21. Januar 2009

Vom Saulus zum Paulus? Präsident Zatlers am Rande von Verfassungsmäßigkeit und Demokratie

Monatelang haben Presse und Bevölkerung den 2007 gewählten Präsidenten belächelt und verspottet. Er sei im Zoo auserwählt worden hieß es. Und es wurde sicher nicht zu Unrecht behauptet, er sei jene politisch genehme Figur, welche sich die regierende Koalition für die Rigaer Burg ausgesucht habe, um von dort aus kein Störfeuer mehr befürchten zu müssen wie noch während er Ägide seiner Vorgängerin.

Zalters machte einem zweifelhaften Ruf alle Ehre, angefangen mit dem Bekanntwerden seiner nicht versteuerten Dankeszahlungen von Patienten über sein offensichtlich fehlendes Verständnis des Politischen und bis hin zu unglücklichen rhetorischen Patzern: “Wer bin ich?”

Von politischer Ahnungslosigkeit zum politischen Präsidenten
Seit die Letten aber im Herbst 2007 erstmalig wieder massenhaft auf die Straße gingen, um gegen ihre politische Elite und deren Regierung zu protestieren, wandelte sich das Staatsoberhaupt. Immer häufiger mischte er sich in das politische Alltagsgeschäft mit Kommentaren ein. Schließlich machte er von seinem Gesetzesinitiativrecht Gebrauch und iniitierte eine Verfassungsänderung, welche dem Volk die Möglichkeit geben sollte, das Parlament aufzulösen. Diesen Entwurf torpedierte die regierende Koalition, indem ihre Abgeordneten bei den betreffenden Ausschußsitzungen durch Abweseheit glänzten und die Beschlußfähigkeit verhinderten.

Nach den Ausschreitungen vom 13. Januar – ein historisches Datum, weil 1905 an diesem Tag Demonstranten auf dem Eis der Daugava zusammengetrieben und viele erschossen worden waren – wurde aus Zatlers bereits vorher schärferem Ton eine handfeste Drohung: Wenn das Parlament nicht mehrere Aufganben bis zum 31. März verabschiede, werde er eine Auflösung des Parlamentes anregen. Die Verfassung verlangt für diesen Fall ein Referendum, dessen ablehnender Ausgang den Präsidenten das Amt kosten würde. Eine andere Möglichkeit der Parlamentsauflösung sieht die Konstitution nicht vor.

Vom politischen Präsidenten zum Populisten
Dieser Schritt an und für sich ist bereits verfassungsrechtlich fragwürdig. Mehr noch sind es die konkreten Forderungen.

Das Parlament möge nach der Entlassung von Loskutovs als Chef der Anti-Korruptionsbehörde endlich einen neuen Leiter bestellen, mag als Aufforderung berechtigt sein. Die Frage des Ultimatums ist es jedoch nicht. Gewiß, in der Verfassungs ist nicht festgelegt, in welcher rhetorischen Form und welchem Zeitrahmen der Präsident von seinem Recht Gebrauch machen darf oder soll. Bedingungen zu stellen und ein Ultimatum zu setzen, bedeuten jedoch eine Drohung, von der anschließend schwierig wäre, sich wieder zu distanzieren. Zatlers sollte also besser vor die Presse treten und seinen Schritt mit einer entsprechenden Begründung mit der Ankündigung auch sofort einleiten. Die jetzt ausgesprochene Drohung kommt als Erpressung einer Einmischung in das politische Alltagsgeschäft der Gesetzgebung gleich, welche die Verfassung nicht deckt.

Doch auch die anderen Forderungen bedeuten einen tiefen Eingriff in die Rechte der anderen Staatsorgane, welchen keine demokratische Verfassung vorsieht. So verlangt der Präsident:

1. Neue Gesichter in der Regierung und eine Regierung der nationalen Einheit. Dem Präsidenten gesteht die lettische Verfassung des Recht zu, einen Ministerpräsidentenkandidaten zu benennen, der in Lettland nicht unbedingt ein gewählter Abgeordneter sein muß. Die Zusammensetzung einer Koalition und die Bestellung des Kabinetts jedoch gehören zu seinen Aufgaben nicht.

2. Zatler beklagt, daß bereits zehn Prozent der Abgeordneten der Saeima Parteien vertreten, deren Listen bei den vergangenen Wahlen nicht angetreten sind. Das ist zutreffend. Die Volkspartei und die neue Zeit haben Abspaltungen zu beklagen, die sich im Falle der Bürgerlichen Union mit fünf Angeordneten auch direkt als Fraktion konstatieren konnte.
Auch die lettische Verfassung unterwirft den Abgeordneten aber nur seinem Gewissen. Angesichts der lose gebunden Listen ist überdies schwierig festzustellen, wieviele Wähler für die ehemalige Partei der ausgetretenen Abgeordneten nur wegen der Präsenz eben dieser Kandidaten gestimmt haben. Wenn Zatlers also indirekt verlangt, Abgeordnete, die ihre Partei verlassen, müßten ihr Mandat zurückgeben, um Platz zu machen für einen Nachrücker aus den Reihen der Partei, so entspricht dies erstens mitnichten dem Wählerwillen und zweitens wäre dies ein klarer Verstoß gegen demokratische Prinzipien. Es obliegt allein dem Wähler beim folgenden Urnengang über das Schicksal der Parteiabtrünnigen zu entscheiden, nicht dem Präsidenten, Fraktionen oder Parteien.

3. Von den Verantwortungsträgern verlangte Zatlers Professionalität und Fremdsprachenkenntnisse. Demnach sollte also der Gesundheitsminister Arzt, der Bildungsminister Professor und der Außenminister Diplomat sein wie der Innenminister Polizist und der der Verteidigungsminister Soldat? Diese Äußerung wirft der Politik ihr Sein vor. Es ist trivial, daß auch Experten in ihren jeweiligen Gebieten alles andere als einer Meinung sind und politische Entscheidungen selbstverständlich fachlich begründet werden müssen, wofür eines eine Ministerialbürokratie gibt. Aber es ware gefährlich, dem Arzt eine Meinung zum Umgang mit Nachbarländern abzusprechen oder dem Verteidigungsminister die Wahl des behandelnden Arztes zu verweigern usw.
Die Foderung nach Sprachkenntnissen ist ein witzige Fußnote am Rande, hatte doch der Präsident selbst sich jüngst geweigert, in einem russischsprachigen Fernsehkanal mit den Zuschauern Russisch zu sprechen.

4. Zatlers verlangt auch eine Anderung des Wahlsystems in Form der Unterbindung der Lokomotivfunktion populärer Politiker. Dies wird auch in wissenschaftlichen und journalistischen Kreisen verlangt. Gemeint ist, daß populäre Kandidaten nicht durch das Antreten in mehreren oder auch allen Wahlkreisen in der Folge anderen Kandidaten auf der Liste zum Erfolg verhelfen, wenn sie im konkreten Wahlkreis nicht als gewählt betrachtet werden, da freilich jeder Politiker nur ein Mandat einnehmen kann.
Diese Position habe ich bereits früher politikwissenschaftlich diskutiert und die Logik des Arguments in Frage gestellt, weil in der Wirkung, daß nämlich aufgrund der Popularität einer konkreten Persönlichkeit auch unbekannte Kandidaten den Einzug in das Parlament schaffen, kein Unterschied besteht, wenn der Wähler in Wahlkreis A, der einen Kandidaten aus dem Wahlkreis B bevorzugt, zu dessen Unterstützung – ohne die ja auch der gewünschte Politiker nicht an die Macht kommen kann – zwar in seinem Wahlkreis die gleiche Partei, damit aber andere Kandidaten wählt.
In Lettland mit seiner gesographischen Struktur einer Hauptstadt Riga, in der wasserkopfartig ein Drittel der Bevölkerung des Landes lebt, stellte sich sofort auch die Frage, ob dann jeder Politiker nur an seinem Wohnort kandidieren darf. Da die Elite des Landes weitgehend in der Hauptstadt lebt, stellte diese Forderung ein logistisches und demokratietheoretisches Problem dar.

Was nun?
Der lettische Politologe Ivars Ījabs hat treffend formuliert, daß vorgezogene Neuwahlen in einer Demokratie etwas völlig normales seien und keinesfalls eine Katastrophe. Die politische Elite hat vor allem unter dem vorherigen Regierungschef Aigars Kalvītis versagt. Das Vertrauen der Bevölkerung hat die Politik verloren. Und dies konnte sich auch unter Ministerpräsident Ivars Godmanis nicht wirklich ändern, weil eben fast nur der Regierungschef ausgetauscht wurde, der selbst ebefalls ein teil dieser Elite ist.

In- und ausländische Beobachter sollten sich jedoch von allfälligen Neuwahlen nicht zu viel erhoffen. Zwar gibt es zwei neue Parteien, doch diese sind wie so viele zuvor aus der politischen Elite heraus entstanden und nicht aus einer Bewegung in der Bevölkerung entstanden. Hoffnung bestünde bei einem Sieg dieser Kräfte also bestenfalls auf integrere Amtspersonen als jene, die Lettland bisher regiert haben. Zweifel dürfen jedoch bestehen, denn keineswegs sind diese neuen politischen Kräfte so populär, daß sie problemlos obenauf schwängen.

Auch muß zunächst ein erfolgreiches Referendum abgehalten werden. 2007 und 2008 fielen insgesamt drei derartige Volksabstimmungen aufgrund zu geringer Beteiligung durch. Und die Politikverdrosenheit inklusive des fehlenden Angebots einer parteipolitischen Alternative droht die Wahlbeteiligung eher noch zu sinken. In diesem Fall hätte ein neues Parlament nicht viel mehr Legitimität als das alte.

Man könnte auch mit einem Wort sagen, so lange die Bevölkerung die Demokratie nicht verstanden hat und teilweise auch nicht verstehen will, wird die lettische Demokratie ein potjomkinsches Dorf. Bleiben.

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