1. Mai 2005

Keine Verlage, nirgends?

Die Diskussion um Sandra Kalnietes Buch "Mit Ballschuhen im sibirischen Schnee" (siehe auch vorangegangene Beiträge "mit Ballschuhen für Lettland" und "Lösung vor der Endlösung?" ) zeigt erneut, wie schwierig es ist, ein gleiches Diskussionsniveau in der deutschen und lettischen Öffentlichkeit zu erreichen.
Dagegen hat sich die jahrelang eingeübte Arbeit sowjetisch geprägter russischer Interessengruppen offensichtlich gelohnt: deren Sicht auf die "ehemaligen Sowjetrepubliken" wird weiterhin von vielen West-Medien eifrig übernommen. Es gilt als pauschal hoch-ehrenhaft, sich als Antifaschist auszugeben - eigentlich völlig zurecht. Aber was sich alles im rechten Spektrum Russlands hinter diesem Schlagwort versteckt - da schauen viele Westeuropäer dann nicht mehr so genau hin. Eine der Folgen ist es, dass auch die Okkupation Estlands, Lettlands und Litauens in der Diskussion mit den "russischen Freunden" nicht auftaucht - ganz in der Tradition der "deutsch-sowjetischen Freundschaft".

Diese andauernden Schwierigkeiten der lettischen Seite birgt mehrere Gefahren. Eine davon ist sicher, dass das Verständnis für lettische Interessen von nationalkonservativer und rechtsradikaler Seite in Deutschland völlig vereinnahmt wird. Das Argument ist eigentlich klar: dort, wo geschichtliche Tatsachen früher oder später für sich sprechen werden, hoffen wohl einige deutsche Rechtsaussen, endlich aus der "Schmuddelecke" herauszukommen und die Wasser auf die eigenen Mühlen lenken zu können.

Wer aus Lettland die Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit verfolgt, zieht aus den in der Presse nachzulesenden Vorgängen oft ebenfalls leichtfertig falsche Schlüsse. Wie kann einem Buch (eben das von Kalniete), das sich ehrlich darum bemüht, eine für Tausende von Letten schreckliche Erfahrung mit einem aufgezwungenen Regime in den Jahren nach dem 2.Weltkrieg zu schildern, vorgeworfen werden es wolle Lettland "reinwaschen" von einer möglichen Mitschuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus?
Vielleicht hat der Autor der Buchrezension in DIE WELT auch weniger den Inhalt des Buches bezweifeln wollen, als die Absichten des deutschen Verlags. Kalnietes Buch erschien 2005 im Münchener Herbig-Verlag, der zur Verlagsgruppe Langen-Müller gehört. Eigentümer ist der 77-jährige Herbert Fleissner, dessen langjährige Kontakte zur rechtsradikalen Szene verschiedene Veröffentlichungen verursachten und viele Dutzend Seiten im deutschsprachigen Internet fällen. Die meisten dieser Belege scheinen plausibel und eindeutig, zumal sich Fleissner selbst nur sehr selten gegen derlei Vorwürfe wehrt. Mehrfach erscheinen Bücher rechtsradikaler Färbung in einem der 28 Einzelverlage von Fleissners Verlagsimperium. Bereits 1965 erregt Fleissner Aufsehen, als der rechtsradikale Verleger Gerhard Frey die massenhafte Ermordung von Juden in Auschwitz leugnet - und Fleissner sich gegen ein Vorgehen zuungunsten von Frey aussprach.
Am 1. Januar 1997 kam in Fleissners Herbig Verlagsgesellschaft erstmals das zweimonatlich erscheinende Blatt "Deutsch Russische Zeitung" heraus. Die Autoren sind vor allem Schreiber in der rechtsradikalen Zeitung "Jungen Freiheit". Selbst dagegen, die "Junge Freiheit" überhaupt als rechtsradikal zu bezeichnen, wandte sich Fleissner als Mitunterzeichner eines öffentlichen Aufrufs.
Dem entsprechend wird die deutsche Linke nicht müde, weitere Beispiele für die Verknüpfung von Fleissner mit der rechtsradikalen Szene anzuführen, wie etwa seine Mitgliedschaft im Präsidium des rechtsradikalen Witikobundes, sein Engagement bei den Vertriebenenverbänden, und seine Verantwortung für Veröffentlichungen von rechtsradikalen Autoren wie des Ausschwitz-Leugners David Irving und der "SS-Memoiren" Franz Schönhubers.

Soviel also zum Hintergrund der Diskussion um das Kalniete-Buch in Deutschland. Beim Stichwort "Herbig-Verlag" wird die deutsche Buchszene eben aus anderen Gründen nervös, als dass es nur um den Inhalt des Buches gehen k�nnte. Welche Schlüsse müssen daraus gezogen werden?
Erstens: es besteht kein Hinderungsgrund, sich mit der Geschichte Lettlands nicht ernsthaft zu befassen - auch wenn es mal den im Westen bekannten Schablonen widerspricht.
Zweitens: Wer Quellenstudium betreiben will, möge die lettische Originalfassung lesen, oder die sonstigen Schriften von Sandra Kalniete. Die Autorin steht sicherlich auch Interviewanfragen offen gegenüber, zudem gibt es noch einige andere lettische Autoren zum gleichen Thema; also, liebe deutsche Verleger: schaffte noch viele eigene Werke zum selben Thema!Drittens: Sandra Kalniete arbeitet gegenwärtig an einem Buch über lettische Aussenpolitik. Eine weitere Chance für deutsche Verlage, ein interessantes Werk in eigener Verantwortung herauszugeben!
Und zu guter letzt: Jeder Verherrlichung oder Verniedlichung von Nazi-Untaten ist entschieden entgegenzutreten! Auch die Begünstigung eines neuen Aufkommens von Antisemitismus hat mit einer kritischen Aufarbeitung der Geschichte Lettlands nicht das Geringste zu tun!

Soviel werden wir dem gemeinsamen Wunsch "nie wieder Krieg" doch wohl schuldig sein?