28. Oktober 2008

Der wilde Osten

Vor einigen Tagen meldet die Zeitung “Latvijas Avīze” kurz, die Zeit der “reketieri” in den 90er Jahren sei zurückgekehrt. Aber wer oder was ist das? Reketieri sind Banditen, Verbrecher. Man könnte dieses Wort, das auch im Lettischen ein Fremdwort ist, übersetzen mit Schutzgelderpressern. 

Es ist zutreffend, die 90er Jahre waren die Zeiten des wilden Ostens. Die Gesetzgebung war noch nicht so weit, alles, was unmoralisch ist, auch zu verbieten. Die Behörden waren nicht neu strukturiert, die Mitarbeiter der operativen Dienste schlecht ausgestattet, die Vertreter der Obrigkeit verhältnismäßig einfach mit Angst unter Druck zu setzten. Die Folge, regelmäßig wurden Auseinandersetzungen zwischen Einflußsphären im Geschaftsbereich durch Bombenanschläge oder gar Morde und Auftragsmorde erledigt. Damals war es nichts Ungewöhnliches, auch des nächtens schon einmal durch eine Explosion aus dem Schlaf gerissen zu werden. 

Diese Zeiten waren eigentlich schon seit einer ganzen Weile vorbei. Aber die Situation verschlechtert sich wieder, weil sich die wirtschaftlichen Verhälntisse und die Lebensumstände verschlechtert haben. Vor diesem Hintergrund kommen nun jene Kinder in das frühe Erwachsenenalter, die in den 90er Jahren nicht mehr die Schule besucht, sondern sich auf der Straße herumgetrieben, also auch keine Ausbildung haben. Außerdem werden jene Kriminellen, die in den 90er Jahren verhaftet und verurteilt wurden, nun nach Verbüßung ihrer Haftstrafen wieder auf freien Fuß gesetzt.
Einstweilen explodieren zwar nicht wieder regelmäßig Bomben oder Richter werden erschossen, aber Lettland ist eine Gesellschaft von Gewinnern und Verlierern des Systemwechsels, in der offensichtlich viele Einwohner ihre Mitmenschen als jene betrachten, die ihnen in irgendeiner Form irgendetwas schulden. Ausländer beobachten häufig, wie wenig die Menschen auf der Straße einen glücklichen Eindruck machen, lächeln. Neben den unfreundlichen Verkäuferinnen, die sich wundern, wenn der Kunde “Guten Tag’ und “Danke“ sagt äußert sich dies in einer allgemeinen Aggressivität, die im Alltag beispielsweise im Straßenverkehr sehr gut zu beobachten ist. Nach Einbruch der Dunkelheit ist es ratsam, die Augen offen zu halten, denn ein Überfall kann auch schon einmal nur für die Beute von ein paar Euro vorkommen. 

Aber es gibt durchaus auch wieder Aufsehen erregende Verbrechen. So wurden im Januar 2008 in Garkalne bei Riga die Unternehmer Ella Ivanova und Aigars Lūsis ermordet. Am 14. Mai gab es nach Geschäftsschluß einen Überfall auf ein Juveliergeschäft innerhalb eines großen Einkaufszentrums am Stadtrand von Riga in der Vienības Gatve. Selbstverständlich, wie üblich hatte ein Wachmann Dienst, aber eben nur einer. Was hätte er ausrichten können? Die Diebe rammten mit einem Auto die verschlossene Eingangstür und zerstörten sie. Bis die sofort alamierte Polizei eingetroffen war, hatten sich die Täter sich mit dem Diebesgut längst vom Tatort entfernt.

Keine Kommentare: