27. November 2005

Fortsetzung der Dokumentarfilmtradition

Auch zu sowjet-lettischen Zeiten galt der Dokumentarfilm in Riga schon etwas. Im Rigaer "Kinostudio" hatte das dokumentarische Handwerk eine Hochburg. Bei der Aufzählung der besten lettischen Doku-Filmer braucht man nicht bei Sergej Eisenstein stehen zu bleiben: Herz Frank gehört dazu, genauso wie der 1991 bei den Januarunruhen in Riga umgekommene Andris Slapins, oder der 1992 auf tragische Weise ums Leben gekommene Juris Podnieks.
Der Regisseur, Autor, Kameramann und Produzent Romualds Pipars schreibt jetzt ein neues Kapitel dieser filmischen Tradition.
Sein bereits 2003 fertig gestellter 39 Minuten langer Film "Par visu manu dzivi" (engl. Titel: "For all my life") rief internationale Anerkennung hervor, und lenkt gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf ein fast unsensationelles Thema: an einigen Orten in Kurland leben Letten und Roma heute wie selbstverständlich miteinander.

Der thematische Hintergrund des Films war dramatisch: im Sommer 1941, als Nazi-Deutschland Lettland besetzte, versammelten SS-Truppen, nachdem bereits alle Juden ermordet waren, auch die in dem kleinen Ort Sabile lebenden Roma im lettischen Kurland. Sie befahlen ihnen, ihre eigenen Gräber zu schaufeln. Sie reihten sich an diesen Löchern auf, bereit, erschossen zu werden. Martins Berzins, der Ortsbürgermeister, schaltete sich ein: "Das sind alles meine Mitbürger. Wenn ihr sie ermordet, dann müsst ihr mich auch ermorden." Mit seinem mutigen Einsatz konnte er damals 200 Leben retten.
Der Film thematisiert das Leben der Roma in Sabile heute.
Bis heute leben Roma in Sabile, gehen in der örtlichen Schule in eine spezielle Klasse, erhalten Unterricht in ihrer eigenen Sprache, und Extra-Musikunterricht.
Am 9.August 2000 trafen sich lettische Roma im Wald bei Sabile, wo immer noch die Löcher zu erkennen sind, die genau 60 Jahre zuvor ausgehoben worden waren.

In den zwei Jahren seit seiner Fertigstellung ist der Film von Romualds Pipars inzwischen auch international viel beachtet. Als am 10.Oktober 2005 der lettische Minister für Integrationsfragen Ainars Latkovskis dem Regisseur einen Ehrenpreis überreicht, ist dies auch ein Rückblick auf das bisher geleistete. Die größere Zeremonie hatte bereits am 28.September 2005 im Europäischen Parlament in Straßbourg stattgefunden: dort wurden die ARD-Medienpreise (CIVIS) im Rahmen einer festlichen Zeremonie verliehen. "For all my Life" erhielt dabei den erst 2005 neu geschaffenen und mit 6.000 Euro dotierten Europäischen Roma Fernsehpreis. "Der Film zeigt das einträchtige Zusammenleben von Roma und Letten in der lettischen Stadt Sabile und erinnert an die Geschichte des gegenseitigen Verständnisses während des Zweiten Weltkrieges", schreibt der WDR über den Film. "Es gibt Armut in Sabiles, aber keinen erkennbaren Antiziganismus. Eine beeindruckende Darstellung gelungener Integration", befand die Jury.

In einem Interview mit der lettischen Zeitschrift "Izglitiba un kultura" sagt Pipars zu seinem Filmschaffen, das inzwischen mehr als 100 Dokumentarfilme umfasst, er sei "immer ein wenig auf der Suche nach der Wahrheit" gewesen. "Diejenigen Menschen, die es schwer im Leben haben - so meine Eltern auch - können meist selbst nichts davon überschauen. Ich habe viel davon erlebt, und so verarbeite ich es in meinen Filmen".

Fast ebenso spannend wie der Film selbst liest sich Pipars' Erzählung von seiner Reise zur Preisverleihung nach Straßbourg, die nicht ganz undramatisch verlief (beim Portal TVnet ist sie für Lettisch-Kundige noch nachzulesen). Hier kann man lernen, dass es offensichtlich schwierig ist, in Frankfurt Bustickets zu kaufen, und französischen Taxifahrern das Fahrziel "Haus des Europaparlaments" zu erklären. Bei der Preisverleihung sei das Publikum wohl glücklich gewesen, dass er nicht wie viele andere erst mal bei der "Oma und ihrer Katze" angefangen habe zu erzählen, weil ja allen zu danken sei, sondern einfach nur zwei Worte sagte: "Thank you!"

Der Filmverlag bietet eine VHS-Version des Films inzwischen auch zum Kauf an. Es bleibt zu hoffen, dass "For all my life" entweder im deutschen Fernsehen oder /und auch in den deutschen Kinos einmal zu sehen sein wird.

25. November 2005

Mehr Besucher, Run auf Billigflieger, Krise der Fährlinien

Die touristische Saison 2005 hat einige Fragezeichen hinterlassen. Konnte der "Run" auf die neuen EU-Mitgliedsländer, der im Sommer 2004 deutlich spürbar war, wiederholt oder sogar gesteigert werden?
Es gibt unterschiedliche Aussagen dazu. Einige touristische Dienstleister berichten auch von Rückgängen, andere von andauernden Verbesserungen.

In Lettland veröffentlichte das staatliche Statistikamt den Überblick über Reisen von und nach Lettland im dritten Quartal 2005 (Juli, August, September). In der Hauptreisezeit 2005 verzeichnete Lettland mit 1,324 Millionen ca. 20% mehr Besucher aus dem Ausland als im gleichen Zeitraum des Jahres 2004 (1,104 Mill).
Besucher aus den direkten Nachbarländern dominieren immer noch die absoluten Zahlen: 33% der Gäste kamen aus Estland, 23% aus Litauen. 9% kamen aus Deutschland, 6% aus Russland, 5% aus Polen und je 4% aus Finnland und Schweden. Interessant dabei, dass laut Statistik die Gäste aus Russland in Lettland das meiste Geld ausgeben - noch vor den Deutschen und den Schweden. Dieser Tabelle zufolge sind Litauer und vor allem die Finnen am sparsamsten.
Lettland ist ein kleines Land: nur 31% der Gäste hielten sich länger als 24 Stunden im Lande auf. Von diesen waren 40% "Neulinge": zum ersten mal in Lettland.
78% aller Gäste kamen über die Straßen, 12% per Flug, 7% mit dem Schiff und 3% mit dem Zug.

Die Liebhaber schöner Schiffsreisen werden es 2006 schwerer haben. Zunächst machte die Kunde vom Verkauf der Finnjet in die USA die Runde - eine Linie, die zwischen Rostock und Tallinn erfolgreich verkehrte, und sicher viele Menschen durch eine schnelle und sichere Überfahrt mit dieser Region in Verbindung brachte.
Nun erschüttert auch der Skandal um die Pleite der Fährlinie Riga-Stockholm die lettische Hauptstadt. Anfang November lag die "BALTIC KRISTINA" noch immer im Hafen von Riga, die Crew im Streik. Am 15.Oktober hatte die Reederei "Rigas Juras linija's" (RJL), an der auch die Stadt Riga einen Anteil von 35,48% hielt, plötzlich den Betrieb eingestellt, sich vor Gericht für insolvent erklärt, und hatte offensichtlich auch kein Geld mehr, um die Mannschaft zu bezahlen. Das Thema wurde zur heissen Diskussion in lettischen Medien. Hatte doch der frühere Rigaer Bürgermeister Bojars es sich vor Jahren zum persönlichen Anliegen gemacht, wieder eine Fähre nach Stockholm in den Hafen von Riga zu holen - nun zeigte es sich, dass trotz hoher staatlicher Subventionen das Geschäft nicht wirtschaftlich zu betreiben war: 7 Millionen US-Dollar an Schulden waren gegenüber der PAREX-Bank aufgelaufen, so meldete die Nachrichtenagentur LETA am 14.Oktober. Als Konsequenz hatte der Freihafen Riga das Schiff, dessen Wert von verschiedener Seite auf zwischen 3,8 bis 4,6 Millionen Euro geschätzt wird, als "Pfand" im Hafen festgehalten.

Anfang August hatte die Betreiberfirma noch neue Rekorde gemeldet: auch im vierten Jahr des Betriebs sei die Passagierzahl wieder erheblich gestiegen - 11610 Passagiere seien allein im Juli 2005 befördert worden, eine Steigerung von 33,4% gegenüber 2004. Nun kommt es anders: Am 21.Dezember soll die 32 Jahre alte "Baltic Kristina" auf einer Zwangsauktion versteigert werden (so meldet es ein norwegisches Schiffahrtsportal im Internet, ebenso verschiedene lettische Quellen). Bis Mitte November waren seitens der Besatzung 300.000 Lat als ausstehende Lohnforderung aufgelaufen, meldet die lettische Tageszeitung "Neatkariga Rita Avize" (NRA). Es besteht kaum Hoffnung, dass die Betroffenen diese Zahlungen noch vor Weihnachten erhalten werden.

