1998 war Lettland schon in einem Stadium,auf baldige EU-Mitgliedschaft hoffen zu dürfen. Alles, was davor geschah (man frage nur die sogenannten lettischen Oligarchen wie Lembergs, Šķēle) war noch viel leichter verdientes Geld, auf heute nicht mehr nachvollziehbaren Wegen. Und eine andere Vermutung geht dahin, dass auch die von Daimler in Russland im Zusammenhang mit dem gegenwärtig diskutierten Fall getätigten versteckten Zahlungen über lettischen Banken gelaufen und abgewickelt sein sollen (so vermutet z.B. DIENA). Nur: schon einige ähnliche Skandale um unrechtmäßige Zuwendungen sind in den vergangenen Jahren über Lettland hinweggegangen. Es ist zu befürchten, dass sehr bald wieder andere Schlagzeilen herrschen. Nicht mal ein Boykott hilft ja: wer kein Auto nutzt, fährt Bus. Es war nur ein einzelne Stimme auf einem lettischen Internetportal, die meinte: "Leute, ich fahre sowieso immer schwarz." Aber auch das hilft keinem gegen überteuerte Anschaffungen, die Zeche zahlt, wer über seine Verhältnisse lebt.

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