14. Januar 2009

Eine soziale Explosion?

Über 10.000 Menschen demonstrierten gestern auf dem Domplatz in Riga gegen die lettische Regierung mit dem Slogan "Löst das Parlament auf!".
"Regieren wie im Glasschrank" so drückte es ein Teilnehmer heute in einem Bericht des ZDF dazu aus, gefragt nach seiner Meinung über die Regierung Godmanis: "Die schauen nur auf sich selbst, nicht international, nicht nach anderen, die benehmen sich als säßen sie in einem Glaskasten".

Wie in einem Glaskasten - das haben wohl auch die Randalierer am gestrigen Abend so verstanden, die sich nach Abschluß der Demonstration, mit demselben Slogan auf den Lippen, vor dem Eingang des Parlamentsgebäudes versammelten und dort begannen, die Fensterscheiben einzuwerfen. Begleitet von vielen Fernsehkameras und Journalisten, die mit einigem Erstaunen notierten, dass hier zum ersten Mal in der neuen Unabhängigkeitszeit gewaltbereite Demonstranten dazu übergingen, mutwillig Sachschäden anzurichten oder Polizisten anzugreifen (im Einsatz war dort die "spezielle Eingreiftruppe" der Polizei unter der Bezeichnung 'Alfa').

Lettischen Medienberichten zufolge war es abends spät schlicht noch eine bloße Schlägerei - mit 8 verletzten Polizisten, über 100 festgenommenen Demonstranten, 14 zerstörten Polizeiwagen, und etlichen kaputten Fensterscheiben sowohl am Parlament als auch bei den in der Nähe befindlichen Geschäften. Es gab auch Plünderungen in Geschäften (insbesondere bei "Latvijas Balzams" - einem "Schnapsladen" könnte mal also sagen), - nur wird diesen Plünderern sicher nicht förderlich gewesen sein, dass so viele Fernsehkameras filmten.

Die erste Frage also - ganz wie es auch das ZDF (Heute in Europa) berichtete: War das Ausdruck einer "sozialen Explosion"? Die lettische Finanzlage sei die schlechteste in der ganzen EU - so das ZDF.
Für das Vorgehen der lettischen Polizei übernahm Ministerpräsident Godmanis die volle Verantwortung, und verurteilte Stellungnahmen
des Ex-Minister Aigars Štokenbergs, die Godmanis so verstanden haben wolle, als ob
Štokenbergs als Ursache der Unruhen allein eine schlechte Regierung verantwortlich machen wolle.

Die Webseite der Organisatoren der Protestdemonstration - www.tavabalss.lv - war heute wieder gesperrt. Bis gestern hatten dort über 20.000 Menschen ihren Ärger über die gegenwärtige Regierung und eine Zustimmung zu einer gemeinsamen Protesterklärung ausgedrückt.
Die nächste Frage also: wohin wird das gehen? Werden jetzt alle außerparlamentarischen Gegner der Regierung zu Kriminellen erklärt? Wird die Regierung Godmanis so weiter machen können wie bisher, also zum Beispiel die vielen Steuererhöhungen einfach durchziehen?

7 Kommentare:

Anda hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Anda hat gesagt…

Die Letten sind mit keiner Regierung zufrieden. Was soll denn der armer Godmanis noch machen? Er wird ja sowieso von keinem Menschen in Lettland beneidet.
http://www.tavabalss.lv/site3/ ist aber nicht gesperrt.

Anda hat gesagt…

Das beste ist aber, laut "Diena," die Regierung sei selbst schuld, dass alles so geplündert wurde...
http://www.diena.lv/lat/tautas_balss/lasitaji_aicina/mes-pamodamies-cita-latvija#comments

Albert Caspari hat gesagt…

Die Seite tavabalss ist seit heute abend wieder zugänglich, ja. Sie war vor der Demo aber auch schon mal gesperrt.
Der heute in der Presse zitierte Ausspruch von Godmanis "wer die Polizei angreift, und dabei 'Lettland' schreit, das geht nicht zusammen" - bezieht sich einerseits natürlich darauf, dass Gewalt und Vandalismus keine Lösung ist. Aber ich höre auch Ex-Präsident Bush sagen "wer nicht für uns ist, ist gegen uns" (und meinte damit, alle Gegner des Irak-Kriegs seien im Bunde mit Terroristen).

Lettland muss in dieser schwierigen Situation aufpassen, nicht durch allzu freiheits-einschränkende Gesetze das demokratische Engagement seiner Bürger zu ersticken.

Anda hat gesagt…

Welche freiheits-einschränkende Gesetze meinst Du?

Anonym hat gesagt…

Hallo,

Also auf Lettland kommen noch viel schlimmere Zeiten zu. Leider. Aber es war auch vorhersehbar. In Riga dürfte die Immobilienlandschaft kräftig durchgerüttelt werden. Viele Privathaushalte haben zu allem Uebel auch noch Ihre Hypotheken in Euro.

Malina hat gesagt…

Mein Lieblingskommentar zum Remmidemmi am 13.1. kommt von Rigas Bürgermeister Janis Birks (zitiert aus einer Meldung der Nachrichtenagentur LETA):
"Our historic cobblestone does not deserve to be used as a weapon by (sic!) dishonest politicians."
Egal, wie man diesen denkwürdigen Satz dreht, wendet, versteht oder missversteht - er bleibt satirisch. Bei so viel Sinn für Humor dürfte die Rettung des Landes aus der Depression doch eigentlich kein Problem sein...