Soweit zum lettischen Wachstum in der Tourismusbranche - das offensichtlich trotz aller Statistiken auf wackeligen Füssen steht. Der Flughafen Riga verzeichnete übrigens 1,375 Millionen Passagierankünfte in den ersten 9 Monaten des Jahres 2005, das ist fast eine Verdopplung gegenüber 2004. Während dabei die Nutzung von lettischen Airlines nur um 39,4% anstieg, war es bei ausländischen Fluglinien ein Anstieg um das 2,5fache. 286.700 Menschen kamen von deutschen Flughäfen, vor allem dank der Billigflieger zwischen Berlin und Riga ein starker Anstieg. Laut BALTIC TIMES verkündete der lettische Verkehrsminister Ainars Slesers kürzlich lauthals, bis zum Jahr 2015 werde sich der Fluggastaufkommen noch einmal gegenüber heute verfünffachen.
Was bleibt solchen Optimisten zu wünschen? Allzeit gute Reise, und wenig Abstürze!

7. November 2005

Rekordprämie für Überraschungssieg in New York













Einen Überraschungssieg landete Jelena Prokopcuka aus Jurmala in Lettland ausgerechnet beim berühmten New York Marathon: nach 42,195 km, vorbei an den beindruckenden Sehenswürdigkeiten der US-Metropole, konnte sie ausser dem Siegerkranz für die Marathonsiegerin 2005 auch die Rekord-Siegprämie von 130.000 Dollar entgegennehmen. Die Siegerzeit. 2 Stunden, 24 Minuten und 41 Sekunden.
Ausnahmsweise sind die Blechkarawanen der PKWs anläßlich dieses Top-Sportereignisses einmal von den Straßen verbandt, und so konnten die über 35.000 Läuferinnen und Läufer die Strecke ganz "unter sich" genießen. Der New-York-Marathon wird seit 1970 in New York veranstaltet und führt durch alle fünf Stadtteile von Staten Island über Brooklyn, Queens, die Bronx und endet im Central Park in Manhattan. Bei den Männern gewann der Kenianer Paul Tergat.

(Foto unten: die beiden Marathon-Sieger. Foto: Reuters)
Über 35.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus über 100 Ländern waren am Start, 125 Fernsehstationen übertrugen das Ereignis in alle Welt, 2,5 Millionen Menschen sollen am Straßenrand für Stimmung gesorgt haben: für jede Läuferin ein ganz besonderes Erlebnis, hier zu siegen. Der Sieg von Jelena Prokopcuka stand dabei erst im Finish fest: kurz vor Schluß hatte noch die Kenianerin Susan Chepkemei geführt, bekam dann aber Magenkrämpfe, so dass Prokopcuka sie noch überholen konnte.


Nun diskutieren die lettischen Sportfans in Internetportalen wie "TVnet-Sport" diesen sensationellen Erfolg. Die Äusserungen gehen dabei von Lobpreisungen bis hin zur Hoffnung, die Siegprämie könne auch anderen lettischen Sportlern helfen: "da kann sie doch jetzt mal einiges spenden für unsere Sportklubs", so die dort geäusserten Hoffnungen. Andere sorgen sich auch um das Geld, denn nach lettischen Gesetzen müsse die Sportlerin wohl entweder 25% oder 15% ihrer Siegprämie in Lettland an Steuern zahlen, anteilig von ihrer Gewinnsumme. "Unseren dickbäuchigen Funktionären und verrückten Politikern ist alles zuzutrauen", spekulieren die Internet-User. "Aber das war doch ausserhalb der EU, da soll sie das doch mal nach US-Gesetzen regeln", meinen andere.

"Das ist ein gewaltiger Sieg für ein kleines Land wie Lettland", so äusserte sich Prokopcuka, die bereits 2004 auf dem 5.Platz gelandet war, der lettischen Nachrichtenagentur LETA zufolge. "Nun könnte ich auf den Geschmack kommen, und auch die Marathons von Chicago, Boston oder London gewinnen wollen", sagte sie lächelnd. Die Geldprämie könne sie gut gebrauchen, denn sie plane, sich in Jurmala ein Haus zu bauen - und gerade dort ist Baugrund teuer ...