15. März 2009

Über Rumpelstilzchen und lettische Kühe

Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß“. Wer kennt in Deutschland dieses Märchen über das kleine, hässliche Männchen mit den außergewöhnlichen Namen nicht? Die Namensverheimlichung des kleinen Männleins hat eine geheimnisvolle Bedeutung – wenn jemand erfährt, wie es heißt, dann wird es auf die Königstocher verzichten müssen. Das Wissen seines Namens hat etwas Magisches und Mystisches, was etwas bewirken kann.

Hier wirkt der Namenszauber - eine magische Praktik, die in vielen archaischen Kulturen verbreitet war. Er versucht Personen mithilfe ihres Namens auf eine magische Weise zu beeinflussen. Eine Erklärung der Bedeutung des Wissens eines Namens liefert die lettische Folklore – wenn jemand den Namen des Unbekannten kennt, hat er die Macht über ihn. Wer den Namen des Teufels kannte, der musste ihn nicht fürchten. Wer einen Namen hat, ist nicht mehr fremd, chaotisch, bedrohend.

Was in Deutschland nur im Märchen überliefert ist, wird in Lettland immer noch praktiziert. Der Glaube (oder der Aberglaube, wie ein moderner aufgeklärter Mensch sagen würde) an die Magie der Namen lebt in Lettland noch fort. Auch heute noch bekommt in den Bauernhöfen fast jedes neugeborene Kalb einen Namen, was etwas bewirken soll. In einigen Gebieten Lettlands werden gewöhnlich die Kühe nach einem Fluss genannt – Gauja, Salaca, Daugava. Warum gerade nach einem Fluss? Damit die Kuh so viel Mich hat, wie in einem Fluss Wasser ist; und damit sie auch so rasch wie das Flusswasser fließt. In der lettischen Folklore sind auch zahlreiche Zaubersprüche und Namenszauber überliefert, die den Milchfluss der Kuh anregen sollten. Einige davon wurden noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angewendet.

Die Kühe in einer lettischen Großfarm haben leider keine Flussnamen mehr, sondern Nummern, genauso wie die Kühe in Deutschland. 234, 112 oder 456 ... Aber vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass es im kleinen Lettland gar nicht so viele Flüsse gibt, wie Kühe heutzutage in einer modernen Farm ...

(Karikatur: Gatis Šļūka, Latvijas Avize)

8 Kommentare:

gif me more hat gesagt…

Unglaublich. Das wäre ein weiteres trauriges Beispiel von Verarmung. Stimmt es wirklich, dass die Kühe nur noch Nummern haben? In der Schweiz jedenfalls hat jede Kuh neben einer Nummer auch einen Namen, es gibt sogar ein Ranking der häufigsten Namen. 2006 war es Fiona, das war auch der Name der amtierenden Miss Schweiz...

Anda hat gesagt…

Die Tatsache ist, dass in Lettland bald gar keine Kühe mehr leben werden, dann haben wir gar keine Namen und auch gar keine Nummer mehr... Die ausländische Milch ist viel billiger als die Lettische. Das sind leider die Folgen der Globalisierung und der EU Beitritt.

Axel Reetz hat gesagt…

Das Hauptproblem der lettischen Landwirtschaft ist, dass man nach der Unabhangigkeit zu Einzelgehoften zuruckgekehrt ist (im Gegenteil zu EE und LT). Diese funktionieren angesichts mangelnder Technik arbeitsintensiv und unrentabel.
Tragischer noch, dass nach der Unabhangigkeit viele Letten dachten, jetzt wurde alles wieder so werden wie zur Zeit Ulmanis', als die Landwirtschaft wirtschaftlich von grosser Bedeutung war. Aber die Zeiten haben sich geandert. In Westeuropa sind etwa (Zahlen habe ich jetzt nicht detailliert recherchiert) 3% der Beschaftigten in der Landwirtschaft tatig. In Lettland durften es ungefahr drei Mal so viel sein.
Dank der kleinen Gehofte leben viele davon in Subistenzwirtschaft. Auch kein gutes Zeichen.

Anda hat gesagt…

Aber das hier ein konkretes Beispiel, wie ein Vokl ein Teil ihrer Identiät verliert.

Axel Reetz hat gesagt…

Die Deutschen haben es auch schwer mit der Erkenntnis, dass die Autoindustrie nicht die Zukunft ist ...

Anda hat gesagt…

Meiner Meinung nach hat die Autoindustrie für Deutschland mehr einen wirtschaftliche Bedeutung; die Landwirtschaft für Lettland - mehr eine Symbolische und kulturelle Bedeutung.

Axel Reetz hat gesagt…

Das Auto hat in Deutschland nur eine wirtschaftliche Bedeutung? Das Auto ist des Deutschen liebstes Kind. In lettland reden zwar alle von daba (Natur), aber wenn sie picknicken, sind sie genausowenig wie in Frankreich in der Lage, ihren Mull wegzuraumen. Ausserdem wohnen die wenigstens auf dem land, sondern die meisten im Wasserkopf Riga. Die Naturverbundenheit ist doch ein Mythos!

Anda hat gesagt…

Vielleicht bin ich dann die letzte noch, die so denkt!